Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
August "Loute und der Positivismus

zu Zwang, Unterdrückung und Klassenherrschaft führen, unverträglich mit Fort¬
schritt und Frieden, mit deu Interessen des Volkes und einer guten Negierung
sind. Dreierlei ist sür diese militärischen Großstaaten der Gegenwart be¬
zeichnend: s.) sie beruhen auf kriegerischer Organisation und halten nur durch
Gewalt zusammen; b) ganz besonders aber zeigt sich in der Behandlung
schwächerer und weniger zivilisirter Nassen der ihnen zu Grunde liegende Geist
der Herrschsucht und Habgier. Das zeige sich, meint Harrison, jetzt besonders in
Afrika. Soldaten, Entdecker, Geographen und Missionare seien -- wenn auch
vielfach unbewußt -- mit Zeitungsschreibern und Kaufleuten daran, Afrika aus¬
zuplündern und in Sklaveubande zu schlagen. Das Gerede von Wissenschaft,
Zivilisation, Christentum, Abschaffung der Sklaverei, Unterdrückung des Krieges
diene lediglich dazu, die Triebfedern der Habgier und Herrschsucht zu ver¬
schleiern. ") Ganz ebenso gewaltsam aber gehen nach Ansicht der Posttivisten
die besitzenden Klassen in der Form militärisch organisirter Großstaaten gegen die
untern in ihrer Heimat vor. Ja die erwachende Furcht vor dem Umschwunge
der Macht, den sie selbst durch Demokratisirung der Verfassung vorbereitet
hätten, sei ein neuer Grund für sie, die militärische Organisation festzuhalten,
durch die sie ihre Herrschaft zu verteidigen hofften." Hierzu bemerkt Schulze-
Gävernitz mit Recht, die militärische Organisation Europas sei zum Teil
wenigstens dem Drucke zuzuschreiben, den der Osten auf deu Westen ausübt.
"Der Osten, in positivistischer Sprechweise, steht ans der theologischen Stufe,
ist seiner Natur nach kriegerisch und'würde den Westen überschwemmen, die
Geschichte um Jahrhunderte zurückstellen, wenn der Westen seine militärische
Organisation aufgäbe."

Die Pariser Kommune haben die englischen Posttivisten als einen Anfang
zur Auflösung der Staatsungeheuer in kleine Republiken begrüßt (die Greuel
der Kommune schreiben sie nicht den Kvmmunards, sondern den Regierungs-
truppeu zu). Die Sozialisten und Kommunisten werden als Wegbahner will¬
kommen geheißen, aber ihr Zukunftstraum wird nicht gebilligt. Nach Ansicht
der Posttivisten soll in dem industriellen Zeitalter die Scheidung der pro¬
duktiven Bevölkerung in Unternehmer und Arbeiter bestehen, und den Unter¬
nehmern volle Freiheit gewahrt bleibe", nnr daß sie ihre Thätigkeit als eine
Aufgabe im Dienste der Gesamtheit aufzufassen haben. Die einzelnen Gro߬
unternehmen, in die die kleinen, mit einander in freundschaftlicher Wechsel-
wirkung lebenden Gemeinwesen zerfallen werden, werden nicht kollektivistisch
oder parlamentarisch, sondern monarchisch geleitet werden; denn auch darin
berührt sich der Positivismus mit Carlyle, daß er durchweg die monarchische
Leitung und die persönliche Verantwortung des einen Regierenden den Kol-
lektivregierungcn, bei denen kein Einzelner verantwortlich gemacht und gefaßt
werden kann, vorzieht. Dadurch aber werden die Arbeiter nicht machtlos
werden, vielmehr als Träger der kontrollirenden öffentlichen Meinung bei der


August «Loute und der Positivismus

zu Zwang, Unterdrückung und Klassenherrschaft führen, unverträglich mit Fort¬
schritt und Frieden, mit deu Interessen des Volkes und einer guten Negierung
sind. Dreierlei ist sür diese militärischen Großstaaten der Gegenwart be¬
zeichnend: s.) sie beruhen auf kriegerischer Organisation und halten nur durch
Gewalt zusammen; b) ganz besonders aber zeigt sich in der Behandlung
schwächerer und weniger zivilisirter Nassen der ihnen zu Grunde liegende Geist
der Herrschsucht und Habgier. Das zeige sich, meint Harrison, jetzt besonders in
Afrika. Soldaten, Entdecker, Geographen und Missionare seien — wenn auch
vielfach unbewußt — mit Zeitungsschreibern und Kaufleuten daran, Afrika aus¬
zuplündern und in Sklaveubande zu schlagen. Das Gerede von Wissenschaft,
Zivilisation, Christentum, Abschaffung der Sklaverei, Unterdrückung des Krieges
diene lediglich dazu, die Triebfedern der Habgier und Herrschsucht zu ver¬
schleiern. «) Ganz ebenso gewaltsam aber gehen nach Ansicht der Posttivisten
die besitzenden Klassen in der Form militärisch organisirter Großstaaten gegen die
untern in ihrer Heimat vor. Ja die erwachende Furcht vor dem Umschwunge
der Macht, den sie selbst durch Demokratisirung der Verfassung vorbereitet
hätten, sei ein neuer Grund für sie, die militärische Organisation festzuhalten,
durch die sie ihre Herrschaft zu verteidigen hofften." Hierzu bemerkt Schulze-
Gävernitz mit Recht, die militärische Organisation Europas sei zum Teil
wenigstens dem Drucke zuzuschreiben, den der Osten auf deu Westen ausübt.
„Der Osten, in positivistischer Sprechweise, steht ans der theologischen Stufe,
ist seiner Natur nach kriegerisch und'würde den Westen überschwemmen, die
Geschichte um Jahrhunderte zurückstellen, wenn der Westen seine militärische
Organisation aufgäbe."

