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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Feuer und Schwert im Sudan

zu zertrümmern. Aber man wird schwer entscheiden können, ob er sein Gottes¬
reich ursprünglich rein religiös gemeint oder von Anfang an ehrgeizigen welt¬
lichen Plänen gefolgt habe. Sicherlich bewies er einen scharfen Blick für
die Schwächen dieser Regierung, an deren Mißerfolgen die europäischen Rat¬
schläge und Beamten nicht zum geringen Teile Schuld tragen. Er hatte sich
weitreichende Verbindungen verschafft und war von den Plänen der obersten Leiter
ebenso gut wie von der Brauchbarkeit ihrer Werkzeuge unterrichtet. In seinem
Vorgehen bewies er ein hohes Maß von Klugheit. Aber seine Hauptmacht
war und blieb der religiöse Fanatismus. Deu konnte einst Mohammed selbst
nicht tiefer erregt haben. Die Abschnitte des Buches, die das Walten und Wüten
der entfesselten Leidenschaft der sudanischen Bevölkerung schildern, müßte jeder
Historiker gelesen haben, der große geschichtliche Mächte verstehen will, für die
das heutige Europa, überhaupt die moderne Kultur kein Beispiel weiter bietet.
Die Errichtung dieser Theokrcitie und ihre Erhaltung bei fast vollständiger
Abschließung gegen die Außenwelt, selbst gegen Arabien, zeigt, daß in jenen
Ländern der Islam genau uoch derselbe ist, wie zu der Zeit, wo Mohammed
seine Scharen gegen Mekka führte. Das Aufbäumen gegen das vom Abendland
allmählich zu tief beeinflußte Ägypten war in Wirklichkeit die Auflehnung dieses
im Kern barbarisch gebliebner Volkes gegen die moderne Kultur. Unter dem Ncich-
solger des früh (1885) am Typhus gestorbnen Mahdi -- die neben dem zerstörten
Chartum neu entstandne Stadt Omderman war thatsächlich ein Leichenacker und
Typhusfeld -- traten die weltlichem Beweggründe von Jahr zu Jahr stärker
hervor. Seine Thronbesteigung zeigt aber die menschlich-religiösen noch wirksam.
Schon der Mahdi war vor Blutvergießen nie zurückgeschreckt; hatte er doch
jeden durch zwei Zeugen überwiesenen Zweifler an feiner göttlichen Sendung
durch Abhauen der rechten Hand und des linken Fußes bestraft. Unter Um¬
stünden genügte seine eigne Angabe, daß der Prophet erschienen sei und ihm einen
Mißliebigen als ungläubig bezeichnet habe. Nun trat aber immer deutlicher
das Bestreben hervor, das Gewicht der Macht von den östlichen und Nil-
stümmen zu den westlichen zu verlegen, aus denen der Chalifa stammte. Die
östlichen wurden dabei, als sie sich auflehnten, fast vernichtet. stallr und
mit ihm die treuesten und frömmsten Diener waren keinen Tag vor dem Mi߬
trauen des immer tyrannischer werdenden Chalifa sicher, dessen Halt im Volke
viel schwächer, als der des Mahdi gewesen war.

Das Schlußwort Statius enthält Ausblicke und Ratschläge, die in diesem
Augenblick, wo Ägypten, d. h. England, einen Schlag gegen den Mahdismns
vorbereitet, sehr beherzigenswert sind. Wenn sich England aus der Passivität
aufrafft, mit der es den neuen Ägypten bedrohenden Staat bisher betrachtet
hat, so haben sicherlich die ersten genauen Berichte über die innern Zustände
des Mahdistenstaats daran teil, die stallr 1895 nach Ägypten gebracht hat.
Wir wissen, daß die Begeisterung, die den Mahdi von Sieg zu Sieg führte,


Feuer und Schwert im Sudan

zu zertrümmern. Aber man wird schwer entscheiden können, ob er sein Gottes¬
reich ursprünglich rein religiös gemeint oder von Anfang an ehrgeizigen welt¬
lichen Plänen gefolgt habe. Sicherlich bewies er einen scharfen Blick für
die Schwächen dieser Regierung, an deren Mißerfolgen die europäischen Rat¬
schläge und Beamten nicht zum geringen Teile Schuld tragen. Er hatte sich
weitreichende Verbindungen verschafft und war von den Plänen der obersten Leiter
ebenso gut wie von der Brauchbarkeit ihrer Werkzeuge unterrichtet. In seinem
Vorgehen bewies er ein hohes Maß von Klugheit. Aber seine Hauptmacht
war und blieb der religiöse Fanatismus. Deu konnte einst Mohammed selbst
nicht tiefer erregt haben. Die Abschnitte des Buches, die das Walten und Wüten
der entfesselten Leidenschaft der sudanischen Bevölkerung schildern, müßte jeder
Historiker gelesen haben, der große geschichtliche Mächte verstehen will, für die
das heutige Europa, überhaupt die moderne Kultur kein Beispiel weiter bietet.
Die Errichtung dieser Theokrcitie und ihre Erhaltung bei fast vollständiger
Abschließung gegen die Außenwelt, selbst gegen Arabien, zeigt, daß in jenen
Ländern der Islam genau uoch derselbe ist, wie zu der Zeit, wo Mohammed
seine Scharen gegen Mekka führte. Das Aufbäumen gegen das vom Abendland
allmählich zu tief beeinflußte Ägypten war in Wirklichkeit die Auflehnung dieses
im Kern barbarisch gebliebner Volkes gegen die moderne Kultur. Unter dem Ncich-
solger des früh (1885) am Typhus gestorbnen Mahdi — die neben dem zerstörten
Chartum neu entstandne Stadt Omderman war thatsächlich ein Leichenacker und
Typhusfeld — traten die weltlichem Beweggründe von Jahr zu Jahr stärker
hervor. Seine Thronbesteigung zeigt aber die menschlich-religiösen noch wirksam.
Schon der Mahdi war vor Blutvergießen nie zurückgeschreckt; hatte er doch
jeden durch zwei Zeugen überwiesenen Zweifler an feiner göttlichen Sendung
durch Abhauen der rechten Hand und des linken Fußes bestraft. Unter Um¬
stünden genügte seine eigne Angabe, daß der Prophet erschienen sei und ihm einen
Mißliebigen als ungläubig bezeichnet habe. Nun trat aber immer deutlicher
das Bestreben hervor, das Gewicht der Macht von den östlichen und Nil-
stümmen zu den westlichen zu verlegen, aus denen der Chalifa stammte. Die
östlichen wurden dabei, als sie sich auflehnten, fast vernichtet. stallr und
mit ihm die treuesten und frömmsten Diener waren keinen Tag vor dem Mi߬
trauen des immer tyrannischer werdenden Chalifa sicher, dessen Halt im Volke
viel schwächer, als der des Mahdi gewesen war.

