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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Kurie

giltigen, gelangweilten Leuten vergeblich gepredigt haben; nicht in dem neuen
Dogma, um das sich niemand kümmerte, wohl aber in der Spaltung des
zentralisirten Staatswesens, in der Anregung zu einem kirchlichen Schisma
hätten sie einen Unfug gesehen.

Anders in Deutschland, wo die Bevölkerung nach Bekenntnissen gespalten
ist, wo die staatliche Zersplitterung noch nicht überwunden ist durch die Er¬
kenntnis der nationalen Ideale einer aufstrebenden Großmacht; da war der
Kurie ein weites Feld der Thätigkeit eröffnet, und die Gemüter waren für
den Kampfruf empfänglich. In Vaiern befürchtete man 1870 eine Wieder¬
holung und Verschärfung der schon bei den Zollparlamentswahlen entstandnen
parlamentarischen Schwierigkeiten. Um für den bevorstehenden Feldzug Bundes¬
genossen zu gewinnen, wandte man sich warnend an den Norden; mit der
kirchlichen Gegenbewegung liebäugelte man offenkundig, und doch war leicht
vorauszusehen, daß die Altkatholiken dem Schicksale der Jcmsenisten nicht
entgehen konnten. Nicht weil der Anhang der Kurie stark gewesen wäre,
nicht weil der innere Gehalt der neuen Lehre die Gemüter ergriffen Hütte,
blieb die Gegenbewegung auf Angehörige der gebildeten Stände beschränkt,
sondern deshalb, weil in kirchlichen Dingen eine stumpfe Gleichgiltigkeit herrschte.
Mehr aus der Empörung der Gebildeten über die unerhörten Zumutungen,
über die welschen Anmaßungen, als aus einer frommen Entrüstung der
gläubigen Christenheit über eine Neuerung ist die altkatholische Bewegung
entstanden.

Die romanische Auffassung der Sache war echt katholisch; die germanische
Auffassung -- selbst im katholischen Süden -- eher protestantisch, freigeistig.
Die Romanen faßten als Realpolitiker die Sache kühl auf, die Germanen ver¬
quickten Gemütsbedürfnisse mit der Sache. Man mag die romanische Auf¬
fassung frivol nennen; sicher war die germanische Auffassung allzu tragisch.
Die Romanen haben den Staat vor einem unnützen Kampfe mit der Kirche
bewahrt; die Germanen haben den Staat in diesen Kampf getrieben, und das
deutsche Reich hat ihn nicht mit Ehren bestanden. Infolge der Überschätzung
der Absichten der Kurie hatte sich auch im protestantischen Norden die Meinung
gebildet, daß es unabweisliche Ehrensache des Staates sei, mit der Kurie einen
Wassergang zu machen; diese Meinung blieb nicht ohne Einfluß auf die Er¬
öffnung des Kulturkampfes. Aber es mußte so kommen. Wie Deutschland
sofort seinen wahren Erbfeind witterte, so fand Rom auch sofort den Anschluß
an Frankreich, das die ganze ultramontane Bewegung für sich gegen Deutsch¬
land verwerten konnte.

Die Kurie hat bisher mit vorsichtiger Enthaltsamkeit, dem Zwange ge¬
horchend, nicht dem eignen Triebe, von dem neuen Glaubenssatz nicht den
erwarteten Gebrauch gemacht, wohl aber wurde still und unbemerkt eine wichtige
Folgerung aus diesem Glaubenssätze gezogen, die Zentralisirung der tires-


Das deutsche Reich und die Kurie

giltigen, gelangweilten Leuten vergeblich gepredigt haben; nicht in dem neuen
Dogma, um das sich niemand kümmerte, wohl aber in der Spaltung des
zentralisirten Staatswesens, in der Anregung zu einem kirchlichen Schisma
hätten sie einen Unfug gesehen.

Anders in Deutschland, wo die Bevölkerung nach Bekenntnissen gespalten
ist, wo die staatliche Zersplitterung noch nicht überwunden ist durch die Er¬
kenntnis der nationalen Ideale einer aufstrebenden Großmacht; da war der
Kurie ein weites Feld der Thätigkeit eröffnet, und die Gemüter waren für
den Kampfruf empfänglich. In Vaiern befürchtete man 1870 eine Wieder¬
holung und Verschärfung der schon bei den Zollparlamentswahlen entstandnen
parlamentarischen Schwierigkeiten. Um für den bevorstehenden Feldzug Bundes¬
genossen zu gewinnen, wandte man sich warnend an den Norden; mit der
kirchlichen Gegenbewegung liebäugelte man offenkundig, und doch war leicht
vorauszusehen, daß die Altkatholiken dem Schicksale der Jcmsenisten nicht
entgehen konnten. Nicht weil der Anhang der Kurie stark gewesen wäre,
nicht weil der innere Gehalt der neuen Lehre die Gemüter ergriffen Hütte,
blieb die Gegenbewegung auf Angehörige der gebildeten Stände beschränkt,
sondern deshalb, weil in kirchlichen Dingen eine stumpfe Gleichgiltigkeit herrschte.
Mehr aus der Empörung der Gebildeten über die unerhörten Zumutungen,
über die welschen Anmaßungen, als aus einer frommen Entrüstung der
gläubigen Christenheit über eine Neuerung ist die altkatholische Bewegung
entstanden.

