Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Recht, so hat es auch die Gesamtheit nicht. Von altbacknen Semmeln stirbt nie¬ Also das Duell ist das harmloseste und gleichgitigste Ding von der Welt. Wie in den Rechtsfragen, so wird in den wirtschaftlichen, namentlich in den Maßgebliches und Unmaßgebliches Recht, so hat es auch die Gesamtheit nicht. Von altbacknen Semmeln stirbt nie¬ Also das Duell ist das harmloseste und gleichgitigste Ding von der Welt. Wie in den Rechtsfragen, so wird in den wirtschaftlichen, namentlich in den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222540"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_702" prev="#ID_701"> Recht, so hat es auch die Gesamtheit nicht. Von altbacknen Semmeln stirbt nie¬<lb/> mand, sie sind im Gegenteil gesünder als die frischen. Es war, nebenbei bemerkt,<lb/> am 22. und 23. April hübsch, zu sehen, wie die Konservativen Arm in Arm mit<lb/> Eugen Richter marschierten, und wie der Minister von Berlepsch zu dieser Schwen¬<lb/> kung der Antimanchesterleute verdutzt dreinschaute. Die Feindschaft gegen das la-issW<lb/> f-i-irs, l^WW Mgr gilt eben bloß für gewisse Fälle, für andre ganz und gar nicht.<lb/> Es gereicht der Regierung zur Ehre, daß der Reichstag, je uach den Inter¬<lb/> essen, um die es sich handelt, bald bevormundungssüchtiger, bald manchesterlicher<lb/> ist als sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_703"> Also das Duell ist das harmloseste und gleichgitigste Ding von der Welt.<lb/> Was aber ganz und gar nicht gleichgiltig ist, das sind zwei damit verknüpfte Um¬<lb/> stände. Erstens wird bei uns das Duell von derselben Gesellschaftsklasse für un¬<lb/> entbehrlich erachtet, die die unhaltbare Fiktion vom christlichen Staat — wie wir<lb/> es in Heft 13 genannt haben — mit aller Gewalt aufrecht erhalten will. Zweitens<lb/> widerspricht sowohl die Gesetzgebung über das Duell als die Anwendung dieser<lb/> Gesetzgebung dem Grundsatze von der Gleichberechtigung aller Bürger in so auf-<lb/> fälliger Weise, daß sich auch diese Gleichberechtigung als eine unhaltbare Fiktion<lb/> enthüllt. Indem nun die „staatserhaltenden," die die Rechtsungleichheit wollen,<lb/> diesen Willen zu verbergen streben und daher den Widerspruch nicht zu sehen vor¬<lb/> geben, die Parteien der Linken ihn aber in allem Ernst aufheben und dadurch die<lb/> völlige Rechtsgleichheit, die eine Utopie ist, verwirklichen wollen, sind die Debatten<lb/> über solche Strafrechtsfragen zur Unfruchtbarkeit verurteilt. Die Sache würde nicht<lb/> besser, sondern noch schlimmer werden, wenn nach dem Antrage des Grafen Bern-<lb/> storff das Duell abgeschafft und dafür eine härtere Bestrafung von Beleidigungen<lb/> beschlossen würde. Denn natürlich ist damit nicht gemeint, daß z. B. ein Wirt¬<lb/> schaftsinspektor strenger bestraft werden foll, der einen Ackerknecht Lumpenhund<lb/> schimpft oder die jungfräuliche Ehre einer Kuhmagd antastet, oder ein Beamter, der<lb/> einen gemeinen Mann durch übereilte Beschuldigung oder Haft in den unverdienten<lb/> Ruf eines Verbrechers bringt. Sollte eine solche Verschärfung nächstens einmal be¬<lb/> schlossen werden, so müßten die Richter, um einem neuen Odium, das sie sich sonst<lb/> zuziehen würden, vorzubeugen, ganz entschieden fordern, daß der Gesetzgeber genau<lb/> angebe, bei welchem Rang und Titel und bei welcher Stufe der Einkommensteuer<lb/> die Ehre anfängt, die des Schutzes durch strenge Bestrafung des Beleidigers würdig<lb/> erachtet wird. Die Grenzboten haben diese Schwierigkeit vor zwei Jahren in den<lb/> Lnienbetrachtungen über unsre Strafrechtspflege ausführlich behandelt; wir gehen<lb/> deshalb heute nicht näher darauf ein, sondern wollen nur an das dort gesagte er¬<lb/> innert haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_704" next="#ID_705"> Wie in den Rechtsfragen, so wird in den wirtschaftlichen, namentlich in den<lb/> Agrarfragen Maskenball gespielt. Nur hie und da guckt einmal dnrch ein Loch<lb/> der Patriotentoga, oder was man sonst für eine Verkleidung wählt, die echte Haut<lb/> des Trägers heraus. So in einem Artikel der Kölnischen Zeitung (Ur. 363) über<lb/> die Zuckerfrage. Nach deu übliche» Klagen über den Reichstag und einer Musterung<lb/> der Parteien heißt es da, falls die Vorlage abgelehnt würde, so würde dadurch<lb/> uicht allein die Lage Deutschlands auf dem Weltmarkte sehr schwierig werden, sondern<lb/> mich „im eignen Lande ein rücksichtsloser Kampf uns Dasein entbrennen, wenn<lb/> keine Kontingentirung den Schwächern Schutz gegen die Stärkern gewährt. Die<lb/> Stürkern find aber die großen Fabriken des Ostens, die sich stetig ausdehnen und<lb/> rücksichtslos weiter wachsen. Sie können bei billigen Grundpreisen und vorzüglichen<lb/> Rüben, bei niedrigen Arbeitslöhnen und billigem Betrieb in großen Unternehmungen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0238]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Recht, so hat es auch die Gesamtheit nicht. Von altbacknen Semmeln stirbt nie¬
mand, sie sind im Gegenteil gesünder als die frischen. Es war, nebenbei bemerkt,
am 22. und 23. April hübsch, zu sehen, wie die Konservativen Arm in Arm mit
Eugen Richter marschierten, und wie der Minister von Berlepsch zu dieser Schwen¬
kung der Antimanchesterleute verdutzt dreinschaute. Die Feindschaft gegen das la-issW
f-i-irs, l^WW Mgr gilt eben bloß für gewisse Fälle, für andre ganz und gar nicht.