Das Schlußwort Statius enthält Ausblicke und Ratschläge, die in diesem
Augenblick, wo Ägypten, d. h. England, einen Schlag gegen den Mahdismns
vorbereitet, sehr beherzigenswert sind. Wenn sich England aus der Passivität
aufrafft, mit der es den neuen Ägypten bedrohenden Staat bisher betrachtet
hat, so haben sicherlich die ersten genauen Berichte über die innern Zustände
des Mahdistenstaats daran teil, die stallr 1895 nach Ägypten gebracht hat.
Wir wissen, daß die Begeisterung, die den Mahdi von Sieg zu Sieg führte,


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[0023] Feuer und Schwert im Sudan zu zertrümmern. Aber man wird schwer entscheiden können, ob er sein Gottes¬ reich ursprünglich rein religiös gemeint oder von Anfang an ehrgeizigen welt¬ lichen Plänen gefolgt habe. Sicherlich bewies er einen scharfen Blick für die Schwächen dieser Regierung, an deren Mißerfolgen die europäischen Rat¬ schläge und Beamten nicht zum geringen Teile Schuld tragen. Er hatte sich weitreichende Verbindungen verschafft und war von den Plänen der obersten Leiter ebenso gut wie von der Brauchbarkeit ihrer Werkzeuge unterrichtet. In seinem Vorgehen bewies er ein hohes Maß von Klugheit. Aber seine Hauptmacht war und blieb der religiöse Fanatismus. Deu konnte einst Mohammed selbst nicht tiefer erregt haben. Die Abschnitte des Buches, die das Walten und Wüten der entfesselten Leidenschaft der sudanischen Bevölkerung schildern, müßte jeder Historiker gelesen haben, der große geschichtliche Mächte verstehen will, für die das heutige Europa, überhaupt die moderne Kultur kein Beispiel weiter bietet. Die Errichtung dieser Theokrcitie und ihre Erhaltung bei fast vollständiger Abschließung gegen die Außenwelt, selbst gegen Arabien, zeigt, daß in jenen Ländern der Islam genau uoch derselbe ist, wie zu der Zeit, wo Mohammed seine Scharen gegen Mekka führte. Das Aufbäumen gegen das vom Abendland allmählich zu tief beeinflußte Ägypten war in Wirklichkeit die Auflehnung dieses im Kern barbarisch gebliebner Volkes gegen die moderne Kultur. Unter dem Ncich- solger des früh (1885) am Typhus gestorbnen Mahdi — die neben dem zerstörten Chartum neu entstandne Stadt Omderman war thatsächlich ein Leichenacker und Typhusfeld — traten die weltlichem Beweggründe von Jahr zu Jahr stärker hervor. Seine Thronbesteigung zeigt aber die menschlich-religiösen noch wirksam. Schon der Mahdi war vor Blutvergießen nie zurückgeschreckt; hatte er doch jeden durch zwei Zeugen überwiesenen Zweifler an feiner göttlichen Sendung durch Abhauen der rechten Hand und des linken Fußes bestraft. Unter Um¬ stünden genügte seine eigne Angabe, daß der Prophet erschienen sei und ihm einen Mißliebigen als ungläubig bezeichnet habe. Nun trat aber immer deutlicher das Bestreben hervor, das Gewicht der Macht von den östlichen und Nil- stümmen zu den westlichen zu verlegen, aus denen der Chalifa stammte. Die östlichen wurden dabei, als sie sich auflehnten, fast vernichtet. stallr und mit ihm die treuesten und frömmsten Diener waren keinen Tag vor dem Mi߬ trauen des immer tyrannischer werdenden Chalifa sicher, dessen Halt im Volke viel schwächer, als der des Mahdi gewesen war. Das Schlußwort Statius enthält Ausblicke und Ratschläge, die in diesem Augenblick, wo Ägypten, d. h. England, einen Schlag gegen den Mahdismns vorbereitet, sehr beherzigenswert sind. Wenn sich England aus der Passivität aufrafft, mit der es den neuen Ägypten bedrohenden Staat bisher betrachtet hat, so haben sicherlich die ersten genauen Berichte über die innern Zustände des Mahdistenstaats daran teil, die stallr 1895 nach Ägypten gebracht hat. Wir wissen, daß die Begeisterung, die den Mahdi von Sieg zu Sieg führte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/23>, abgerufen am 02.10.2024.