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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen ans der Franzosenzeit

meine spätern Erfahrungen mit zu Hilfe nehme, so drängt sich mir die voll¬
ständige Überzeugung auf, daß es niemals Truppen gab, die unfähiger waren,
ihre Pflicht im Felde zu thun, als diese Preußen von damals, und daß diese
Unfähigkeit ganz allein in der aristokratischen Aufgeblasenheit und Unwissen¬
heit der Offiziere ihren Grund hatte, denn die Soldaten waren ein gar wackrer
Schlag Menschen." Einen schönen Zug des unverwüstlichen französischen
Nationalgefühls erzählt er aus seiner Jugendzeit. Er hatte einen Vertriebnen
französischen Marquis als Hauslehrer. Erst später, als dieser auf seine Güter
zurückkehren durfte, nannte er der Familie seinen Namen und Stand. Bis
dahin lebte er als armer Emigrant unter angenommnen Namen im Bösischen
Hause. Dieser Mann glaubte trotz alles persönlichen Unglücks fest an eine
sittliche Weltordnung und an eine Wiedervergeltung auch im Völkerleben. Als
aber die Deutschen 1792 in Frankreich einrückten, um dort die alte Ordnung
herzustellen, prophezeite er ihnen Strafe für dieses Unrecht, nicht seinem Vater¬
lande, das ihn vertrieben hatte. Und das predigte er nun seinem Zögling
täglich, er, der Verbannte, der in fremdem Lande das Gnadenbrod aß! Solche
Züge sollen wir Deutschen nicht vergessen, wenn wir auch leider praktisch nichts
daraus lernen werden.

Am lebendigsten versetzt es uns immer in die vergangne Zeit zurück,
wenn wir, was uns die Geschichte in großen Zügen erzählt hat, in den Ein¬
drücken wiederfinden, die dergleichen auf kleinere Kreise schlicht und treu be¬
richtender Menschen gemacht hat. Das sehen wir wieder recht an dem eben
erschienenen kleinen Buche eines kürzlich verstorbnen schlesischen Gymnasial¬
lehrers: Aus der Franzosenzeit. Was der Großvater und die Großmutter
erzählten. Von August Knötel (Leipzig, Grunow, 1896). Die Geschichten,
die der Verfasser nach Mitteilungen seiner Vorfahren erzählt, beziehen sich auf
die Grafschaft Glatz. Freunde des schlesischen Volkslebens im vorigen Jahr¬
hundert finden darin viel hübsches über Volkstum und Sitte, auch über das
Leben in Staat und Gemeinde, wie es sich vom Ende des siebenjährigen
Krieges bis in die napoleonische Zeit in diesem Teile der preußischen Mon¬
archie entwickelt hat. In den Zug der großen Weltbegebenheiten lenkt die
Erzählung ein mit dem Jahre 1806, wo nach der Schlacht bei Jena die schle¬
sischen Festungen fielen. Des Verfassers Vater, ein kleiner Landbesitzer und
Glashündler, hat am Kriege teil genommen bis zum Friedensschlüsse nach dem
Einzug in Paris. Besonders eingehend wird die Belagerung der Festungen
Glatz, Silberberg und Reiße geschildert, die Graf Götzen gegen Jerome und
Vandamme mit äußerster Anstrengung wenigstens so lange hielt, daß die Ab¬
tretung Schlesiens an Napoleon im Tilsiter Frieden dadurch abgewendet werden
konnte. Diese Ereignisse und Götzens Verdienste finden hier eine eingehendere
Würdigung, als sie ihnen in der herkömmlichen Auffassung zu teil wird. Sitten¬
geschichtlich wichtig sind die Mitteilungen über Vandamme, über das Gebahren


Erinnerungen ans der Franzosenzeit

meine spätern Erfahrungen mit zu Hilfe nehme, so drängt sich mir die voll¬
ständige Überzeugung auf, daß es niemals Truppen gab, die unfähiger waren,
ihre Pflicht im Felde zu thun, als diese Preußen von damals, und daß diese
Unfähigkeit ganz allein in der aristokratischen Aufgeblasenheit und Unwissen¬
heit der Offiziere ihren Grund hatte, denn die Soldaten waren ein gar wackrer
Schlag Menschen." Einen schönen Zug des unverwüstlichen französischen
Nationalgefühls erzählt er aus seiner Jugendzeit. Er hatte einen Vertriebnen
französischen Marquis als Hauslehrer. Erst später, als dieser auf seine Güter
zurückkehren durfte, nannte er der Familie seinen Namen und Stand. Bis
dahin lebte er als armer Emigrant unter angenommnen Namen im Bösischen
Hause. Dieser Mann glaubte trotz alles persönlichen Unglücks fest an eine
sittliche Weltordnung und an eine Wiedervergeltung auch im Völkerleben. Als
aber die Deutschen 1792 in Frankreich einrückten, um dort die alte Ordnung
herzustellen, prophezeite er ihnen Strafe für dieses Unrecht, nicht seinem Vater¬
lande, das ihn vertrieben hatte. Und das predigte er nun seinem Zögling
täglich, er, der Verbannte, der in fremdem Lande das Gnadenbrod aß! Solche
Züge sollen wir Deutschen nicht vergessen, wenn wir auch leider praktisch nichts
daraus lernen werden.

Am lebendigsten versetzt es uns immer in die vergangne Zeit zurück,
wenn wir, was uns die Geschichte in großen Zügen erzählt hat, in den Ein¬
drücken wiederfinden, die dergleichen auf kleinere Kreise schlicht und treu be¬
richtender Menschen gemacht hat. Das sehen wir wieder recht an dem eben
erschienenen kleinen Buche eines kürzlich verstorbnen schlesischen Gymnasial¬
lehrers: Aus der Franzosenzeit. Was der Großvater und die Großmutter
erzählten. Von August Knötel (Leipzig, Grunow, 1896). Die Geschichten,
die der Verfasser nach Mitteilungen seiner Vorfahren erzählt, beziehen sich auf
die Grafschaft Glatz. Freunde des schlesischen Volkslebens im vorigen Jahr¬
hundert finden darin viel hübsches über Volkstum und Sitte, auch über das
Leben in Staat und Gemeinde, wie es sich vom Ende des siebenjährigen
Krieges bis in die napoleonische Zeit in diesem Teile der preußischen Mon¬
archie entwickelt hat. In den Zug der großen Weltbegebenheiten lenkt die
Erzählung ein mit dem Jahre 1806, wo nach der Schlacht bei Jena die schle¬
sischen Festungen fielen. Des Verfassers Vater, ein kleiner Landbesitzer und
Glashündler, hat am Kriege teil genommen bis zum Friedensschlüsse nach dem
Einzug in Paris. Besonders eingehend wird die Belagerung der Festungen
Glatz, Silberberg und Reiße geschildert, die Graf Götzen gegen Jerome und
Vandamme mit äußerster Anstrengung wenigstens so lange hielt, daß die Ab¬
tretung Schlesiens an Napoleon im Tilsiter Frieden dadurch abgewendet werden
konnte. Diese Ereignisse und Götzens Verdienste finden hier eine eingehendere
Würdigung, als sie ihnen in der herkömmlichen Auffassung zu teil wird. Sitten¬
geschichtlich wichtig sind die Mitteilungen über Vandamme, über das Gebahren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/134>, abgerufen am 03.07.2024.