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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

3. Juli 1788 war Wöllner zum Leiter der geistlichen Angelegenheiten und
zum Justizminister ernannt worden, und am 9. Juli bereits ist sein berüch¬
tigtes Neligionsedikt^) erlassen, ein selbstverständlich aussichtsloser Versuch,
die längst -- nicht zum wenigsten durch den Hof*") -- im Grunde erschütterte
Orthodoxie von oben her aufrecht zu erhalten; mit vollem Rechte fiel es
dem Berliner Witz zum Opfer. Und Friedrich Wilhelm III., so rasch er
auch Wöllner entließ, und so entschieden er auch sonst im Gegensatz zu seinem
Vater stand, darin ähnelte er ihm doch, daß es mehr ein Rückwärts- als ein
Vorwärtsschauen war, das ihm seine Kirchenpolitik eingab, das ihn veranlaßte,
den Unionsgedcmken seiner Vorfahren nun endlich durchzuführen. Daß der
fürstliche Wunsch diesmal erfüllt wurde -- am 31. Oktober 1817, an dem
Jubeltage der Reformation, wurde die Union feierlich in Berlin eingeführt --,
daß die Gemeinden jetzt nicht mehr widersprachen, war nicht das Werk
des Königs und seiner geistigen Helfer von damals, sondern die Folge
eines inzwischen im Volke herangereiften, vertieften protestantischen Denkens,
das sich diese formale Entscheidung gefallen ließ, weil es ihr doch eine gute
Seite abzugewinnen vermochte. Wo dagegen der reaktionäre Charakter der
Kirchenpolitik des Hofes rein zu Tage trat, wie in dem Versuche des Königs,
eine Liturgie einzuführen, wurde der energischste Widerstand laut; Schleier¬
macher scheute sich 1827 nicht, öffentlich auszusprechen: "Je mehr der
Landesherr fortfährt, die Kirche von seinem Hoflager aus zu verwalten, die
Behörden sich für Staatsdiener anzusehen, die Geistlichkeit sich der Autorität
zu freuen, die sie ans ihrer Seite hat, und mit Großwürdenträgern und Ordens-
oberu aus ihrer Mitte zu prunken, um desto mehr wird auch die Verrichtung""*)
des geistlichen Amts zu einem oxo.8 oxvrg.wo, herabsinken, und um desto mehr
auch, ist einmal der Weg gebahnt, wird alles, was vom Geist bewegt wird
und Ernst machen will mit dem kirchlichen Leben, zum Behuf wahrer Frömmig¬
keit sich von dieser Gemeinschaft ab und Kleinerem zuwenden."

Aus sich heraus hat das protestantische Bürgertum die Orthodoxie im
Lause des achtzehnten Jahrhunderts überwunden. Das subjektiver werdende
Gefühl hat die erste, der subjektiver werdende Verstand die zweite tiefere Bresche
in den Dogmatismus gelegt, beide zusammen haben ihn, wenn man auch nicht
sagen kann vernichtet, außerhalb des geschichtlichen Daseins gesetzt, so doch außer¬
halb des geschichtlichen Werdens. Und an Pietismus wie Aufklärung hat ge¬
rade das Berliner Bürgertum sein redliches Teil.





Dem noch im Dezember 1783 das Zensuredikt und 1733 die nicht weniger berüch¬
tigte Schulmaßregelung folgten.
**) Man denkt natürlich zunächst an Friedrich den Großen, aber schon am Hofe Fried¬
richs I., namentlich in den Kreisen um seine französisch gebildete Gemahlin Sophie Charlotte,
hatte das Freidenkertum großen Beifall gefunden.
***) Bei Geiger steht: Verachtung.
Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

3. Juli 1788 war Wöllner zum Leiter der geistlichen Angelegenheiten und
zum Justizminister ernannt worden, und am 9. Juli bereits ist sein berüch¬
tigtes Neligionsedikt^) erlassen, ein selbstverständlich aussichtsloser Versuch,
die längst — nicht zum wenigsten durch den Hof*") — im Grunde erschütterte
Orthodoxie von oben her aufrecht zu erhalten; mit vollem Rechte fiel es
dem Berliner Witz zum Opfer. Und Friedrich Wilhelm III., so rasch er
auch Wöllner entließ, und so entschieden er auch sonst im Gegensatz zu seinem
Vater stand, darin ähnelte er ihm doch, daß es mehr ein Rückwärts- als ein
Vorwärtsschauen war, das ihm seine Kirchenpolitik eingab, das ihn veranlaßte,
den Unionsgedcmken seiner Vorfahren nun endlich durchzuführen. Daß der
fürstliche Wunsch diesmal erfüllt wurde — am 31. Oktober 1817, an dem
Jubeltage der Reformation, wurde die Union feierlich in Berlin eingeführt —,
daß die Gemeinden jetzt nicht mehr widersprachen, war nicht das Werk
des Königs und seiner geistigen Helfer von damals, sondern die Folge
eines inzwischen im Volke herangereiften, vertieften protestantischen Denkens,
das sich diese formale Entscheidung gefallen ließ, weil es ihr doch eine gute
Seite abzugewinnen vermochte. Wo dagegen der reaktionäre Charakter der
Kirchenpolitik des Hofes rein zu Tage trat, wie in dem Versuche des Königs,
eine Liturgie einzuführen, wurde der energischste Widerstand laut; Schleier¬
macher scheute sich 1827 nicht, öffentlich auszusprechen: „Je mehr der
Landesherr fortfährt, die Kirche von seinem Hoflager aus zu verwalten, die
Behörden sich für Staatsdiener anzusehen, die Geistlichkeit sich der Autorität
zu freuen, die sie ans ihrer Seite hat, und mit Großwürdenträgern und Ordens-
oberu aus ihrer Mitte zu prunken, um desto mehr wird auch die Verrichtung""*)
des geistlichen Amts zu einem oxo.8 oxvrg.wo, herabsinken, und um desto mehr
auch, ist einmal der Weg gebahnt, wird alles, was vom Geist bewegt wird
und Ernst machen will mit dem kirchlichen Leben, zum Behuf wahrer Frömmig¬
keit sich von dieser Gemeinschaft ab und Kleinerem zuwenden."

