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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Zwischenhandel

Küchengeräte. Uhlenhorst geht auf die Wäschehändler näher ein und kommt
zu dem Schluß, daß die Arbeit, die von ihnen mit 326000 Mark Kosten ge¬
leistet wird, sür 30000 Mark Kosten zu leisten wäre. Die Zersplitterung er¬
höhe außerdem die Kosten für Reinigung und Reklame; der Bedarf des Ein¬
zelnen werde so klein, daß er auf die zweite oder dritte Hand angewiesen sei,
wodurch ein Heer von Zwischenhändlern samt ihren Reisenden mit ernährt
werden müsse. Der Preis der Produkte aber werde doppelt so hoch als ihre
Herstellungskosten. Weiter erzählt der Verfasser noch, daß eine Fünfpfennig-
eigarre dem Zwischenhändler 24 Mark das Tausend koste (5 Prozent gingen
bei Barzahlung noch ab). Dazu schreibt er: In Deutschland werden 6 Mil¬
lionen Kisten solcher Cigarren fabrizirt. Der Raucher zahlt also 300 Mil¬
lionen Mark. Davon empfangen Tabakbauer, Fabrikant, alle Arbeiter, die ver-
schiednen Transporteure, die Verfertiger der Emballage ufm. 144 Millionen
Mark, der Detaillist 156 Millionen.

Dies sind die Beispiele, die Uhlenhorst giebt, und sie sind typisch für die
Bilder, die sich oberflächliche Zuschauer von den Folgen einer in ihren Ur¬
sachen nicht begriffnen Erscheinung machen.

Die Wahrheit ist, daß der Handel niemals seine volkswirtschaftlichen Auf¬
gaben besser erfüllt hat als heute, und daß gerade die für des Lebens Not¬
durft wichtigsten Gebrauchsgütcr im Verkehr niemals weniger verteuert worden
sind als in unsern Tagen. Zu dieser Überzeugung kommen wir, wenn wir
uns die Folgen der Entwicklung klar macheu, zu der die unmittelbar Betei¬
ligten allerdings stets von ihrem Egoismus und ihrem Selbsterhaltungstrieb
gedrängt worden sind.

An einem einzelnen Artikel kann man die Entwicklung, die der Handel
durchgemacht hat, am besten sehen. Ich schlage die Berliner Lederware vor.
da ihre Einführung auf den deutschen Markt ungefähr mit dem Beginn des
Aufschwungs im Verkehrswesen zusammenfällt.

Geldbeutel, Portemonnaies, Visitenkartentaschen, Handtaschen usw. wurden
früher von den Täschnern hergestellt. Doch verarbeiteten diese oft andre
Stoffe als Leder -- man denke an die Geldbörsen --, sodaß man sagen kann,
die Lederwareuindustrie habe die herkömmlichen Bedürfnisse durch neue Arten
von Gebrauchsgütcrn befriedigt. Ihre Erzeugnisse waren anfänglich meist
Luxuserzeuguisse: noch vor dreißig Jahren z. B. trugen nur reiche Leute Porte¬
monnaies. Die Herstellung geschah anfänglich ganz und geschieht noch heute
zum Teil in der Hausindustrie. Allmählich kamen aber die großen Betriebe
auf. Die verwendeten Schlösser sind ausschließlich Erzeugnisse ganz großer
Fabriken.

Als nun die Berliner Lederindustrie auskam, d. h. als kapitalistische Unter¬
nehmer, als "Verleger" bei Täschnermeistern Beutel, Portemonnaies und Taschen
anfertigen ließen, um die Ware in ganz Deutschland zu vertreiben, begann der


Der Zwischenhandel

Küchengeräte. Uhlenhorst geht auf die Wäschehändler näher ein und kommt
zu dem Schluß, daß die Arbeit, die von ihnen mit 326000 Mark Kosten ge¬
leistet wird, sür 30000 Mark Kosten zu leisten wäre. Die Zersplitterung er¬
höhe außerdem die Kosten für Reinigung und Reklame; der Bedarf des Ein¬
zelnen werde so klein, daß er auf die zweite oder dritte Hand angewiesen sei,
wodurch ein Heer von Zwischenhändlern samt ihren Reisenden mit ernährt
werden müsse. Der Preis der Produkte aber werde doppelt so hoch als ihre
Herstellungskosten. Weiter erzählt der Verfasser noch, daß eine Fünfpfennig-
eigarre dem Zwischenhändler 24 Mark das Tausend koste (5 Prozent gingen
bei Barzahlung noch ab). Dazu schreibt er: In Deutschland werden 6 Mil¬
lionen Kisten solcher Cigarren fabrizirt. Der Raucher zahlt also 300 Mil¬
lionen Mark. Davon empfangen Tabakbauer, Fabrikant, alle Arbeiter, die ver-
schiednen Transporteure, die Verfertiger der Emballage ufm. 144 Millionen
Mark, der Detaillist 156 Millionen.

Dies sind die Beispiele, die Uhlenhorst giebt, und sie sind typisch für die
Bilder, die sich oberflächliche Zuschauer von den Folgen einer in ihren Ur¬
sachen nicht begriffnen Erscheinung machen.

