Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches gehemmt, sich vor den Augen der Welt als eine achtbare und nützliche Einrichtung Maßgebliches und Unmaßgebliches gehemmt, sich vor den Augen der Welt als eine achtbare und nützliche Einrichtung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222598"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_864" prev="#ID_863" next="#ID_865"> gehemmt, sich vor den Augen der Welt als eine achtbare und nützliche Einrichtung<lb/> zu zeigen. Sie hat es sich und ihrem Gebahren selbst zuzuschreiben, wenn alle<lb/> gegen sie ergriffnen Maßregeln in den weitesten Kreisen volkstümlich sind, wenn<lb/> man in ihr nichts andres als eine Spielhölle in? großen Stile sieht, in der mühelos<lb/> und ohne produktive Arbeit auf Kohle» der arbeitsamen Mitbürger die größten Reich¬<lb/> tümer gewonnen werden. Es liegt in der Art des Menschen, jedem Berufsstande<lb/> etwas anzuhangen, dem gelehrten wie dem ungelehrten. Bald find die Mediziner<lb/> als Pflasterkasten, die Juristen als Perücken mit Advokatenkniffen, bald die Schuster<lb/> und Schneider, bald irgend ein andrer Stand das Ziel seines Spottes, und selbst<lb/> der jetzt von allen Seiten so viel umworbne und verhätschelte Bauer entgeht nicht<lb/> dem Schicksal, daß man auch gelegentlich mit seinem ehrsamen Namen einen ver¬<lb/> ächtlichen und beschimpfenden Sinn verbindet. Die Börse mag es für nichts<lb/> schlimmeres gehalten haben, wenn sie sogar von ministerieller Seite als Giftbaum<lb/> bezeichnet wurde. Sie hat sich aber über den Ernst des gegen sie herrschenden<lb/> Unwillens bitter getäuscht. In der augenblicklichen Notlage wird das versäumte<lb/> so viel wie möglich nachgeholt. Die börsenfreundlichen Blätter suchen unermüdlich<lb/> in allen Tonarten immer von neuem darzuthun, daß die Börsenspekulationen we¬<lb/> nigstens in gewissen Grenzen nützlich und unentbehrlich seien. Man ist klug genug,<lb/> Mißstände einzuräumen, aber kaum anders als von dem Gedanken ans: was nicht<lb/> mißbraucht werden kann, lange nichts. In diesen Kunstreden wird von der Börse<lb/> als dem Herzen wirtschaftlicher und finanzieller Thätigkeit gesprochen und mit den<lb/> Ketten gerasselt, in die der deutsche Handel und Verkehr geschlagen werden soll.<lb/> Wie so häufig bei volkswirtschaftlichen Fragen drängt sich auch hier dem Unbetei¬<lb/> ligten der Eindrnck auf, als ob nur die Wahl bliebe zwischen einer Bevormundung,<lb/> die nicht weise ist, und dem freien Spiel der Kräfte, durch das dem gegeben wird,<lb/> der da hat, und dem genommen wird, der nichts verlieren kann, ohne dem Elend<lb/> preisgegeben zu werdeu. Vou der audern Seite werden aber die Geschäfte der<lb/> Börse nach wie vor als Übel betrachtet, das man bedauerlicherweise nicht ganz aus¬<lb/> rotten könne, aber zum Heil der Gesamtheit möglichst eindämmen müsse. So hat<lb/> sich denn der Streit, von dessen Ausgang die Gestaltung der Börsenreformgesetze<lb/> abzuhängen scheint, zu einer rein akademischen Frage zugespitzt, und es fehlt bisher<lb/> die Betrachtung, ob sich denn die Gesetze, selbst wenn man die Gefährlichkeit der<lb/> Börse der einer Spielhölle gleichstellen will, volkswirtschaftlich rechtfertigen lassen,<lb/> ob sie nicht vielmehr volkswirtschaftliche Nachteile mit sich bringen, und uus unsre<lb/> außerordentlich schöne Schwärmerei Millionen unsers sauer erworbnen Geldes kosten<lb/> wird. Mit dem Spielteufel ist es eine eigne Sache, nur haben Prozesse erlebt,<lb/> die zeigen, daß wir ihn nicht auszutreiben vermögen, wir haben es aber durch<lb/> unsre dem Idealen zustrebende Gesetzgebung dahin gebracht, das; wir uns nur<lb/> gegenseitig ausbeuten oder unser Geld in fremde Länder tragen. Die Statistik<lb/> kann nachweisen, wieviel Millionen Monte Carlo alljährlich verschlingt, aber sie weist<lb/> nicht nach, wieviel deutsches Kapital dort geopfert wird. Wer nur ein wenig ins<lb/> Ausland geblickt hat, weiß sehr wohl, daß die Leute dort, selbst wenn sie die öffent¬<lb/> lichen Spielhöllen abgeschafft haben, es nicht so pedantisch genau wie die Deutschen<lb/> nehmen. Wie wird der Ausländer in Montreux und Jnterlaken dnrch das harmlos<lb/> scheinende Pferdchenspiel und durch die weniger harmlosen Hazardspiele, die nur<lb/> offiziös, nicht offiziell betrieben werden, gerupft! Was haben nur vou jenen heim¬<lb/> lichen und nicht minder gefährlichen Hollen in Ostende und Span lesen müssen, in<lb/> denen auch hauptsächlich die Ausländer und nicht zum wenigsten die Deutschen ge¬<lb/> blutet haben! Spielhölleickouventionen sind so edel wie Konventionen über den<lb/> Achtstundenarbeitstag und die Genfer Konvention; Spielverbote einseitig aufrecht</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
