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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Wilbrandt

überwältigen wollen, so tritt er uns doch in sich gesammelt und vorwärts
blickend in dieser Lyrik gegenüber.

Und nun entsprach unter all seinen Romanen der tiefpoetische und groß
angelegte Roman "Adams Söhne" (1890) dem Grundzug und Grundton der
Wilbrcmdtschen Lyrik am stärksten, ja er stellt sich in gewissem Sinne als eine
Verkörperung dieser Lyrik dar. Schon der doppelte Schauplatz, im deutschen
Süden die zauberische Landschaft am Untersberg und das norddeutsche Gut
am Rande der Ostsee, wirkt wie ein Spiegel von des Dichters eignem Leben,
die Begebenheiten, die rasch aufeinanderfolgen, haben die warme, eigentümliche
Färbung individueller Erlebnisse und erheben sich doch zu typischer Bedeu¬
tung. Die durch alle Schicksalswechsel und Prüfungen hindurchgehende Grund-
stimmung spricht sich in einem kurzen Monolog des Helden, des stattlichen
Gutsbesitzers Wittekind aus, als dieser im Beginn des zweiten Teils hohen,
weißen, leuchtenden Segeln nachsieht, die wie Riesenschmetterlinge auf dem Fluß
vorüberziehen. "Es ging ihm wunderlich, seine Seele schien sich zu öffnen.
Ihm war, als zögen da beflügelte Seelen hin, ins blaue Leben hinein. Freie,
tapfere Seelen, die sich aufgemacht. Spann deine Flügel aus! sagte seine
Stimme, ihn selber überraschend. Ja, wiederholte er sich mit wachsendem,
schwellendem Bewußtsein: spann deine Flügel aus! Schwing dich ans! Sei
ein Mann! El, das Leben wär wunderleicht, wenn es nur gute Stunden hätte,
die von selber auffliegen. Heut aber heißt es: zeig, was du kannst, wer du
bist!" Es ist ein hübsches Stück Welt und Weltverwirrung, das durch den
Roman hindurchgeht, bis der tapfre Wittekind, der sich von der Jugend nicht
trennen will, die anmutige, kluge und schwer geprüfte Marie von Tarnow, die
zuletzt noch zwischen ihm und seinem Sohn Berthold gestanden hat, auf sein
Gut führen darf. Aber die Zuversicht, mit der sich gleich im Anfang Witte¬
kind und der alte Saltner auf dem Wege nach Grödig begrüßen, daß der ger¬
manische Zug zu einer zweiten Jugend, die geistige Unverwüstlichkeit, die bis
ins hohe Alter schaffen, wirken, leben, nicht bloß genießen und zusehen will,
einen tiefern Zweck haben müsse, bewährt sich durch die bunten Abenteuer des
Romans hindurch, der unter allen Wilbrandtschen als der bewegteste und
lebensvollste gelten darf. Die Gestalten sind zahlreicher als in seinen sonstigen
Romanen, und wenn ein paar, wie Graf Lana, wie der schuftige Sekretär
Riedau, wie der Lebenskünstler von Waldenburg und sein Verlorner Sohn
Eugen an frühere Nomcmsignren erinnern, so ist das kein Vorwurf für den
Dichter, sondern für einen gewissen Teil der guten Gesellschaft, in dein sich
die Gesichter so ähnlich sehen. Um so origineller sind dann die warmen Menschen¬
gestalten, die Wilbrandt mit allem Guten ausstattet, was in ihm selbst lebt:
Ulrich Saltner, Wittekind, sein Sohn Berthold und Marie. Der alte Pracht¬
mensch Saltner, der so fest an die Seelenwanderung glaubt und sich noch so
tapfer im letzten Kampfe mit dem meuchlerischen Gesindel bewährt, hält gleichsam


Adolf Wilbrandt

überwältigen wollen, so tritt er uns doch in sich gesammelt und vorwärts
blickend in dieser Lyrik gegenüber.

Und nun entsprach unter all seinen Romanen der tiefpoetische und groß
angelegte Roman „Adams Söhne" (1890) dem Grundzug und Grundton der
Wilbrcmdtschen Lyrik am stärksten, ja er stellt sich in gewissem Sinne als eine
Verkörperung dieser Lyrik dar. Schon der doppelte Schauplatz, im deutschen
Süden die zauberische Landschaft am Untersberg und das norddeutsche Gut
am Rande der Ostsee, wirkt wie ein Spiegel von des Dichters eignem Leben,
die Begebenheiten, die rasch aufeinanderfolgen, haben die warme, eigentümliche
Färbung individueller Erlebnisse und erheben sich doch zu typischer Bedeu¬
tung. Die durch alle Schicksalswechsel und Prüfungen hindurchgehende Grund-
stimmung spricht sich in einem kurzen Monolog des Helden, des stattlichen
Gutsbesitzers Wittekind aus, als dieser im Beginn des zweiten Teils hohen,
weißen, leuchtenden Segeln nachsieht, die wie Riesenschmetterlinge auf dem Fluß
vorüberziehen. „Es ging ihm wunderlich, seine Seele schien sich zu öffnen.
Ihm war, als zögen da beflügelte Seelen hin, ins blaue Leben hinein. Freie,
tapfere Seelen, die sich aufgemacht. Spann deine Flügel aus! sagte seine
Stimme, ihn selber überraschend. Ja, wiederholte er sich mit wachsendem,
schwellendem Bewußtsein: spann deine Flügel aus! Schwing dich ans! Sei
ein Mann! El, das Leben wär wunderleicht, wenn es nur gute Stunden hätte,
die von selber auffliegen. Heut aber heißt es: zeig, was du kannst, wer du
bist!" Es ist ein hübsches Stück Welt und Weltverwirrung, das durch den
Roman hindurchgeht, bis der tapfre Wittekind, der sich von der Jugend nicht
trennen will, die anmutige, kluge und schwer geprüfte Marie von Tarnow, die
zuletzt noch zwischen ihm und seinem Sohn Berthold gestanden hat, auf sein
Gut führen darf. Aber die Zuversicht, mit der sich gleich im Anfang Witte¬
kind und der alte Saltner auf dem Wege nach Grödig begrüßen, daß der ger¬
manische Zug zu einer zweiten Jugend, die geistige Unverwüstlichkeit, die bis
ins hohe Alter schaffen, wirken, leben, nicht bloß genießen und zusehen will,
einen tiefern Zweck haben müsse, bewährt sich durch die bunten Abenteuer des
Romans hindurch, der unter allen Wilbrandtschen als der bewegteste und
lebensvollste gelten darf. Die Gestalten sind zahlreicher als in seinen sonstigen
Romanen, und wenn ein paar, wie Graf Lana, wie der schuftige Sekretär
Riedau, wie der Lebenskünstler von Waldenburg und sein Verlorner Sohn
Eugen an frühere Nomcmsignren erinnern, so ist das kein Vorwurf für den
Dichter, sondern für einen gewissen Teil der guten Gesellschaft, in dein sich
die Gesichter so ähnlich sehen. Um so origineller sind dann die warmen Menschen¬
gestalten, die Wilbrandt mit allem Guten ausstattet, was in ihm selbst lebt:
Ulrich Saltner, Wittekind, sein Sohn Berthold und Marie. Der alte Pracht¬
mensch Saltner, der so fest an die Seelenwanderung glaubt und sich noch so
tapfer im letzten Kampfe mit dem meuchlerischen Gesindel bewährt, hält gleichsam


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[0142] Adolf Wilbrandt überwältigen wollen, so tritt er uns doch in sich gesammelt und vorwärts blickend in dieser Lyrik gegenüber. Und nun entsprach unter all seinen Romanen der tiefpoetische und groß angelegte Roman „Adams Söhne" (1890) dem Grundzug und Grundton der Wilbrcmdtschen Lyrik am stärksten, ja er stellt sich in gewissem Sinne als eine Verkörperung dieser Lyrik dar. Schon der doppelte Schauplatz, im deutschen Süden die zauberische Landschaft am Untersberg und das norddeutsche Gut am Rande der Ostsee, wirkt wie ein Spiegel von des Dichters eignem Leben, die Begebenheiten, die rasch aufeinanderfolgen, haben die warme, eigentümliche Färbung individueller Erlebnisse und erheben sich doch zu typischer Bedeu¬ tung. Die durch alle Schicksalswechsel und Prüfungen hindurchgehende Grund- stimmung spricht sich in einem kurzen Monolog des Helden, des stattlichen Gutsbesitzers Wittekind aus, als dieser im Beginn des zweiten Teils hohen, weißen, leuchtenden Segeln nachsieht, die wie Riesenschmetterlinge auf dem Fluß vorüberziehen. „Es ging ihm wunderlich, seine Seele schien sich zu öffnen. Ihm war, als zögen da beflügelte Seelen hin, ins blaue Leben hinein. Freie, tapfere Seelen, die sich aufgemacht. Spann deine Flügel aus! sagte seine Stimme, ihn selber überraschend. Ja, wiederholte er sich mit wachsendem, schwellendem Bewußtsein: spann deine Flügel aus! Schwing dich ans! Sei ein Mann! El, das Leben wär wunderleicht, wenn es nur gute Stunden hätte, die von selber auffliegen. Heut aber heißt es: zeig, was du kannst, wer du bist!" Es ist ein hübsches Stück Welt und Weltverwirrung, das durch den Roman hindurchgeht, bis der tapfre Wittekind, der sich von der Jugend nicht trennen will, die anmutige, kluge und schwer geprüfte Marie von Tarnow, die zuletzt noch zwischen ihm und seinem Sohn Berthold gestanden hat, auf sein Gut führen darf. Aber die Zuversicht, mit der sich gleich im Anfang Witte¬ kind und der alte Saltner auf dem Wege nach Grödig begrüßen, daß der ger¬ manische Zug zu einer zweiten Jugend, die geistige Unverwüstlichkeit, die bis ins hohe Alter schaffen, wirken, leben, nicht bloß genießen und zusehen will, einen tiefern Zweck haben müsse, bewährt sich durch die bunten Abenteuer des Romans hindurch, der unter allen Wilbrandtschen als der bewegteste und lebensvollste gelten darf. Die Gestalten sind zahlreicher als in seinen sonstigen Romanen, und wenn ein paar, wie Graf Lana, wie der schuftige Sekretär Riedau, wie der Lebenskünstler von Waldenburg und sein Verlorner Sohn Eugen an frühere Nomcmsignren erinnern, so ist das kein Vorwurf für den Dichter, sondern für einen gewissen Teil der guten Gesellschaft, in dein sich die Gesichter so ähnlich sehen. Um so origineller sind dann die warmen Menschen¬ gestalten, die Wilbrandt mit allem Guten ausstattet, was in ihm selbst lebt: Ulrich Saltner, Wittekind, sein Sohn Berthold und Marie. Der alte Pracht¬ mensch Saltner, der so fest an die Seelenwanderung glaubt und sich noch so tapfer im letzten Kampfe mit dem meuchlerischen Gesindel bewährt, hält gleichsam

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/142>, abgerufen am 24.08.2024.