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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Englands Flottenrüstungen

sei einer verbündeten französisch-russischen nicht überlegen, und dahin müsse
sie gebracht werden.*) Das in England wachgerufne Gefühl der Unsicherheit
wurde noch dadurch vermehrt, daß man sich um diese Zeit (um 1882) wohl
oder übel endlich hatte entschließen müssen, die eigensinnig beibehaltenen ver¬
alteten Vorderladegeschütze in der Schiffsartillerie aufzugeben und, wie es die
Mariner der Festlandsstaaten längst gethan hatten, zu Hinterladegeschützen über¬
zugehen. Die Herstellung des neuen Artilleriematerials und die Umarmiruug
der vielen Schiffe beanspruchte natürlich eine Reihe von Jahren. Inzwischen
wuchs das Mißtrauen gegen Frankreich und Rußland mit der politischen An¬
näherung dieser beiden Staaten im Laufe der achtziger Jahre, und man wurde
sich über die Unumgänglichkeit außerordentlicher Maßregeln immer klarer.
Nachdem die Geschützgießereien einen großen Teil ihrer Arbeit bewältigt
hatten, und nachdem hervorragende Staatsmänner, Offiziere und Private durch
Wort und Schrift mit Hilfe des besten Teils der Presse das Volk über die
Notwendigkeit einer großen Flottenvermehrung aufgeklärt hatten, entschloß sich
die Negierung zu einem energischen Schritt.

Am 7. April 1889 brachte die Admiralität im Hause der Gemeinen einen
Schiffsbanplan ein, der wegen seines Umfangs und der außerordentlich kurzen
Zeit, in der er durchgeführt werdeu sollte, das größte Erstaunen, selbst in Eng¬
land hervorrief. Unter Hinweis auf die Zunahme fremder Flotten, besonders
der französischen und der russischen, sowie auf die Ausdehnung des englischen See-
Handels, forderte der als voksnos ^ot bezeichnete Entwurf die Bewilligung
von 440 Millionen Mark zum Bau von 70 Schiffen, nämlich 10 Panzer¬
schlachtschiffen, 42 Kreuzern und 18 Torpedobootsjägern. Diese sollten mit den
um die Zeit noch in Ausführung begriffnen 43 Schiffen sämtlich bis zum 1. April
1894, also innerhalb von fünf Jahren fertig sein. Die Regierungsfordernng
wurde vollständig bewilligt, und alsbald entwickelte sich ans allen königlichen
und privaten Werften eine fieberhafte Thätigkeit. Zum Erstaunen der ganzen
maritimen Welt waren die 113 Schiffe bis auf fünf kleine Kreuzer dritter
Klasse und vier Torpedobootsjäger zur festgesetzten Zeit (1. April 1894) voll¬
endet, mehrere Fahrzeuge sogar schon in Dienst gestellt. Es war das eine
Leistung der modernen Schiffbcmiudustrie ohne Beispiel, eine Leistung, die alle
französischen und russischen Werften zusammen mit dem besten Willen und
den größten Geldmitteln nicht Hütten nachmachen können, da ihnen die reichen
natürlichen und künstlichen Hilfsmittel des Jnselreichs fehlen.

Während der fünf Baujahre des ^g-val völsnos ^ot, machte sich nun aber
auch in Rußland und Frankreich, wie überhaupt in allen Seestaaten eine ge¬
steigerte Pflege der Hochseeflotten bemerkbar, eine Bewegung, die schon Ende



Die englische Flotte zählte damals (nach englischen Quellen) alles in allein Schisse
und Fahrzeuge, die französische Marine 191, die russische
Englands Flottenrüstungen

sei einer verbündeten französisch-russischen nicht überlegen, und dahin müsse
sie gebracht werden.*) Das in England wachgerufne Gefühl der Unsicherheit
wurde noch dadurch vermehrt, daß man sich um diese Zeit (um 1882) wohl
oder übel endlich hatte entschließen müssen, die eigensinnig beibehaltenen ver¬
alteten Vorderladegeschütze in der Schiffsartillerie aufzugeben und, wie es die
Mariner der Festlandsstaaten längst gethan hatten, zu Hinterladegeschützen über¬
zugehen. Die Herstellung des neuen Artilleriematerials und die Umarmiruug
der vielen Schiffe beanspruchte natürlich eine Reihe von Jahren. Inzwischen
wuchs das Mißtrauen gegen Frankreich und Rußland mit der politischen An¬
näherung dieser beiden Staaten im Laufe der achtziger Jahre, und man wurde
sich über die Unumgänglichkeit außerordentlicher Maßregeln immer klarer.
Nachdem die Geschützgießereien einen großen Teil ihrer Arbeit bewältigt
hatten, und nachdem hervorragende Staatsmänner, Offiziere und Private durch
Wort und Schrift mit Hilfe des besten Teils der Presse das Volk über die
Notwendigkeit einer großen Flottenvermehrung aufgeklärt hatten, entschloß sich
die Negierung zu einem energischen Schritt.

