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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Textbearbeitmigen musikalischer Meisterwerke

erscheinen wird, ist nicht mehr maßgebend, wo es sich darum handelt, zu einer
wesentlichen Erneuerung und Auffrischung von Religion und Kunst beizutragen.
Vor hundert Jahren war man in der Bearbeitung biblischer Gegenstände weit
unbefangner und selbständiger. Wie vortrefflich ist z. B. die Textdichtung zu
Haydns "Schöpfung," die freilich aus den goldnen Tagen einer freien, auf¬
geklärten Frömmigkeit stammt! Wie würde diesem klassische!? Werke gegenüber
eine denselben Gegenstand behandelnde Poesie geraten, wenn sie gegenwärtig,
etwa in Berlin, amtlich auszuarbeiten wäre!

Unter den Nachsehen Kantaten befinden sich mehrere Gelegenheits¬
kompositionen im engern Sinne, deren Texte eine sehr radikale Umarbeitung ge¬
funden haben. Man gedenkt da in erster Linie der herrlichen "Trauerode" auf
den Tod der Kurfürstin Christine Eberhardine. Wenn man aber die Umdichwng,
die Wilhelm Ruft hier vorgenommen hat, mit dem Original vergleicht, so muß
man sich sagen, daß dergleichen Erneuerungen zu weit gehe". Die ursprüng¬
liche Dichtung ist in diesem Falle durchaus nicht schlecht. Sie ergeht sich
meist in allgemein menschlichen Betrachtungen, die jederzeit von neuem erhebend
wirken können. Die paar besonders gefärbten Stellen, wo die Städte Torgau
und Pretsch, die sächsischen und polnischen Flüsse, der König August usw. er¬
wähnt werden, drängen sich nicht auf. Wozu denn ein vollständiges Abstreifen
des besondern zeitlichen und örtlichen Charakters? Sollte es sich nicht über¬
haupt empfehlen, solchen Werken, die in einer mühsam erreichten Sphäre der
Allgemeingiltigteit doch nur blässer und schwächer werden, das kräftigere und
anziehendere geschichtliche und örtliche Gepräge zu lassen? Die weltlichen Kan¬
taten Bachs sind allerdings, was ihre Genießbarkeit für die jetzige Zeit angeht,
sehr verschieden. Da ist z. B. das wunderschöne Stück "Phöbus und Pan,"
das nur weniger Nachbesserungen bedarf, um, sorgfältig einstudirt und viel¬
leicht auch szenisch gehoben, alle Gebildeten zu entzücken. Da ist aber auch
die "Bauernkantate," deren geniale Musik der Vorführung vor größere Kreise
harrt, deren unsinnig burlesker Text jedoch entschieden erst eine ziemlich gründ¬
liche, verfeinernde Bearbeitung verlangt. Hier möchte man sogar eine Be¬
seitigung oder wenigstens Zurückdrängung des Mundartlichen befürworten, da
dieses in der Bauernpoesie Piecmders nicht sowohl originell als vielmehr or¬
dinär wirkt. Den "Zufriedengestellten Aotus" hat man annehmbarer zu mache"
gesucht, indem man das Namensfest des Professors August Müller in ein
Keltcrfest umgewandelt hat, wobei, statt der weisheitsvollen Pallas und ihres
Schützlings, Bacchus und seine edle Gabe gefeiert werden. Vielleicht wäre
hier wieder eine weniger einschneidende Operation am Platze gewesen. Genug,
man behandle diese Werke von Fall zu Fall, und man wird viel schönes und
gutes der Vergessenheit entziehen.

Der Ruhm deutscher Art und Größe tritt gerade in der Musik bedeutend
hervor. Dennoch baut sich eine besonders beträchtliche Zahl klassischer Kom-


Textbearbeitmigen musikalischer Meisterwerke

erscheinen wird, ist nicht mehr maßgebend, wo es sich darum handelt, zu einer
wesentlichen Erneuerung und Auffrischung von Religion und Kunst beizutragen.
Vor hundert Jahren war man in der Bearbeitung biblischer Gegenstände weit
unbefangner und selbständiger. Wie vortrefflich ist z. B. die Textdichtung zu
Haydns „Schöpfung," die freilich aus den goldnen Tagen einer freien, auf¬
geklärten Frömmigkeit stammt! Wie würde diesem klassische!? Werke gegenüber
eine denselben Gegenstand behandelnde Poesie geraten, wenn sie gegenwärtig,
etwa in Berlin, amtlich auszuarbeiten wäre!