Die romanische Auffassung der Sache war echt katholisch; die germanische
Auffassung — selbst im katholischen Süden — eher protestantisch, freigeistig.
Die Romanen faßten als Realpolitiker die Sache kühl auf, die Germanen ver¬
quickten Gemütsbedürfnisse mit der Sache. Man mag die romanische Auf¬
fassung frivol nennen; sicher war die germanische Auffassung allzu tragisch.
Die Romanen haben den Staat vor einem unnützen Kampfe mit der Kirche
bewahrt; die Germanen haben den Staat in diesen Kampf getrieben, und das
deutsche Reich hat ihn nicht mit Ehren bestanden. Infolge der Überschätzung
der Absichten der Kurie hatte sich auch im protestantischen Norden die Meinung
gebildet, daß es unabweisliche Ehrensache des Staates sei, mit der Kurie einen
Wassergang zu machen; diese Meinung blieb nicht ohne Einfluß auf die Er¬
öffnung des Kulturkampfes. Aber es mußte so kommen. Wie Deutschland
sofort seinen wahren Erbfeind witterte, so fand Rom auch sofort den Anschluß
an Frankreich, das die ganze ultramontane Bewegung für sich gegen Deutsch¬
land verwerten konnte.

Die Kurie hat bisher mit vorsichtiger Enthaltsamkeit, dem Zwange ge¬
horchend, nicht dem eignen Triebe, von dem neuen Glaubenssatz nicht den
erwarteten Gebrauch gemacht, wohl aber wurde still und unbemerkt eine wichtige
Folgerung aus diesem Glaubenssätze gezogen, die Zentralisirung der tires-


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[0350] Das deutsche Reich und die Kurie giltigen, gelangweilten Leuten vergeblich gepredigt haben; nicht in dem neuen Dogma, um das sich niemand kümmerte, wohl aber in der Spaltung des zentralisirten Staatswesens, in der Anregung zu einem kirchlichen Schisma hätten sie einen Unfug gesehen. Anders in Deutschland, wo die Bevölkerung nach Bekenntnissen gespalten ist, wo die staatliche Zersplitterung noch nicht überwunden ist durch die Er¬ kenntnis der nationalen Ideale einer aufstrebenden Großmacht; da war der Kurie ein weites Feld der Thätigkeit eröffnet, und die Gemüter waren für den Kampfruf empfänglich. In Vaiern befürchtete man 1870 eine Wieder¬ holung und Verschärfung der schon bei den Zollparlamentswahlen entstandnen parlamentarischen Schwierigkeiten. Um für den bevorstehenden Feldzug Bundes¬ genossen zu gewinnen, wandte man sich warnend an den Norden; mit der kirchlichen Gegenbewegung liebäugelte man offenkundig, und doch war leicht vorauszusehen, daß die Altkatholiken dem Schicksale der Jcmsenisten nicht entgehen konnten. Nicht weil der Anhang der Kurie stark gewesen wäre, nicht weil der innere Gehalt der neuen Lehre die Gemüter ergriffen Hütte, blieb die Gegenbewegung auf Angehörige der gebildeten Stände beschränkt, sondern deshalb, weil in kirchlichen Dingen eine stumpfe Gleichgiltigkeit herrschte. Mehr aus der Empörung der Gebildeten über die unerhörten Zumutungen, über die welschen Anmaßungen, als aus einer frommen Entrüstung der gläubigen Christenheit über eine Neuerung ist die altkatholische Bewegung entstanden. Die romanische Auffassung der Sache war echt katholisch; die germanische Auffassung — selbst im katholischen Süden — eher protestantisch, freigeistig. Die Romanen faßten als Realpolitiker die Sache kühl auf, die Germanen ver¬ quickten Gemütsbedürfnisse mit der Sache. Man mag die romanische Auf¬ fassung frivol nennen; sicher war die germanische Auffassung allzu tragisch. Die Romanen haben den Staat vor einem unnützen Kampfe mit der Kirche bewahrt; die Germanen haben den Staat in diesen Kampf getrieben, und das deutsche Reich hat ihn nicht mit Ehren bestanden. Infolge der Überschätzung der Absichten der Kurie hatte sich auch im protestantischen Norden die Meinung gebildet, daß es unabweisliche Ehrensache des Staates sei, mit der Kurie einen Wassergang zu machen; diese Meinung blieb nicht ohne Einfluß auf die Er¬ öffnung des Kulturkampfes. Aber es mußte so kommen. Wie Deutschland sofort seinen wahren Erbfeind witterte, so fand Rom auch sofort den Anschluß an Frankreich, das die ganze ultramontane Bewegung für sich gegen Deutsch¬ land verwerten konnte. Die Kurie hat bisher mit vorsichtiger Enthaltsamkeit, dem Zwange ge¬ horchend, nicht dem eignen Triebe, von dem neuen Glaubenssatz nicht den erwarteten Gebrauch gemacht, wohl aber wurde still und unbemerkt eine wichtige Folgerung aus diesem Glaubenssätze gezogen, die Zentralisirung der tires-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/350>, abgerufen am 26.06.2024.