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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen

Über die juristischen Prüfungen und die Vorbereitung zum höhern Justizdienst
vor, worin vorgeschlagen war, daß von den auf vier festzusetzenden Vorbereitungs¬
jahren eins zur Vorbereitung im Verwaltungsdienste verwendet werden sollte,
und der damalige Justizminister Leonhardt erklärte im Herrenhause ganz offen,
daß man es durch dieses "Verwaltungsjahr" ermöglichen wolle, eine besondre
Vorbildung für den Verwaltungsdienst wegfallen zu lassen. Hauptsächlich an
diesem Verwaltungsjahre scheiterte damals die Reform rücksichtlich des Ver¬
waltungsdienstes. Der Erklärung Vismarcks, die Regierung lege hohen Wert
darauf, daß der Richter die Verwaltung und der Verwaltungsbeamte die
richterliche Praxis kennen lerne, trat die Fraktionspolitik mit den wirkungs¬
vollen Phrasen entgegen, man könne aus diese Weise dahin kommen, daß die
Justiz "administrirt" und nicht mehr "gesprochen" werde, man dürfe den
Richter nicht "in die Schule des Ermessens verweisen," man müsse ihn fern¬
halten "von jeder Berührung mit der Willkür" usw. So kam das Gesetz vom
6. Mai 1869 über die besondre Vorbildung für den Justizdienst ohne "Ver¬
waltungsjahr" zustande, und erst am 11. März 1879 folgte das besondre
Gesetz über die Befähigung zum höhern Verwaltungsdienst. Nach den zur
Zeit geltenden Bestimmungen wird nun für die Justizbeamten ein dreijähriges
"Rechtsstudium," für die Verwaltungsbeamten ein dreijähriges "Studium der
Rechte und der Staatswissenschaften" verlangt. Die erste Prüfung ist auch
für die künftigen Verwaltungsbeamten die "erste juristische," deren Gegenstand
nach dem Gesetz von 1869 das öffentliche und das Privatrecht und die Rechts¬
geschichte, sowie die "Grundlagen der Staatswissenschaften" bilden sollen. Zur
zweiten Prüfung -- der großen Staatsprüfung, dem "Asfessorexamen" -- ist
bei den richterlichen Beamten eine Vorbereitung von vier Jahren im prak¬
tischen Justizdienst, für die höhern Verwaltungsbeamten eine Vorbereitung von
wenigstens zwei Jahren bei den Gerichtsbehörden und von wenigstens zwei
Jahren bei den Verwaltungsbehörden erforderlich. Die große Staatsprüfung
selbst ist bei den Juristen darauf zu richten, ob sich der Kandidat "eine gründ¬
liche Kenntnis des gemeinen und des in Preußen geltenden öffentlichen und
Privatrechts" erworben habe, während sie sich bei den Verwaltungsbeamten
auf "das in Preußen geltende öffentliche und Privatrecht, insbesondre das
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie auf die Bolkswirtschafts- und Finanz¬
politik" erstrecken soll.

Weder für den Justizdienst noch für den Verwaltungsdienst hat sich dieser
Zustand bewährt. Namentlich die theoretische Durchbildung der angehenden
Justizbeamten hat sich als durchaus mangelhaft erwiesen, wie dies der Prä¬
sident der Justizprüfungskommission noch in seinem letzten Bericht in den
schärfsten Ausdrücken gerügt hat. Es sei unglaublich, bis zu welchem Grade
die Gedankenlosigkeit und Oberflächlichkeit der Prüflinge in dieser Beziehung
gehe. Über die Erfahrungen im Verwaltungsdienst äußert sich der Verfasser


Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen

Über die juristischen Prüfungen und die Vorbereitung zum höhern Justizdienst
vor, worin vorgeschlagen war, daß von den auf vier festzusetzenden Vorbereitungs¬
jahren eins zur Vorbereitung im Verwaltungsdienste verwendet werden sollte,
und der damalige Justizminister Leonhardt erklärte im Herrenhause ganz offen,
daß man es durch dieses „Verwaltungsjahr" ermöglichen wolle, eine besondre
Vorbildung für den Verwaltungsdienst wegfallen zu lassen. Hauptsächlich an
diesem Verwaltungsjahre scheiterte damals die Reform rücksichtlich des Ver¬
waltungsdienstes. Der Erklärung Vismarcks, die Regierung lege hohen Wert
darauf, daß der Richter die Verwaltung und der Verwaltungsbeamte die
richterliche Praxis kennen lerne, trat die Fraktionspolitik mit den wirkungs¬
vollen Phrasen entgegen, man könne aus diese Weise dahin kommen, daß die
Justiz „administrirt" und nicht mehr „gesprochen" werde, man dürfe den
Richter nicht „in die Schule des Ermessens verweisen," man müsse ihn fern¬
halten „von jeder Berührung mit der Willkür" usw. So kam das Gesetz vom
6. Mai 1869 über die besondre Vorbildung für den Justizdienst ohne „Ver¬
waltungsjahr" zustande, und erst am 11. März 1879 folgte das besondre
Gesetz über die Befähigung zum höhern Verwaltungsdienst. Nach den zur
Zeit geltenden Bestimmungen wird nun für die Justizbeamten ein dreijähriges
„Rechtsstudium," für die Verwaltungsbeamten ein dreijähriges „Studium der
Rechte und der Staatswissenschaften" verlangt. Die erste Prüfung ist auch
für die künftigen Verwaltungsbeamten die „erste juristische," deren Gegenstand
nach dem Gesetz von 1869 das öffentliche und das Privatrecht und die Rechts¬
geschichte, sowie die „Grundlagen der Staatswissenschaften" bilden sollen. Zur
zweiten Prüfung — der großen Staatsprüfung, dem „Asfessorexamen" — ist
bei den richterlichen Beamten eine Vorbereitung von vier Jahren im prak¬
tischen Justizdienst, für die höhern Verwaltungsbeamten eine Vorbereitung von
wenigstens zwei Jahren bei den Gerichtsbehörden und von wenigstens zwei
Jahren bei den Verwaltungsbehörden erforderlich. Die große Staatsprüfung
selbst ist bei den Juristen darauf zu richten, ob sich der Kandidat „eine gründ¬
liche Kenntnis des gemeinen und des in Preußen geltenden öffentlichen und
Privatrechts" erworben habe, während sie sich bei den Verwaltungsbeamten
auf „das in Preußen geltende öffentliche und Privatrecht, insbesondre das
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie auf die Bolkswirtschafts- und Finanz¬
politik" erstrecken soll.