Unter den Nachsehen Kantaten befinden sich mehrere Gelegenheits¬
kompositionen im engern Sinne, deren Texte eine sehr radikale Umarbeitung ge¬
funden haben. Man gedenkt da in erster Linie der herrlichen „Trauerode" auf
den Tod der Kurfürstin Christine Eberhardine. Wenn man aber die Umdichwng,
die Wilhelm Ruft hier vorgenommen hat, mit dem Original vergleicht, so muß
man sich sagen, daß dergleichen Erneuerungen zu weit gehe«. Die ursprüng¬
liche Dichtung ist in diesem Falle durchaus nicht schlecht. Sie ergeht sich
meist in allgemein menschlichen Betrachtungen, die jederzeit von neuem erhebend
wirken können. Die paar besonders gefärbten Stellen, wo die Städte Torgau
und Pretsch, die sächsischen und polnischen Flüsse, der König August usw. er¬
wähnt werden, drängen sich nicht auf. Wozu denn ein vollständiges Abstreifen
des besondern zeitlichen und örtlichen Charakters? Sollte es sich nicht über¬
haupt empfehlen, solchen Werken, die in einer mühsam erreichten Sphäre der
Allgemeingiltigteit doch nur blässer und schwächer werden, das kräftigere und
anziehendere geschichtliche und örtliche Gepräge zu lassen? Die weltlichen Kan¬
taten Bachs sind allerdings, was ihre Genießbarkeit für die jetzige Zeit angeht,
sehr verschieden. Da ist z. B. das wunderschöne Stück „Phöbus und Pan,"
das nur weniger Nachbesserungen bedarf, um, sorgfältig einstudirt und viel¬
leicht auch szenisch gehoben, alle Gebildeten zu entzücken. Da ist aber auch
die „Bauernkantate," deren geniale Musik der Vorführung vor größere Kreise
harrt, deren unsinnig burlesker Text jedoch entschieden erst eine ziemlich gründ¬
liche, verfeinernde Bearbeitung verlangt. Hier möchte man sogar eine Be¬
seitigung oder wenigstens Zurückdrängung des Mundartlichen befürworten, da
dieses in der Bauernpoesie Piecmders nicht sowohl originell als vielmehr or¬
dinär wirkt. Den „Zufriedengestellten Aotus" hat man annehmbarer zu mache»
gesucht, indem man das Namensfest des Professors August Müller in ein
Keltcrfest umgewandelt hat, wobei, statt der weisheitsvollen Pallas und ihres
Schützlings, Bacchus und seine edle Gabe gefeiert werden. Vielleicht wäre
hier wieder eine weniger einschneidende Operation am Platze gewesen. Genug,
man behandle diese Werke von Fall zu Fall, und man wird viel schönes und
gutes der Vergessenheit entziehen.

Der Ruhm deutscher Art und Größe tritt gerade in der Musik bedeutend
hervor. Dennoch baut sich eine besonders beträchtliche Zahl klassischer Kom-


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[0570] Textbearbeitmigen musikalischer Meisterwerke erscheinen wird, ist nicht mehr maßgebend, wo es sich darum handelt, zu einer wesentlichen Erneuerung und Auffrischung von Religion und Kunst beizutragen. Vor hundert Jahren war man in der Bearbeitung biblischer Gegenstände weit unbefangner und selbständiger. Wie vortrefflich ist z. B. die Textdichtung zu Haydns „Schöpfung," die freilich aus den goldnen Tagen einer freien, auf¬ geklärten Frömmigkeit stammt! Wie würde diesem klassische!? Werke gegenüber eine denselben Gegenstand behandelnde Poesie geraten, wenn sie gegenwärtig, etwa in Berlin, amtlich auszuarbeiten wäre! Unter den Nachsehen Kantaten befinden sich mehrere Gelegenheits¬ kompositionen im engern Sinne, deren Texte eine sehr radikale Umarbeitung ge¬ funden haben. Man gedenkt da in erster Linie der herrlichen „Trauerode" auf den Tod der Kurfürstin Christine Eberhardine. Wenn man aber die Umdichwng, die Wilhelm Ruft hier vorgenommen hat, mit dem Original vergleicht, so muß man sich sagen, daß dergleichen Erneuerungen zu weit gehe«. Die ursprüng¬ liche Dichtung ist in diesem Falle durchaus nicht schlecht. Sie ergeht sich meist in allgemein menschlichen Betrachtungen, die jederzeit von neuem erhebend wirken können. Die paar besonders gefärbten Stellen, wo die Städte Torgau und Pretsch, die sächsischen und polnischen Flüsse, der König August usw. er¬ wähnt werden, drängen sich nicht auf. Wozu denn ein vollständiges Abstreifen des besondern zeitlichen und örtlichen Charakters? Sollte es sich nicht über¬ haupt empfehlen, solchen Werken, die in einer mühsam erreichten Sphäre der Allgemeingiltigteit doch nur blässer und schwächer werden, das kräftigere und anziehendere geschichtliche und örtliche Gepräge zu lassen? Die weltlichen Kan¬ taten Bachs sind allerdings, was ihre Genießbarkeit für die jetzige Zeit angeht, sehr verschieden. Da ist z. B. das wunderschöne Stück „Phöbus und Pan," das nur weniger Nachbesserungen bedarf, um, sorgfältig einstudirt und viel¬ leicht auch szenisch gehoben, alle Gebildeten zu entzücken. Da ist aber auch die „Bauernkantate," deren geniale Musik der Vorführung vor größere Kreise harrt, deren unsinnig burlesker Text jedoch entschieden erst eine ziemlich gründ¬ liche, verfeinernde Bearbeitung verlangt. Hier möchte man sogar eine Be¬ seitigung oder wenigstens Zurückdrängung des Mundartlichen befürworten, da dieses in der Bauernpoesie Piecmders nicht sowohl originell als vielmehr or¬ dinär wirkt. Den „Zufriedengestellten Aotus" hat man annehmbarer zu mache» gesucht, indem man das Namensfest des Professors August Müller in ein Keltcrfest umgewandelt hat, wobei, statt der weisheitsvollen Pallas und ihres Schützlings, Bacchus und seine edle Gabe gefeiert werden. Vielleicht wäre hier wieder eine weniger einschneidende Operation am Platze gewesen. Genug, man behandle diese Werke von Fall zu Fall, und man wird viel schönes und gutes der Vergessenheit entziehen. Der Ruhm deutscher Art und Größe tritt gerade in der Musik bedeutend hervor. Dennoch baut sich eine besonders beträchtliche Zahl klassischer Kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/570>, abgerufen am 01.09.2024.