Die Wahrheit ist, daß der Handel niemals seine volkswirtschaftlichen Auf¬
gaben besser erfüllt hat als heute, und daß gerade die für des Lebens Not¬
durft wichtigsten Gebrauchsgütcr im Verkehr niemals weniger verteuert worden
sind als in unsern Tagen. Zu dieser Überzeugung kommen wir, wenn wir
uns die Folgen der Entwicklung klar macheu, zu der die unmittelbar Betei¬
ligten allerdings stets von ihrem Egoismus und ihrem Selbsterhaltungstrieb
gedrängt worden sind.

An einem einzelnen Artikel kann man die Entwicklung, die der Handel
durchgemacht hat, am besten sehen. Ich schlage die Berliner Lederware vor.
da ihre Einführung auf den deutschen Markt ungefähr mit dem Beginn des
Aufschwungs im Verkehrswesen zusammenfällt.

Geldbeutel, Portemonnaies, Visitenkartentaschen, Handtaschen usw. wurden
früher von den Täschnern hergestellt. Doch verarbeiteten diese oft andre
Stoffe als Leder — man denke an die Geldbörsen —, sodaß man sagen kann,
die Lederwareuindustrie habe die herkömmlichen Bedürfnisse durch neue Arten
von Gebrauchsgütcrn befriedigt. Ihre Erzeugnisse waren anfänglich meist
Luxuserzeuguisse: noch vor dreißig Jahren z. B. trugen nur reiche Leute Porte¬
monnaies. Die Herstellung geschah anfänglich ganz und geschieht noch heute
zum Teil in der Hausindustrie. Allmählich kamen aber die großen Betriebe
auf. Die verwendeten Schlösser sind ausschließlich Erzeugnisse ganz großer
Fabriken.

Als nun die Berliner Lederindustrie auskam, d. h. als kapitalistische Unter¬
nehmer, als „Verleger" bei Täschnermeistern Beutel, Portemonnaies und Taschen
anfertigen ließen, um die Ware in ganz Deutschland zu vertreiben, begann der


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[0016] Der Zwischenhandel Küchengeräte. Uhlenhorst geht auf die Wäschehändler näher ein und kommt zu dem Schluß, daß die Arbeit, die von ihnen mit 326000 Mark Kosten ge¬ leistet wird, sür 30000 Mark Kosten zu leisten wäre. Die Zersplitterung er¬ höhe außerdem die Kosten für Reinigung und Reklame; der Bedarf des Ein¬ zelnen werde so klein, daß er auf die zweite oder dritte Hand angewiesen sei, wodurch ein Heer von Zwischenhändlern samt ihren Reisenden mit ernährt werden müsse. Der Preis der Produkte aber werde doppelt so hoch als ihre Herstellungskosten. Weiter erzählt der Verfasser noch, daß eine Fünfpfennig- eigarre dem Zwischenhändler 24 Mark das Tausend koste (5 Prozent gingen bei Barzahlung noch ab). Dazu schreibt er: In Deutschland werden 6 Mil¬ lionen Kisten solcher Cigarren fabrizirt. Der Raucher zahlt also 300 Mil¬ lionen Mark. Davon empfangen Tabakbauer, Fabrikant, alle Arbeiter, die ver- schiednen Transporteure, die Verfertiger der Emballage ufm. 144 Millionen Mark, der Detaillist 156 Millionen. Dies sind die Beispiele, die Uhlenhorst giebt, und sie sind typisch für die Bilder, die sich oberflächliche Zuschauer von den Folgen einer in ihren Ur¬ sachen nicht begriffnen Erscheinung machen. Die Wahrheit ist, daß der Handel niemals seine volkswirtschaftlichen Auf¬ gaben besser erfüllt hat als heute, und daß gerade die für des Lebens Not¬ durft wichtigsten Gebrauchsgütcr im Verkehr niemals weniger verteuert worden sind als in unsern Tagen. Zu dieser Überzeugung kommen wir, wenn wir uns die Folgen der Entwicklung klar macheu, zu der die unmittelbar Betei¬ ligten allerdings stets von ihrem Egoismus und ihrem Selbsterhaltungstrieb gedrängt worden sind. An einem einzelnen Artikel kann man die Entwicklung, die der Handel durchgemacht hat, am besten sehen. Ich schlage die Berliner Lederware vor. da ihre Einführung auf den deutschen Markt ungefähr mit dem Beginn des Aufschwungs im Verkehrswesen zusammenfällt. Geldbeutel, Portemonnaies, Visitenkartentaschen, Handtaschen usw. wurden früher von den Täschnern hergestellt. Doch verarbeiteten diese oft andre Stoffe als Leder — man denke an die Geldbörsen —, sodaß man sagen kann, die Lederwareuindustrie habe die herkömmlichen Bedürfnisse durch neue Arten von Gebrauchsgütcrn befriedigt. Ihre Erzeugnisse waren anfänglich meist Luxuserzeuguisse: noch vor dreißig Jahren z. B. trugen nur reiche Leute Porte¬ monnaies. Die Herstellung geschah anfänglich ganz und geschieht noch heute zum Teil in der Hausindustrie. Allmählich kamen aber die großen Betriebe auf. Die verwendeten Schlösser sind ausschließlich Erzeugnisse ganz großer Fabriken. Als nun die Berliner Lederindustrie auskam, d. h. als kapitalistische Unter¬ nehmer, als „Verleger" bei Täschnermeistern Beutel, Portemonnaies und Taschen anfertigen ließen, um die Ware in ganz Deutschland zu vertreiben, begann der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/16>, abgerufen am 24.08.2024.