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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

eintretender Vodenknappheit Verlegenheit bereiten. Sobald aber kapitalistisch
abwirtschaftet wird, d. h. nicht mehr hauptsächlich zu dem Zweck, den Besitzer,
seine Familie und seine Arbeiter mit den Naturalerträgen des Gutes zu er¬
nähren, sondern zur Erzielung eines Geldüberschusses, der den Gutswert be¬
stimmt und diesen zum Gegenstande von Speknlationsverkäufen und Käufer
und von Erbteilungen macht, tritt man in einen Zirkel ein, aus dem es keinen
Ausweg giebt. Jede Erhöhung des Reinertrags erhöht den Gutswert. Dieser
erhöhte Gutswert wird bei Käufer bezahlt, bei Erbteilungen und bei der Auf¬
nahme von Hypotheken zu Grunde gelegt. Aber keine Wertsteigeruug geht
ins Unendliche, und bei jedem der unvermeidlichen Rückschläge gehen alle die
zu Grunde, die beim Kauf, bei der Abfindung von Miterben und bei der Aus¬
nahme von Hypotheken mit dem Werte der guten Jahre gerechnet haben. Weil
dem so ist, wird von den Landwirten die Gesetzgebungsmaschine zur künstlichen
Steigerung der Grundrente gehandhabt und dadurch die Katastrophe zunächst
zwar hinausgeschoben, zuletzt aber verschlimmert. Das hat die englische Land¬
wirtschaft, seitdem sie kapitalistisch geworden ist, reichlich erfahren; ihre Ge¬
schichte ist eine Geschichte landwirtschaftlicher Krisen. Weder haben ihr zu der
Zeit, als sie sich auf die Wollproduktiou verlegte, die Wollausfuhrverbote
geholfen und das Gesetz, wonach die Toten in Wolltüchern begraben werden
mußten, noch im vorige" und im Anfange des laufenden Jahrhunderts die
Getreidezölle. Daß gerade unter dem "Schutz" der Getreidezölle die letzten
Reste des englischen Bauernstandes zu Grunde gegangen sind und das Ar¬
beiterelend seinen höchsten Grad erreicht hat, hebt auch Hasbach hervor. Der
Schutzzoll, schreibt er, "kann für die Landwirtschaft eines großen Landes nie
dieselbe Bedeutung haben, wie für die Industrie. Erstens läßt sich feci ihr^
das Angebot der geschützten Ware leichter vermehren als in der Industrie.
Insbesondre wenn ein Zoll auf Getreide gelegt ist, sind die Kosten der Be¬
stellung einer größern Fläche mit Getreide gar nicht zu vergleichen mit den
Auslagen, die die Herstellung neuer Werke, die Vergrößerung der Betriebe,
die Anschaffung neuer Maschinen verursacht. Huuderttciusende von Acres können
ohne große Vermehrung des fixen Kapitals in aller Stille zur Erzeugung der
geschützten Frucht herangezogen werden, und das Angebot wächst so in einer
ungeheuern Weise. Seit Gregory King aber weiß man, daß das stärkere An¬
gebot von Getreide einen verhältnismäßig tiefern Preisfall erzeugt als bei
andern Waren. Zweitens ist es den Landwirten unmöglich, durch Ver¬
abredungen, Kartelle, die Warenmenge dem Bedarf anzupassen, weil sie viel
zahlreicher send, als die Produzenten eines geschützten gewerblichen Artikels.
Drittens sind die Industriellen in der Lage, das gewünschte Warenauantnm
zu erzeugen, während der Landwirt von Sonnenschein und Regen abhängig
ist; er wird immer zu viel oder zu wenig erzeugen. Die englische Wirtschafts¬
geschichte beweist es unzweideutig, daß nur eins der Landwirtschaft einen hohen


Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

eintretender Vodenknappheit Verlegenheit bereiten. Sobald aber kapitalistisch
abwirtschaftet wird, d. h. nicht mehr hauptsächlich zu dem Zweck, den Besitzer,
seine Familie und seine Arbeiter mit den Naturalerträgen des Gutes zu er¬
nähren, sondern zur Erzielung eines Geldüberschusses, der den Gutswert be¬
stimmt und diesen zum Gegenstande von Speknlationsverkäufen und Käufer
und von Erbteilungen macht, tritt man in einen Zirkel ein, aus dem es keinen
Ausweg giebt. Jede Erhöhung des Reinertrags erhöht den Gutswert. Dieser
erhöhte Gutswert wird bei Käufer bezahlt, bei Erbteilungen und bei der Auf¬
nahme von Hypotheken zu Grunde gelegt. Aber keine Wertsteigeruug geht
ins Unendliche, und bei jedem der unvermeidlichen Rückschläge gehen alle die
zu Grunde, die beim Kauf, bei der Abfindung von Miterben und bei der Aus¬
nahme von Hypotheken mit dem Werte der guten Jahre gerechnet haben. Weil
dem so ist, wird von den Landwirten die Gesetzgebungsmaschine zur künstlichen
Steigerung der Grundrente gehandhabt und dadurch die Katastrophe zunächst
zwar hinausgeschoben, zuletzt aber verschlimmert. Das hat die englische Land¬
wirtschaft, seitdem sie kapitalistisch geworden ist, reichlich erfahren; ihre Ge¬
schichte ist eine Geschichte landwirtschaftlicher Krisen. Weder haben ihr zu der
Zeit, als sie sich auf die Wollproduktiou verlegte, die Wollausfuhrverbote
geholfen und das Gesetz, wonach die Toten in Wolltüchern begraben werden
mußten, noch im vorige» und im Anfange des laufenden Jahrhunderts die
Getreidezölle. Daß gerade unter dem „Schutz" der Getreidezölle die letzten
Reste des englischen Bauernstandes zu Grunde gegangen sind und das Ar¬
beiterelend seinen höchsten Grad erreicht hat, hebt auch Hasbach hervor. Der
Schutzzoll, schreibt er, „kann für die Landwirtschaft eines großen Landes nie
dieselbe Bedeutung haben, wie für die Industrie. Erstens läßt sich feci ihr^
das Angebot der geschützten Ware leichter vermehren als in der Industrie.
Insbesondre wenn ein Zoll auf Getreide gelegt ist, sind die Kosten der Be¬
stellung einer größern Fläche mit Getreide gar nicht zu vergleichen mit den
Auslagen, die die Herstellung neuer Werke, die Vergrößerung der Betriebe,
die Anschaffung neuer Maschinen verursacht. Huuderttciusende von Acres können
ohne große Vermehrung des fixen Kapitals in aller Stille zur Erzeugung der
geschützten Frucht herangezogen werden, und das Angebot wächst so in einer
ungeheuern Weise. Seit Gregory King aber weiß man, daß das stärkere An¬
gebot von Getreide einen verhältnismäßig tiefern Preisfall erzeugt als bei
andern Waren. Zweitens ist es den Landwirten unmöglich, durch Ver¬
abredungen, Kartelle, die Warenmenge dem Bedarf anzupassen, weil sie viel
zahlreicher send, als die Produzenten eines geschützten gewerblichen Artikels.
Drittens sind die Industriellen in der Lage, das gewünschte Warenauantnm
zu erzeugen, während der Landwirt von Sonnenschein und Regen abhängig
ist; er wird immer zu viel oder zu wenig erzeugen. Die englische Wirtschafts¬
geschichte beweist es unzweideutig, daß nur eins der Landwirtschaft einen hohen


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[0511] Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England eintretender Vodenknappheit Verlegenheit bereiten. Sobald aber kapitalistisch abwirtschaftet wird, d. h. nicht mehr hauptsächlich zu dem Zweck, den Besitzer, seine Familie und seine Arbeiter mit den Naturalerträgen des Gutes zu er¬ nähren, sondern zur Erzielung eines Geldüberschusses, der den Gutswert be¬ stimmt und diesen zum Gegenstande von Speknlationsverkäufen und Käufer und von Erbteilungen macht, tritt man in einen Zirkel ein, aus dem es keinen Ausweg giebt. Jede Erhöhung des Reinertrags erhöht den Gutswert. Dieser erhöhte Gutswert wird bei Käufer bezahlt, bei Erbteilungen und bei der Auf¬ nahme von Hypotheken zu Grunde gelegt. Aber keine Wertsteigeruug geht ins Unendliche, und bei jedem der unvermeidlichen Rückschläge gehen alle die zu Grunde, die beim Kauf, bei der Abfindung von Miterben und bei der Aus¬ nahme von Hypotheken mit dem Werte der guten Jahre gerechnet haben. Weil dem so ist, wird von den Landwirten die Gesetzgebungsmaschine zur künstlichen Steigerung der Grundrente gehandhabt und dadurch die Katastrophe zunächst zwar hinausgeschoben, zuletzt aber verschlimmert. Das hat die englische Land¬ wirtschaft, seitdem sie kapitalistisch geworden ist, reichlich erfahren; ihre Ge¬ schichte ist eine Geschichte landwirtschaftlicher Krisen. Weder haben ihr zu der Zeit, als sie sich auf die Wollproduktiou verlegte, die Wollausfuhrverbote geholfen und das Gesetz, wonach die Toten in Wolltüchern begraben werden mußten, noch im vorige» und im Anfange des laufenden Jahrhunderts die Getreidezölle. Daß gerade unter dem „Schutz" der Getreidezölle die letzten Reste des englischen Bauernstandes zu Grunde gegangen sind und das Ar¬ beiterelend seinen höchsten Grad erreicht hat, hebt auch Hasbach hervor. Der Schutzzoll, schreibt er, „kann für die Landwirtschaft eines großen Landes nie dieselbe Bedeutung haben, wie für die Industrie. Erstens läßt sich feci ihr^ das Angebot der geschützten Ware leichter vermehren als in der Industrie. Insbesondre wenn ein Zoll auf Getreide gelegt ist, sind die Kosten der Be¬ stellung einer größern Fläche mit Getreide gar nicht zu vergleichen mit den Auslagen, die die Herstellung neuer Werke, die Vergrößerung der Betriebe, die Anschaffung neuer Maschinen verursacht. Huuderttciusende von Acres können ohne große Vermehrung des fixen Kapitals in aller Stille zur Erzeugung der geschützten Frucht herangezogen werden, und das Angebot wächst so in einer ungeheuern Weise. Seit Gregory King aber weiß man, daß das stärkere An¬ gebot von Getreide einen verhältnismäßig tiefern Preisfall erzeugt als bei andern Waren. Zweitens ist es den Landwirten unmöglich, durch Ver¬ abredungen, Kartelle, die Warenmenge dem Bedarf anzupassen, weil sie viel zahlreicher send, als die Produzenten eines geschützten gewerblichen Artikels. Drittens sind die Industriellen in der Lage, das gewünschte Warenauantnm zu erzeugen, während der Landwirt von Sonnenschein und Regen abhängig ist; er wird immer zu viel oder zu wenig erzeugen. Die englische Wirtschafts¬ geschichte beweist es unzweideutig, daß nur eins der Landwirtschaft einen hohen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/511>, abgerufen am 01.09.2024.