Aus sich heraus hat das protestantische Bürgertum die Orthodoxie im
Lause des achtzehnten Jahrhunderts überwunden. Das subjektiver werdende
Gefühl hat die erste, der subjektiver werdende Verstand die zweite tiefere Bresche
in den Dogmatismus gelegt, beide zusammen haben ihn, wenn man auch nicht
sagen kann vernichtet, außerhalb des geschichtlichen Daseins gesetzt, so doch außer¬
halb des geschichtlichen Werdens. Und an Pietismus wie Aufklärung hat ge¬
rade das Berliner Bürgertum sein redliches Teil.





Dem noch im Dezember 1783 das Zensuredikt und 1733 die nicht weniger berüch¬
tigte Schulmaßregelung folgten.
**) Man denkt natürlich zunächst an Friedrich den Großen, aber schon am Hofe Fried¬
richs I., namentlich in den Kreisen um seine französisch gebildete Gemahlin Sophie Charlotte,
hatte das Freidenkertum großen Beifall gefunden.
***) Bei Geiger steht: Verachtung.
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[0084] Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins 3. Juli 1788 war Wöllner zum Leiter der geistlichen Angelegenheiten und zum Justizminister ernannt worden, und am 9. Juli bereits ist sein berüch¬ tigtes Neligionsedikt^) erlassen, ein selbstverständlich aussichtsloser Versuch, die längst — nicht zum wenigsten durch den Hof*") — im Grunde erschütterte Orthodoxie von oben her aufrecht zu erhalten; mit vollem Rechte fiel es dem Berliner Witz zum Opfer. Und Friedrich Wilhelm III., so rasch er auch Wöllner entließ, und so entschieden er auch sonst im Gegensatz zu seinem Vater stand, darin ähnelte er ihm doch, daß es mehr ein Rückwärts- als ein Vorwärtsschauen war, das ihm seine Kirchenpolitik eingab, das ihn veranlaßte, den Unionsgedcmken seiner Vorfahren nun endlich durchzuführen. Daß der fürstliche Wunsch diesmal erfüllt wurde — am 31. Oktober 1817, an dem Jubeltage der Reformation, wurde die Union feierlich in Berlin eingeführt —, daß die Gemeinden jetzt nicht mehr widersprachen, war nicht das Werk des Königs und seiner geistigen Helfer von damals, sondern die Folge eines inzwischen im Volke herangereiften, vertieften protestantischen Denkens, das sich diese formale Entscheidung gefallen ließ, weil es ihr doch eine gute Seite abzugewinnen vermochte. Wo dagegen der reaktionäre Charakter der Kirchenpolitik des Hofes rein zu Tage trat, wie in dem Versuche des Königs, eine Liturgie einzuführen, wurde der energischste Widerstand laut; Schleier¬ macher scheute sich 1827 nicht, öffentlich auszusprechen: „Je mehr der Landesherr fortfährt, die Kirche von seinem Hoflager aus zu verwalten, die Behörden sich für Staatsdiener anzusehen, die Geistlichkeit sich der Autorität zu freuen, die sie ans ihrer Seite hat, und mit Großwürdenträgern und Ordens- oberu aus ihrer Mitte zu prunken, um desto mehr wird auch die Verrichtung""*) des geistlichen Amts zu einem oxo.8 oxvrg.wo, herabsinken, und um desto mehr auch, ist einmal der Weg gebahnt, wird alles, was vom Geist bewegt wird und Ernst machen will mit dem kirchlichen Leben, zum Behuf wahrer Frömmig¬ keit sich von dieser Gemeinschaft ab und Kleinerem zuwenden." Aus sich heraus hat das protestantische Bürgertum die Orthodoxie im Lause des achtzehnten Jahrhunderts überwunden. Das subjektiver werdende Gefühl hat die erste, der subjektiver werdende Verstand die zweite tiefere Bresche in den Dogmatismus gelegt, beide zusammen haben ihn, wenn man auch nicht sagen kann vernichtet, außerhalb des geschichtlichen Daseins gesetzt, so doch außer¬ halb des geschichtlichen Werdens. Und an Pietismus wie Aufklärung hat ge¬ rade das Berliner Bürgertum sein redliches Teil. Dem noch im Dezember 1783 das Zensuredikt und 1733 die nicht weniger berüch¬ tigte Schulmaßregelung folgten. **) Man denkt natürlich zunächst an Friedrich den Großen, aber schon am Hofe Fried¬ richs I., namentlich in den Kreisen um seine französisch gebildete Gemahlin Sophie Charlotte, hatte das Freidenkertum großen Beifall gefunden. ***) Bei Geiger steht: Verachtung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/84>, abgerufen am 26.11.2024.