Am 7. April 1889 brachte die Admiralität im Hause der Gemeinen einen
Schiffsbanplan ein, der wegen seines Umfangs und der außerordentlich kurzen
Zeit, in der er durchgeführt werdeu sollte, das größte Erstaunen, selbst in Eng¬
land hervorrief. Unter Hinweis auf die Zunahme fremder Flotten, besonders
der französischen und der russischen, sowie auf die Ausdehnung des englischen See-
Handels, forderte der als voksnos ^ot bezeichnete Entwurf die Bewilligung
von 440 Millionen Mark zum Bau von 70 Schiffen, nämlich 10 Panzer¬
schlachtschiffen, 42 Kreuzern und 18 Torpedobootsjägern. Diese sollten mit den
um die Zeit noch in Ausführung begriffnen 43 Schiffen sämtlich bis zum 1. April
1894, also innerhalb von fünf Jahren fertig sein. Die Regierungsfordernng
wurde vollständig bewilligt, und alsbald entwickelte sich ans allen königlichen
und privaten Werften eine fieberhafte Thätigkeit. Zum Erstaunen der ganzen
maritimen Welt waren die 113 Schiffe bis auf fünf kleine Kreuzer dritter
Klasse und vier Torpedobootsjäger zur festgesetzten Zeit (1. April 1894) voll¬
endet, mehrere Fahrzeuge sogar schon in Dienst gestellt. Es war das eine
Leistung der modernen Schiffbcmiudustrie ohne Beispiel, eine Leistung, die alle
französischen und russischen Werften zusammen mit dem besten Willen und
den größten Geldmitteln nicht Hütten nachmachen können, da ihnen die reichen
natürlichen und künstlichen Hilfsmittel des Jnselreichs fehlen.

Während der fünf Baujahre des ^g-val völsnos ^ot, machte sich nun aber
auch in Rußland und Frankreich, wie überhaupt in allen Seestaaten eine ge¬
steigerte Pflege der Hochseeflotten bemerkbar, eine Bewegung, die schon Ende



Die englische Flotte zählte damals (nach englischen Quellen) alles in allein Schisse
und Fahrzeuge, die französische Marine 191, die russische
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[0394] Englands Flottenrüstungen sei einer verbündeten französisch-russischen nicht überlegen, und dahin müsse sie gebracht werden.*) Das in England wachgerufne Gefühl der Unsicherheit wurde noch dadurch vermehrt, daß man sich um diese Zeit (um 1882) wohl oder übel endlich hatte entschließen müssen, die eigensinnig beibehaltenen ver¬ alteten Vorderladegeschütze in der Schiffsartillerie aufzugeben und, wie es die Mariner der Festlandsstaaten längst gethan hatten, zu Hinterladegeschützen über¬ zugehen. Die Herstellung des neuen Artilleriematerials und die Umarmiruug der vielen Schiffe beanspruchte natürlich eine Reihe von Jahren. Inzwischen wuchs das Mißtrauen gegen Frankreich und Rußland mit der politischen An¬ näherung dieser beiden Staaten im Laufe der achtziger Jahre, und man wurde sich über die Unumgänglichkeit außerordentlicher Maßregeln immer klarer. Nachdem die Geschützgießereien einen großen Teil ihrer Arbeit bewältigt hatten, und nachdem hervorragende Staatsmänner, Offiziere und Private durch Wort und Schrift mit Hilfe des besten Teils der Presse das Volk über die Notwendigkeit einer großen Flottenvermehrung aufgeklärt hatten, entschloß sich die Negierung zu einem energischen Schritt. Am 7. April 1889 brachte die Admiralität im Hause der Gemeinen einen Schiffsbanplan ein, der wegen seines Umfangs und der außerordentlich kurzen Zeit, in der er durchgeführt werdeu sollte, das größte Erstaunen, selbst in Eng¬ land hervorrief. Unter Hinweis auf die Zunahme fremder Flotten, besonders der französischen und der russischen, sowie auf die Ausdehnung des englischen See- Handels, forderte der als voksnos ^ot bezeichnete Entwurf die Bewilligung von 440 Millionen Mark zum Bau von 70 Schiffen, nämlich 10 Panzer¬ schlachtschiffen, 42 Kreuzern und 18 Torpedobootsjägern. Diese sollten mit den um die Zeit noch in Ausführung begriffnen 43 Schiffen sämtlich bis zum 1. April 1894, also innerhalb von fünf Jahren fertig sein. Die Regierungsfordernng wurde vollständig bewilligt, und alsbald entwickelte sich ans allen königlichen und privaten Werften eine fieberhafte Thätigkeit. Zum Erstaunen der ganzen maritimen Welt waren die 113 Schiffe bis auf fünf kleine Kreuzer dritter Klasse und vier Torpedobootsjäger zur festgesetzten Zeit (1. April 1894) voll¬ endet, mehrere Fahrzeuge sogar schon in Dienst gestellt. Es war das eine Leistung der modernen Schiffbcmiudustrie ohne Beispiel, eine Leistung, die alle französischen und russischen Werften zusammen mit dem besten Willen und den größten Geldmitteln nicht Hütten nachmachen können, da ihnen die reichen natürlichen und künstlichen Hilfsmittel des Jnselreichs fehlen. Während der fünf Baujahre des ^g-val völsnos ^ot, machte sich nun aber auch in Rußland und Frankreich, wie überhaupt in allen Seestaaten eine ge¬ steigerte Pflege der Hochseeflotten bemerkbar, eine Bewegung, die schon Ende Die englische Flotte zählte damals (nach englischen Quellen) alles in allein Schisse und Fahrzeuge, die französische Marine 191, die russische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/394>, abgerufen am 26.06.2024.