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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessorenfrage in Preußen

leichtem Herzen verlassen, um mit geringerer Mühe die höhern Ehren und Vor¬
teile zu erreichen.

Zuzugeben ist aber, daß, wenn das Durchschnittsmaß auch der Verwaltungs¬
beamten erhöht wird, dies dem Interesse der Allgemeinheit zum Vorteil ge¬
reicht; die Auswahl unter den Assessoren, die allen Behörden zu gute kommt,
dient also dem Interesse des Staates. Ist das richtig, so fragt es sich weiter,
ob eS erforderlich und ob es angemessen ist, dem Justizminister durch ein
Spezialgesetz zu solcher Auswahl eine Vollmacht zu erteilen.

Daß der Gerichtsassessor in Preußen nach jetzigem Recht keinen Anspruch
auf Anstellung als Richter habe, kann man nicht behaupten. Die allgemeine
Gerichtsordnung für die preußischen Staaten vom 6. Juli 1793 erkannte zwar
ebenso wenig ein Recht der Nechtskandidaten auf Zulassung zur Auskultator-
Prüfung an, als ein Recht derer, die diese Prüfung bestanden hatten, auf Er¬
nennung zum Auskultatvr. Denn wenn der Kandidat allen Erfordernissen
genügt und das Examen bestanden hatte, so konnte -- wie in Z 5 bestimmt
ist -- "das Kollegium seine Umsetzung und Verpflichtung zum Auskultator
verfügen." Aber Z 19 bestimmte hinsichtlich der Referendare unter der Über-
Ichrift "Versorgung der Referendarien": "Diejenigen (Referendare), welche sich
durch Fleiß, Applikation, Lust zur Arbeit, stilles und ordentliches Betragen
auszeichnen, sollen zu wirklichen Jnstizbedienungen nach dem Maß ihrer Talente
und übrigen Kenntnisse befördert werden." (Die Gerichtsordnung will die Re¬
ferendare "versorgen," wie das preußische Landrecht überhaupt das Recht auf
Arbeit anerkennt: "Denjenigen, welchen es nur an Mitteln und Gelegenheit,
ihren und der Ihrigen Unterhalt selbst zu verdienen, ermangelt, sollen Arbeiten,
die ihren Kräften und Fähigkeiten angemessen sind, angewiesen werden.") Von
den Referendaren sollen die, die "mit den obgedachten Qualitäten zugleich
einen vorzüglichen Grad von Scharfsinn, praktischer Veurteilungskraft, Rechts¬
kenntnissen, Deutlichkeit und Präzision des Vortrags verbinden, bei den Landes-
justizkollegien als Assessoren und Räte bestellt werden," nachdem sie das große
Examen bestanden haben, andre Referendare, die weniger befähigt sind "oder
deren häusliche und Familienumstünde es nicht gestatten, daß sie die Versorgung
bei einem Landesjustiztollegio abwarten können, sollen als Räte bei minder
wichtigen Justizkollegien, als Justizbeamte, Bürgermeister, Richter, Syndici,
Assessoren, Justiziarien usw. ihre Versorgung erhalten"; Referendarien, die
Ach nicht zu einer richterlichen Bedienung, sondern zum Justizkommissariat
(jetzt zur Rechtsanwaltschaft) bestimmen, sollen dazu zugelassen werden; die
endlich, denen es "zu wirklichen richterlichen Bedienungen oder zum Justiz-
kvmmissariat an natürlichen oder erworbnen Eigenschaften fehlt, oder deren
Umstände es nicht erlauben, eine solche Versorgung abzuwarten, die jedoch von
gutem Verstände, auch einigen Kenntnissen und Übung in den Vorschriften der
Prozeßordnung, insonderheit aber von Fleiß, Applikation, Liebe zur Ordnung


Zur Assessorenfrage in Preußen

leichtem Herzen verlassen, um mit geringerer Mühe die höhern Ehren und Vor¬
teile zu erreichen.

Zuzugeben ist aber, daß, wenn das Durchschnittsmaß auch der Verwaltungs¬
beamten erhöht wird, dies dem Interesse der Allgemeinheit zum Vorteil ge¬
reicht; die Auswahl unter den Assessoren, die allen Behörden zu gute kommt,
dient also dem Interesse des Staates. Ist das richtig, so fragt es sich weiter,
ob eS erforderlich und ob es angemessen ist, dem Justizminister durch ein
Spezialgesetz zu solcher Auswahl eine Vollmacht zu erteilen.