Die Pariser Kommune haben die englischen Posttivisten als einen Anfang
zur Auflösung der Staatsungeheuer in kleine Republiken begrüßt (die Greuel
der Kommune schreiben sie nicht den Kvmmunards, sondern den Regierungs-
truppeu zu). Die Sozialisten und Kommunisten werden als Wegbahner will¬
kommen geheißen, aber ihr Zukunftstraum wird nicht gebilligt. Nach Ansicht
der Posttivisten soll in dem industriellen Zeitalter die Scheidung der pro¬
duktiven Bevölkerung in Unternehmer und Arbeiter bestehen, und den Unter¬
nehmern volle Freiheit gewahrt bleibe», nnr daß sie ihre Thätigkeit als eine
Aufgabe im Dienste der Gesamtheit aufzufassen haben. Die einzelnen Gro߬
unternehmen, in die die kleinen, mit einander in freundschaftlicher Wechsel-
wirkung lebenden Gemeinwesen zerfallen werden, werden nicht kollektivistisch
oder parlamentarisch, sondern monarchisch geleitet werden; denn auch darin
berührt sich der Positivismus mit Carlyle, daß er durchweg die monarchische
Leitung und die persönliche Verantwortung des einen Regierenden den Kol-
lektivregierungcn, bei denen kein Einzelner verantwortlich gemacht und gefaßt
werden kann, vorzieht. Dadurch aber werden die Arbeiter nicht machtlos
werden, vielmehr als Träger der kontrollirenden öffentlichen Meinung bei der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222428"/>
          <fw type="header" place="top"> August «Loute und der Positivismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_367" prev="#ID_366"> zu Zwang, Unterdrückung und Klassenherrschaft führen, unverträglich mit Fort¬<lb/>
schritt und Frieden, mit deu Interessen des Volkes und einer guten Negierung<lb/>
sind. Dreierlei ist sür diese militärischen Großstaaten der Gegenwart be¬<lb/>
zeichnend: s.) sie beruhen auf kriegerischer Organisation und halten nur durch<lb/>
Gewalt zusammen; b) ganz besonders aber zeigt sich in der Behandlung<lb/>
schwächerer und weniger zivilisirter Nassen der ihnen zu Grunde liegende Geist<lb/>
der Herrschsucht und Habgier. Das zeige sich, meint Harrison, jetzt besonders in<lb/>
Afrika. Soldaten, Entdecker, Geographen und Missionare seien &#x2014; wenn auch<lb/>
vielfach unbewußt &#x2014; mit Zeitungsschreibern und Kaufleuten daran, Afrika aus¬<lb/>
zuplündern und in Sklaveubande zu schlagen. Das Gerede von Wissenschaft,<lb/>
Zivilisation, Christentum, Abschaffung der Sklaverei, Unterdrückung des Krieges<lb/>
diene lediglich dazu, die Triebfedern der Habgier und Herrschsucht zu ver¬<lb/>
schleiern. «) Ganz ebenso gewaltsam aber gehen nach Ansicht der Posttivisten<lb/>
die besitzenden Klassen in der Form militärisch organisirter Großstaaten gegen die<lb/>
untern in ihrer Heimat vor. Ja die erwachende Furcht vor dem Umschwunge<lb/>
der Macht, den sie selbst durch Demokratisirung der Verfassung vorbereitet<lb/>
hätten, sei ein neuer Grund für sie, die militärische Organisation festzuhalten,<lb/>
durch die sie ihre Herrschaft zu verteidigen hofften." Hierzu bemerkt Schulze-<lb/>
Gävernitz mit Recht, die militärische Organisation Europas sei zum Teil<lb/>
wenigstens dem Drucke zuzuschreiben, den der Osten auf deu Westen ausübt.<lb/>
&#x201E;Der Osten, in positivistischer Sprechweise, steht ans der theologischen Stufe,<lb/>
ist seiner Natur nach kriegerisch und'würde den Westen überschwemmen, die<lb/>
Geschichte um Jahrhunderte zurückstellen, wenn der Westen seine militärische<lb/>
Organisation aufgäbe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Die Pariser Kommune haben die englischen Posttivisten als einen Anfang<lb/>
zur Auflösung der Staatsungeheuer in kleine Republiken begrüßt (die Greuel<lb/>
der Kommune schreiben sie nicht den Kvmmunards, sondern den Regierungs-<lb/>
truppeu zu). Die Sozialisten und Kommunisten werden als Wegbahner will¬<lb/>
kommen geheißen, aber ihr Zukunftstraum wird nicht gebilligt. Nach Ansicht<lb/>
der Posttivisten soll in dem industriellen Zeitalter die Scheidung der pro¬<lb/>
duktiven Bevölkerung in Unternehmer und Arbeiter bestehen, und den Unter¬<lb/>