Es gereicht der Regierung zur Ehre, daß der Reichstag, je uach den Inter¬
essen, um die es sich handelt, bald bevormundungssüchtiger, bald manchesterlicher
ist als sie.
Also das Duell ist das harmloseste und gleichgitigste Ding von der Welt.
Was aber ganz und gar nicht gleichgiltig ist, das sind zwei damit verknüpfte Um¬
stände. Erstens wird bei uns das Duell von derselben Gesellschaftsklasse für un¬
entbehrlich erachtet, die die unhaltbare Fiktion vom christlichen Staat — wie wir
es in Heft 13 genannt haben — mit aller Gewalt aufrecht erhalten will. Zweitens
widerspricht sowohl die Gesetzgebung über das Duell als die Anwendung dieser
Gesetzgebung dem Grundsatze von der Gleichberechtigung aller Bürger in so auf-
fälliger Weise, daß sich auch diese Gleichberechtigung als eine unhaltbare Fiktion
enthüllt. Indem nun die „staatserhaltenden," die die Rechtsungleichheit wollen,
diesen Willen zu verbergen streben und daher den Widerspruch nicht zu sehen vor¬
geben, die Parteien der Linken ihn aber in allem Ernst aufheben und dadurch die
völlige Rechtsgleichheit, die eine Utopie ist, verwirklichen wollen, sind die Debatten
über solche Strafrechtsfragen zur Unfruchtbarkeit verurteilt. Die Sache würde nicht
besser, sondern noch schlimmer werden, wenn nach dem Antrage des Grafen Bern-
storff das Duell abgeschafft und dafür eine härtere Bestrafung von Beleidigungen
beschlossen würde. Denn natürlich ist damit nicht gemeint, daß z. B. ein Wirt¬
schaftsinspektor strenger bestraft werden foll, der einen Ackerknecht Lumpenhund
schimpft oder die jungfräuliche Ehre einer Kuhmagd antastet, oder ein Beamter, der
einen gemeinen Mann durch übereilte Beschuldigung oder Haft in den unverdienten
Ruf eines Verbrechers bringt. Sollte eine solche Verschärfung nächstens einmal be¬
schlossen werden, so müßten die Richter, um einem neuen Odium, das sie sich sonst
zuziehen würden, vorzubeugen, ganz entschieden fordern, daß der Gesetzgeber genau
angebe, bei welchem Rang und Titel und bei welcher Stufe der Einkommensteuer
die Ehre anfängt, die des Schutzes durch strenge Bestrafung des Beleidigers würdig
erachtet wird. Die Grenzboten haben diese Schwierigkeit vor zwei Jahren in den
Lnienbetrachtungen über unsre Strafrechtspflege ausführlich behandelt; wir gehen
deshalb heute nicht näher darauf ein, sondern wollen nur an das dort gesagte er¬
innert haben.
Wie in den Rechtsfragen, so wird in den wirtschaftlichen, namentlich in den
Agrarfragen Maskenball gespielt. Nur hie und da guckt einmal dnrch ein Loch
der Patriotentoga, oder was man sonst für eine Verkleidung wählt, die echte Haut
des Trägers heraus. So in einem Artikel der Kölnischen Zeitung (Ur. 363) über
die Zuckerfrage. Nach deu übliche» Klagen über den Reichstag und einer Musterung
der Parteien heißt es da, falls die Vorlage abgelehnt würde, so würde dadurch
uicht allein die Lage Deutschlands auf dem Weltmarkte sehr schwierig werden, sondern
mich „im eignen Lande ein rücksichtsloser Kampf uns Dasein entbrennen, wenn
keine Kontingentirung den Schwächern Schutz gegen die Stärkern gewährt. Die
Stürkern find aber die großen Fabriken des Ostens, die sich stetig ausdehnen und
rücksichtslos weiter wachsen. Sie können bei billigen Grundpreisen und vorzüglichen
Rüben, bei niedrigen Arbeitslöhnen und billigem Betrieb in großen Unternehmungen
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