Daß der Gerichtsassessor in Preußen nach jetzigem Recht keinen Anspruch
auf Anstellung als Richter habe, kann man nicht behaupten. Die allgemeine
Gerichtsordnung für die preußischen Staaten vom 6. Juli 1793 erkannte zwar
ebenso wenig ein Recht der Nechtskandidaten auf Zulassung zur Auskultator-
Prüfung an, als ein Recht derer, die diese Prüfung bestanden hatten, auf Er¬
nennung zum Auskultatvr. Denn wenn der Kandidat allen Erfordernissen
genügt und das Examen bestanden hatte, so konnte — wie in Z 5 bestimmt
ist — „das Kollegium seine Umsetzung und Verpflichtung zum Auskultator
verfügen." Aber Z 19 bestimmte hinsichtlich der Referendare unter der Über-
Ichrift „Versorgung der Referendarien": „Diejenigen (Referendare), welche sich
durch Fleiß, Applikation, Lust zur Arbeit, stilles und ordentliches Betragen
auszeichnen, sollen zu wirklichen Jnstizbedienungen nach dem Maß ihrer Talente
und übrigen Kenntnisse befördert werden." (Die Gerichtsordnung will die Re¬
ferendare „versorgen," wie das preußische Landrecht überhaupt das Recht auf
Arbeit anerkennt: „Denjenigen, welchen es nur an Mitteln und Gelegenheit,
ihren und der Ihrigen Unterhalt selbst zu verdienen, ermangelt, sollen Arbeiten,
die ihren Kräften und Fähigkeiten angemessen sind, angewiesen werden.") Von
den Referendaren sollen die, die „mit den obgedachten Qualitäten zugleich
einen vorzüglichen Grad von Scharfsinn, praktischer Veurteilungskraft, Rechts¬
kenntnissen, Deutlichkeit und Präzision des Vortrags verbinden, bei den Landes-
justizkollegien als Assessoren und Räte bestellt werden," nachdem sie das große
Examen bestanden haben, andre Referendare, die weniger befähigt sind „oder
deren häusliche und Familienumstünde es nicht gestatten, daß sie die Versorgung
bei einem Landesjustiztollegio abwarten können, sollen als Räte bei minder
wichtigen Justizkollegien, als Justizbeamte, Bürgermeister, Richter, Syndici,
Assessoren, Justiziarien usw. ihre Versorgung erhalten"; Referendarien, die
Ach nicht zu einer richterlichen Bedienung, sondern zum Justizkommissariat
(jetzt zur Rechtsanwaltschaft) bestimmen, sollen dazu zugelassen werden; die
endlich, denen es „zu wirklichen richterlichen Bedienungen oder zum Justiz-
kvmmissariat an natürlichen oder erworbnen Eigenschaften fehlt, oder deren
Umstände es nicht erlauben, eine solche Versorgung abzuwarten, die jedoch von
gutem Verstände, auch einigen Kenntnissen und Übung in den Vorschriften der
Prozeßordnung, insonderheit aber von Fleiß, Applikation, Liebe zur Ordnung


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[0111] Zur Assessorenfrage in Preußen leichtem Herzen verlassen, um mit geringerer Mühe die höhern Ehren und Vor¬ teile zu erreichen. Zuzugeben ist aber, daß, wenn das Durchschnittsmaß auch der Verwaltungs¬ beamten erhöht wird, dies dem Interesse der Allgemeinheit zum Vorteil ge¬ reicht; die Auswahl unter den Assessoren, die allen Behörden zu gute kommt, dient also dem Interesse des Staates. Ist das richtig, so fragt es sich weiter, ob eS erforderlich und ob es angemessen ist, dem Justizminister durch ein Spezialgesetz zu solcher Auswahl eine Vollmacht zu erteilen. Daß der Gerichtsassessor in Preußen nach jetzigem Recht keinen Anspruch auf Anstellung als Richter habe, kann man nicht behaupten. Die allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten vom 6. Juli 1793 erkannte zwar ebenso wenig ein Recht der Nechtskandidaten auf Zulassung zur Auskultator- Prüfung an, als ein Recht derer, die diese Prüfung bestanden hatten, auf Er¬ nennung zum Auskultatvr. Denn wenn der Kandidat allen Erfordernissen genügt und das Examen bestanden hatte, so konnte — wie in Z 5 bestimmt ist — „das Kollegium seine Umsetzung und Verpflichtung zum Auskultator verfügen." Aber Z 19 bestimmte hinsichtlich der Referendare unter der Über- Ichrift „Versorgung der Referendarien": „Diejenigen (Referendare), welche sich durch Fleiß, Applikation, Lust zur Arbeit, stilles und ordentliches Betragen auszeichnen, sollen zu wirklichen Jnstizbedienungen nach dem Maß ihrer Talente und übrigen Kenntnisse befördert werden." (Die Gerichtsordnung will die Re¬ ferendare „versorgen," wie das preußische Landrecht überhaupt das Recht auf Arbeit anerkennt: „Denjenigen, welchen es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und der Ihrigen Unterhalt selbst zu verdienen, ermangelt, sollen Arbeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten angemessen sind, angewiesen werden.") Von den Referendaren sollen die, die „mit den obgedachten Qualitäten zugleich einen vorzüglichen Grad von Scharfsinn, praktischer Veurteilungskraft, Rechts¬ kenntnissen, Deutlichkeit und Präzision des Vortrags verbinden, bei den Landes- justizkollegien als Assessoren und Räte bestellt werden," nachdem sie das große Examen bestanden haben, andre Referendare, die weniger befähigt sind „oder deren häusliche und Familienumstünde es nicht gestatten, daß sie die Versorgung bei einem Landesjustiztollegio abwarten können, sollen als Räte bei minder wichtigen Justizkollegien, als Justizbeamte, Bürgermeister, Richter, Syndici, Assessoren, Justiziarien usw. ihre Versorgung erhalten"; Referendarien, die Ach nicht zu einer richterlichen Bedienung, sondern zum Justizkommissariat (jetzt zur Rechtsanwaltschaft) bestimmen, sollen dazu zugelassen werden; die endlich, denen es „zu wirklichen richterlichen Bedienungen oder zum Justiz- kvmmissariat an natürlichen oder erworbnen Eigenschaften fehlt, oder deren Umstände es nicht erlauben, eine solche Versorgung abzuwarten, die jedoch von gutem Verstände, auch einigen Kenntnissen und Übung in den Vorschriften der Prozeßordnung, insonderheit aber von Fleiß, Applikation, Liebe zur Ordnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/111>, abgerufen am 25.06.2024.