nehmern volle Freiheit gewahrt bleibe», nnr daß sie ihre Thätigkeit als eine<lb/>
Aufgabe im Dienste der Gesamtheit aufzufassen haben. Die einzelnen Gro߬<lb/>
unternehmen, in die die kleinen, mit einander in freundschaftlicher Wechsel-<lb/>
wirkung lebenden Gemeinwesen zerfallen werden, werden nicht kollektivistisch<lb/>
oder parlamentarisch, sondern monarchisch geleitet werden; denn auch darin<lb/>
berührt sich der Positivismus mit Carlyle, daß er durchweg die monarchische<lb/>
Leitung und die persönliche Verantwortung des einen Regierenden den Kol-<lb/>
lektivregierungcn, bei denen kein Einzelner verantwortlich gemacht und gefaßt<lb/>
werden kann, vorzieht. Dadurch aber werden die Arbeiter nicht machtlos<lb/>
werden, vielmehr als Träger der kontrollirenden öffentlichen Meinung bei der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] August «Loute und der Positivismus zu Zwang, Unterdrückung und Klassenherrschaft führen, unverträglich mit Fort¬ schritt und Frieden, mit deu Interessen des Volkes und einer guten Negierung sind. Dreierlei ist sür diese militärischen Großstaaten der Gegenwart be¬ zeichnend: s.) sie beruhen auf kriegerischer Organisation und halten nur durch Gewalt zusammen; b) ganz besonders aber zeigt sich in der Behandlung schwächerer und weniger zivilisirter Nassen der ihnen zu Grunde liegende Geist der Herrschsucht und Habgier. Das zeige sich, meint Harrison, jetzt besonders in Afrika. Soldaten, Entdecker, Geographen und Missionare seien — wenn auch vielfach unbewußt — mit Zeitungsschreibern und Kaufleuten daran, Afrika aus¬ zuplündern und in Sklaveubande zu schlagen. Das Gerede von Wissenschaft, Zivilisation, Christentum, Abschaffung der Sklaverei, Unterdrückung des Krieges diene lediglich dazu, die Triebfedern der Habgier und Herrschsucht zu ver¬ schleiern. «) Ganz ebenso gewaltsam aber gehen nach Ansicht der Posttivisten die besitzenden Klassen in der Form militärisch organisirter Großstaaten gegen die untern in ihrer Heimat vor. Ja die erwachende Furcht vor dem Umschwunge der Macht, den sie selbst durch Demokratisirung der Verfassung vorbereitet hätten, sei ein neuer Grund für sie, die militärische Organisation festzuhalten, durch die sie ihre Herrschaft zu verteidigen hofften." Hierzu bemerkt Schulze- Gävernitz mit Recht, die militärische Organisation Europas sei zum Teil wenigstens dem Drucke zuzuschreiben, den der Osten auf deu Westen ausübt. „Der Osten, in positivistischer Sprechweise, steht ans der theologischen Stufe, ist seiner Natur nach kriegerisch und'würde den Westen überschwemmen, die Geschichte um Jahrhunderte zurückstellen, wenn der Westen seine militärische Organisation aufgäbe." Die Pariser Kommune haben die englischen Posttivisten als einen Anfang zur Auflösung der Staatsungeheuer in kleine Republiken begrüßt (die Greuel der Kommune schreiben sie nicht den Kvmmunards, sondern den Regierungs- truppeu zu). Die Sozialisten und Kommunisten werden als Wegbahner will¬ kommen geheißen, aber ihr Zukunftstraum wird nicht gebilligt. Nach Ansicht der Posttivisten soll in dem industriellen Zeitalter die Scheidung der pro¬ duktiven Bevölkerung in Unternehmer und Arbeiter bestehen, und den Unter¬ nehmern volle Freiheit gewahrt bleibe», nnr daß sie ihre Thätigkeit als eine Aufgabe im Dienste der Gesamtheit aufzufassen haben. Die einzelnen Gro߬ unternehmen, in die die kleinen, mit einander in freundschaftlicher Wechsel- wirkung lebenden Gemeinwesen zerfallen werden, werden nicht kollektivistisch oder parlamentarisch, sondern monarchisch geleitet werden; denn auch darin berührt sich der Positivismus mit Carlyle, daß er durchweg die monarchische Leitung und die persönliche Verantwortung des einen Regierenden den Kol- lektivregierungcn, bei denen kein Einzelner verantwortlich gemacht und gefaßt werden kann, vorzieht. Dadurch aber werden die Arbeiter nicht machtlos werden, vielmehr als Träger der kontrollirenden öffentlichen Meinung bei der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/124>, abgerufen am 26.06.2024.