Weder für den Justizdienst noch für den Verwaltungsdienst hat sich dieser
Zustand bewährt. Namentlich die theoretische Durchbildung der angehenden
Justizbeamten hat sich als durchaus mangelhaft erwiesen, wie dies der Prä¬
sident der Justizprüfungskommission noch in seinem letzten Bericht in den
schärfsten Ausdrücken gerügt hat. Es sei unglaublich, bis zu welchem Grade
die Gedankenlosigkeit und Oberflächlichkeit der Prüflinge in dieser Beziehung
gehe. Über die Erfahrungen im Verwaltungsdienst äußert sich der Verfasser


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[0298] Die Vorbildung für den höhern Verwaltungsdienst in Preußen Über die juristischen Prüfungen und die Vorbereitung zum höhern Justizdienst vor, worin vorgeschlagen war, daß von den auf vier festzusetzenden Vorbereitungs¬ jahren eins zur Vorbereitung im Verwaltungsdienste verwendet werden sollte, und der damalige Justizminister Leonhardt erklärte im Herrenhause ganz offen, daß man es durch dieses „Verwaltungsjahr" ermöglichen wolle, eine besondre Vorbildung für den Verwaltungsdienst wegfallen zu lassen. Hauptsächlich an diesem Verwaltungsjahre scheiterte damals die Reform rücksichtlich des Ver¬ waltungsdienstes. Der Erklärung Vismarcks, die Regierung lege hohen Wert darauf, daß der Richter die Verwaltung und der Verwaltungsbeamte die richterliche Praxis kennen lerne, trat die Fraktionspolitik mit den wirkungs¬ vollen Phrasen entgegen, man könne aus diese Weise dahin kommen, daß die Justiz „administrirt" und nicht mehr „gesprochen" werde, man dürfe den Richter nicht „in die Schule des Ermessens verweisen," man müsse ihn fern¬ halten „von jeder Berührung mit der Willkür" usw. So kam das Gesetz vom 6. Mai 1869 über die besondre Vorbildung für den Justizdienst ohne „Ver¬ waltungsjahr" zustande, und erst am 11. März 1879 folgte das besondre Gesetz über die Befähigung zum höhern Verwaltungsdienst. Nach den zur Zeit geltenden Bestimmungen wird nun für die Justizbeamten ein dreijähriges „Rechtsstudium," für die Verwaltungsbeamten ein dreijähriges „Studium der Rechte und der Staatswissenschaften" verlangt. Die erste Prüfung ist auch für die künftigen Verwaltungsbeamten die „erste juristische," deren Gegenstand nach dem Gesetz von 1869 das öffentliche und das Privatrecht und die Rechts¬ geschichte, sowie die „Grundlagen der Staatswissenschaften" bilden sollen. Zur zweiten Prüfung — der großen Staatsprüfung, dem „Asfessorexamen" — ist bei den richterlichen Beamten eine Vorbereitung von vier Jahren im prak¬ tischen Justizdienst, für die höhern Verwaltungsbeamten eine Vorbereitung von wenigstens zwei Jahren bei den Gerichtsbehörden und von wenigstens zwei Jahren bei den Verwaltungsbehörden erforderlich. Die große Staatsprüfung selbst ist bei den Juristen darauf zu richten, ob sich der Kandidat „eine gründ¬ liche Kenntnis des gemeinen und des in Preußen geltenden öffentlichen und Privatrechts" erworben habe, während sie sich bei den Verwaltungsbeamten auf „das in Preußen geltende öffentliche und Privatrecht, insbesondre das Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie auf die Bolkswirtschafts- und Finanz¬ politik" erstrecken soll. Weder für den Justizdienst noch für den Verwaltungsdienst hat sich dieser Zustand bewährt. Namentlich die theoretische Durchbildung der angehenden Justizbeamten hat sich als durchaus mangelhaft erwiesen, wie dies der Prä¬ sident der Justizprüfungskommission noch in seinem letzten Bericht in den schärfsten Ausdrücken gerügt hat. Es sei unglaublich, bis zu welchem Grade die Gedankenlosigkeit und Oberflächlichkeit der Prüflinge in dieser Beziehung gehe. Über die Erfahrungen im Verwaltungsdienst äußert sich der Verfasser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/298>, abgerufen am 15.01.2025.