gehemmt, sich vor den Augen der Welt als eine achtbare und nützliche Einrichtung
zu zeigen. Sie hat es sich und ihrem Gebahren selbst zuzuschreiben, wenn alle
gegen sie ergriffnen Maßregeln in den weitesten Kreisen volkstümlich sind, wenn
man in ihr nichts andres als eine Spielhölle in? großen Stile sieht, in der mühelos
und ohne produktive Arbeit auf Kohle» der arbeitsamen Mitbürger die größten Reich¬
tümer gewonnen werden. Es liegt in der Art des Menschen, jedem Berufsstande
etwas anzuhangen, dem gelehrten wie dem ungelehrten. Bald find die Mediziner
als Pflasterkasten, die Juristen als Perücken mit Advokatenkniffen, bald die Schuster
und Schneider, bald irgend ein andrer Stand das Ziel seines Spottes, und selbst
der jetzt von allen Seiten so viel umworbne und verhätschelte Bauer entgeht nicht
dem Schicksal, daß man auch gelegentlich mit seinem ehrsamen Namen einen ver¬
ächtlichen und beschimpfenden Sinn verbindet. Die Börse mag es für nichts
schlimmeres gehalten haben, wenn sie sogar von ministerieller Seite als Giftbaum
bezeichnet wurde. Sie hat sich aber über den Ernst des gegen sie herrschenden
Unwillens bitter getäuscht. In der augenblicklichen Notlage wird das versäumte
so viel wie möglich nachgeholt. Die börsenfreundlichen Blätter suchen unermüdlich
in allen Tonarten immer von neuem darzuthun, daß die Börsenspekulationen we¬
nigstens in gewissen Grenzen nützlich und unentbehrlich seien. Man ist klug genug,
Mißstände einzuräumen, aber kaum anders als von dem Gedanken ans: was nicht
mißbraucht werden kann, lange nichts. In diesen Kunstreden wird von der Börse
als dem Herzen wirtschaftlicher und finanzieller Thätigkeit gesprochen und mit den
Ketten gerasselt, in die der deutsche Handel und Verkehr geschlagen werden soll.
Wie so häufig bei volkswirtschaftlichen Fragen drängt sich auch hier dem Unbetei¬
ligten der Eindrnck auf, als ob nur die Wahl bliebe zwischen einer Bevormundung,
die nicht weise ist, und dem freien Spiel der Kräfte, durch das dem gegeben wird,
der da hat, und dem genommen wird, der nichts verlieren kann, ohne dem Elend
preisgegeben zu werdeu. Vou der audern Seite werden aber die Geschäfte der
Börse nach wie vor als Übel betrachtet, das man bedauerlicherweise nicht ganz aus¬
rotten könne, aber zum Heil der Gesamtheit möglichst eindämmen müsse. So hat
sich denn der Streit, von dessen Ausgang die Gestaltung der Börsenreformgesetze
abzuhängen scheint, zu einer rein akademischen Frage zugespitzt, und es fehlt bisher
die Betrachtung, ob sich denn die Gesetze, selbst wenn man die Gefährlichkeit der
Börse der einer Spielhölle gleichstellen will, volkswirtschaftlich rechtfertigen lassen,
ob sie nicht vielmehr volkswirtschaftliche Nachteile mit sich bringen, und uus unsre
außerordentlich schöne Schwärmerei Millionen unsers sauer erworbnen Geldes kosten
wird. Mit dem Spielteufel ist es eine eigne Sache, nur haben Prozesse erlebt,
die zeigen, daß wir ihn nicht auszutreiben vermögen, wir haben es aber durch
unsre dem Idealen zustrebende Gesetzgebung dahin gebracht, das; wir uns nur
gegenseitig ausbeuten oder unser Geld in fremde Länder tragen. Die Statistik
kann nachweisen, wieviel Millionen Monte Carlo alljährlich verschlingt, aber sie weist
nicht nach, wieviel deutsches Kapital dort geopfert wird. Wer nur ein wenig ins
Ausland geblickt hat, weiß sehr wohl, daß die Leute dort, selbst wenn sie die öffent¬
lichen Spielhöllen abgeschafft haben, es nicht so pedantisch genau wie die Deutschen
nehmen. Wie wird der Ausländer in Montreux und Jnterlaken dnrch das harmlos
scheinende Pferdchenspiel und durch die weniger harmlosen Hazardspiele, die nur
offiziös, nicht offiziell betrieben werden, gerupft! Was haben nur vou jenen heim¬
lichen und nicht minder gefährlichen Hollen in Ostende und Span lesen müssen, in
denen auch hauptsächlich die Ausländer und nicht zum wenigsten die Deutschen ge¬
blutet haben! Spielhölleickouventionen sind so edel wie Konventionen über den
Achtstundenarbeitstag und die Genfer Konvention; Spielverbote einseitig aufrecht
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |