Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Tuchmacherstreik in Kottbus

fest. Man ertrug es unwillig, daß bei gleicher Arbeitsdauer und vielleicht
gleicher Geschicklichkeit die Arbeiter, die in den Fabriken mit der alten Streich¬
garnweberei beschäftigt waren, mit weit geringern Löhnen zufrieden sein mußten
als ihre glücklichern Genossen vom Kammgarn, daß vielleicht der junge Sohn
oder die Tochter mehr verdiente als der Vater, der auf dem alten Webstuhl
geblieben war. Diese Unzufriedenheit zu beachten und sie nicht in der Luft
verpuffen zu lassen, sondern sie ihren politischen Zwecken dienstbar zu machen,
erkannte die Partei für ihre Aufgabe, deren Programm es ist, die Arbeiter-
interesseu vor der Welt zu vertreten. Mit der gewohnten Energie und der
Klugheit, die ihr von einer gütigen Fee als Angebinde in die Wiege gelegt
zu sein scheint, begann sie ihr Werk; sie untersuchte die Verhältnisse der Ar¬
beiter, organisirte die tausendköpfige Menge, reihte sie nach militärischem Muster
in Korporalschasten ein, sammelte Gelder und brachte nicht nur die politischen
Gesinnungsgenossen, sondern auch alle übrigen, auch die, denen die Politik so
gleichgiltig war wie der Kaiser von China, dahin, daß sie sich gedrungen
fühlten, ihr Scherflein beizutragen und in der kleinen wöchentlichen Steuer
den Zauberstab zu sehen, der Tausende und Abertausende von unbekannten
Menschen nah und fern zu ihrem Schutz und zur Verfechtung ihrer Interessen
herbeizurufen vermöchte. Dieses Traumbild zukünftiger Größe, die man nicht
für sich allein, sondern nur in der Gesamtheit und allein durch sie zu finden
hoffen darf, erweist sich für immer als mächtig genug, viele Tausende dahin¬
zubringen, daß sie nur noch einen Willen haben, geduldig bleiben, wenn es
verlangt wird, und unzufrieden erscheinen, wenn der Befehl dazu gegeben
ist. Jede Truppe verliert jedoch an Selbstbewußtsein und an Kraft, wenn ihr
keine Gelegenheit gegeben wird, ihre Macht zu erproben. Diese Machtproben
sind die Streiks, sowohl die, die sich durch die Notlage der Arbeiter recht¬
fertigen lassen, wie die andern, von denen man sagt, sie wären vom Zaune
gebrochen, und es scheint so, als sähe man einen Streik schon für gelungen
an, wenn nichts von dem Boden verloren worden ist, den man vorher inne
hatte. Denn die Hauptsache ist ja die, daß bei den Genossen das Gefühl der
Gemeinsamkeit durch einen kräftigen Frühlingsregen aufgefrischt wird, und daß
den der Führung fernstehenden Arbeiten: das Verständnis aufdämmert, daß
sie für sich allein lauter Nullen sind und erst durch den Anschluß an die Or¬
ganisation irgend welche Bedeutung erhalten.

Im Jahre 1889 war das erste Gefecht geliefert. Wir gebrauchen ab¬
sichtlich dieses Kriegsbild, weil es sich bei den Arbeitern selbst der Beliebtheit
erfreut hat. Der strategische Plan bestand darin, daß man das Fetter nicht
auf der ganzen Linie eröffnen, sondern versuchen wollte, einen Betrieb nach dem
andern lahm zu legen, mit den kleinsten beginnend und allmählich zu den großen
fortschreitend, oder, wie man sich gräßlicherweise ausdrückte: man wollte die
Fabrikanten einzeln abschlachten. So geschah es denn auch bei drei Fabriken,


Der Tuchmacherstreik in Kottbus

fest. Man ertrug es unwillig, daß bei gleicher Arbeitsdauer und vielleicht
gleicher Geschicklichkeit die Arbeiter, die in den Fabriken mit der alten Streich¬
garnweberei beschäftigt waren, mit weit geringern Löhnen zufrieden sein mußten
als ihre glücklichern Genossen vom Kammgarn, daß vielleicht der junge Sohn
oder die Tochter mehr verdiente als der Vater, der auf dem alten Webstuhl
geblieben war. Diese Unzufriedenheit zu beachten und sie nicht in der Luft
verpuffen zu lassen, sondern sie ihren politischen Zwecken dienstbar zu machen,
erkannte die Partei für ihre Aufgabe, deren Programm es ist, die Arbeiter-
interesseu vor der Welt zu vertreten. Mit der gewohnten Energie und der
Klugheit, die ihr von einer gütigen Fee als Angebinde in die Wiege gelegt
zu sein scheint, begann sie ihr Werk; sie untersuchte die Verhältnisse der Ar¬
beiter, organisirte die tausendköpfige Menge, reihte sie nach militärischem Muster
in Korporalschasten ein, sammelte Gelder und brachte nicht nur die politischen
Gesinnungsgenossen, sondern auch alle übrigen, auch die, denen die Politik so
gleichgiltig war wie der Kaiser von China, dahin, daß sie sich gedrungen
fühlten, ihr Scherflein beizutragen und in der kleinen wöchentlichen Steuer
den Zauberstab zu sehen, der Tausende und Abertausende von unbekannten
Menschen nah und fern zu ihrem Schutz und zur Verfechtung ihrer Interessen
herbeizurufen vermöchte. Dieses Traumbild zukünftiger Größe, die man nicht
für sich allein, sondern nur in der Gesamtheit und allein durch sie zu finden
hoffen darf, erweist sich für immer als mächtig genug, viele Tausende dahin¬
zubringen, daß sie nur noch einen Willen haben, geduldig bleiben, wenn es
verlangt wird, und unzufrieden erscheinen, wenn der Befehl dazu gegeben
ist. Jede Truppe verliert jedoch an Selbstbewußtsein und an Kraft, wenn ihr
keine Gelegenheit gegeben wird, ihre Macht zu erproben. Diese Machtproben
sind die Streiks, sowohl die, die sich durch die Notlage der Arbeiter recht¬
fertigen lassen, wie die andern, von denen man sagt, sie wären vom Zaune
gebrochen, und es scheint so, als sähe man einen Streik schon für gelungen
an, wenn nichts von dem Boden verloren worden ist, den man vorher inne
hatte. Denn die Hauptsache ist ja die, daß bei den Genossen das Gefühl der
Gemeinsamkeit durch einen kräftigen Frühlingsregen aufgefrischt wird, und daß
den der Führung fernstehenden Arbeiten: das Verständnis aufdämmert, daß
sie für sich allein lauter Nullen sind und erst durch den Anschluß an die Or¬
ganisation irgend welche Bedeutung erhalten.

Im Jahre 1889 war das erste Gefecht geliefert. Wir gebrauchen ab¬
sichtlich dieses Kriegsbild, weil es sich bei den Arbeitern selbst der Beliebtheit
erfreut hat. Der strategische Plan bestand darin, daß man das Fetter nicht
auf der ganzen Linie eröffnen, sondern versuchen wollte, einen Betrieb nach dem
andern lahm zu legen, mit den kleinsten beginnend und allmählich zu den großen
fortschreitend, oder, wie man sich gräßlicherweise ausdrückte: man wollte die
Fabrikanten einzeln abschlachten. So geschah es denn auch bei drei Fabriken,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222558"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Tuchmacherstreik in Kottbus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_755" prev="#ID_754"> fest. Man ertrug es unwillig, daß bei gleicher Arbeitsdauer und vielleicht<lb/>
gleicher Geschicklichkeit die Arbeiter, die in den Fabriken mit der alten Streich¬<lb/>
garnweberei beschäftigt waren, mit weit geringern Löhnen zufrieden sein mußten<lb/>
als ihre glücklichern Genossen vom Kammgarn, daß vielleicht der junge Sohn<lb/>
oder die Tochter mehr verdiente als der Vater, der auf dem alten Webstuhl<lb/>
geblieben war. Diese Unzufriedenheit zu beachten und sie nicht in der Luft<lb/>
verpuffen zu lassen, sondern sie ihren politischen Zwecken dienstbar zu machen,<lb/>
erkannte die Partei für ihre Aufgabe, deren Programm es ist, die Arbeiter-<lb/>
interesseu vor der Welt zu vertreten. Mit der gewohnten Energie und der<lb/>
Klugheit, die ihr von einer gütigen Fee als Angebinde in die Wiege gelegt<lb/>
zu sein scheint, begann sie ihr Werk; sie untersuchte die Verhältnisse der Ar¬<lb/>
beiter, organisirte die tausendköpfige Menge, reihte sie nach militärischem Muster<lb/>
in Korporalschasten ein, sammelte Gelder und brachte nicht nur die politischen<lb/>
Gesinnungsgenossen, sondern auch alle übrigen, auch die, denen die Politik so<lb/>
gleichgiltig war wie der Kaiser von China, dahin, daß sie sich gedrungen<lb/>
fühlten, ihr Scherflein beizutragen und in der kleinen wöchentlichen Steuer<lb/>
den Zauberstab zu sehen, der Tausende und Abertausende von unbekannten<lb/>
Menschen nah und fern zu ihrem Schutz und zur Verfechtung ihrer Interessen<lb/>
herbeizurufen vermöchte. Dieses Traumbild zukünftiger Größe, die man nicht<lb/>
für sich allein, sondern nur in der Gesamtheit und allein durch sie zu finden<lb/>
hoffen darf, erweist sich für immer als mächtig genug, viele Tausende dahin¬<lb/>
zubringen, daß sie nur noch einen Willen haben, geduldig bleiben, wenn es<lb/>
verlangt wird, und unzufrieden erscheinen, wenn der Befehl dazu gegeben<lb/>
ist. Jede Truppe verliert jedoch an Selbstbewußtsein und an Kraft, wenn ihr<lb/>
keine Gelegenheit gegeben wird, ihre Macht zu erproben. Diese Machtproben<lb/>
sind die Streiks, sowohl die, die sich durch die Notlage der Arbeiter recht¬<lb/>
fertigen lassen, wie die andern, von denen man sagt, sie wären vom Zaune<lb/>
gebrochen, und es scheint so, als sähe man einen Streik schon für gelungen<lb/>
an, wenn nichts von dem Boden verloren worden ist, den man vorher inne<lb/>
hatte. Denn die Hauptsache ist ja die, daß bei den Genossen das Gefühl der<lb/>
Gemeinsamkeit durch einen kräftigen Frühlingsregen aufgefrischt wird, und daß<lb/>
den der Führung fernstehenden Arbeiten: das Verständnis aufdämmert, daß<lb/>
sie für sich allein lauter Nullen sind und erst durch den Anschluß an die Or¬<lb/>
ganisation irgend welche Bedeutung erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_756" next="#ID_757"> Im Jahre 1889 war das erste Gefecht geliefert. Wir gebrauchen ab¬<lb/>
sichtlich dieses Kriegsbild, weil es sich bei den Arbeitern selbst der Beliebtheit<lb/>
erfreut hat. Der strategische Plan bestand darin, daß man das Fetter nicht<lb/>
auf der ganzen Linie eröffnen, sondern versuchen wollte, einen Betrieb nach dem<lb/>
andern lahm zu legen, mit den kleinsten beginnend und allmählich zu den großen<lb/>
fortschreitend, oder, wie man sich gräßlicherweise ausdrückte: man wollte die<lb/>
Fabrikanten einzeln abschlachten. So geschah es denn auch bei drei Fabriken,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] Der Tuchmacherstreik in Kottbus fest. Man ertrug es unwillig, daß bei gleicher Arbeitsdauer und vielleicht gleicher Geschicklichkeit die Arbeiter, die in den Fabriken mit der alten Streich¬ garnweberei beschäftigt waren, mit weit geringern Löhnen zufrieden sein mußten als ihre glücklichern Genossen vom Kammgarn, daß vielleicht der junge Sohn oder die Tochter mehr verdiente als der Vater, der auf dem alten Webstuhl geblieben war. Diese Unzufriedenheit zu beachten und sie nicht in der Luft verpuffen zu lassen, sondern sie ihren politischen Zwecken dienstbar zu machen, erkannte die Partei für ihre Aufgabe, deren Programm es ist, die Arbeiter- interesseu vor der Welt zu vertreten. Mit der gewohnten Energie und der Klugheit, die ihr von einer gütigen Fee als Angebinde in die Wiege gelegt zu sein scheint, begann sie ihr Werk; sie untersuchte die Verhältnisse der Ar¬ beiter, organisirte die tausendköpfige Menge, reihte sie nach militärischem Muster in Korporalschasten ein, sammelte Gelder und brachte nicht nur die politischen Gesinnungsgenossen, sondern auch alle übrigen, auch die, denen die Politik so gleichgiltig war wie der Kaiser von China, dahin, daß sie sich gedrungen fühlten, ihr Scherflein beizutragen und in der kleinen wöchentlichen Steuer den Zauberstab zu sehen, der Tausende und Abertausende von unbekannten Menschen nah und fern zu ihrem Schutz und zur Verfechtung ihrer Interessen herbeizurufen vermöchte. Dieses Traumbild zukünftiger Größe, die man nicht für sich allein, sondern nur in der Gesamtheit und allein durch sie zu finden hoffen darf, erweist sich für immer als mächtig genug, viele Tausende dahin¬ zubringen, daß sie nur noch einen Willen haben, geduldig bleiben, wenn es verlangt wird, und unzufrieden erscheinen, wenn der Befehl dazu gegeben ist. Jede Truppe verliert jedoch an Selbstbewußtsein und an Kraft, wenn ihr keine Gelegenheit gegeben wird, ihre Macht zu erproben. Diese Machtproben sind die Streiks, sowohl die, die sich durch die Notlage der Arbeiter recht¬ fertigen lassen, wie die andern, von denen man sagt, sie wären vom Zaune gebrochen, und es scheint so, als sähe man einen Streik schon für gelungen an, wenn nichts von dem Boden verloren worden ist, den man vorher inne hatte. Denn die Hauptsache ist ja die, daß bei den Genossen das Gefühl der Gemeinsamkeit durch einen kräftigen Frühlingsregen aufgefrischt wird, und daß den der Führung fernstehenden Arbeiten: das Verständnis aufdämmert, daß sie für sich allein lauter Nullen sind und erst durch den Anschluß an die Or¬ ganisation irgend welche Bedeutung erhalten. Im Jahre 1889 war das erste Gefecht geliefert. Wir gebrauchen ab¬ sichtlich dieses Kriegsbild, weil es sich bei den Arbeitern selbst der Beliebtheit erfreut hat. Der strategische Plan bestand darin, daß man das Fetter nicht auf der ganzen Linie eröffnen, sondern versuchen wollte, einen Betrieb nach dem andern lahm zu legen, mit den kleinsten beginnend und allmählich zu den großen fortschreitend, oder, wie man sich gräßlicherweise ausdrückte: man wollte die Fabrikanten einzeln abschlachten. So geschah es denn auch bei drei Fabriken,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/256>, abgerufen am 26.06.2024.