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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Grundbesitz, Landwirtschaft und Handarbeiter in England

gehandelt, stand aber im schneidendsten Widerspruch mit der Idee der Kirchen¬
güter oder vielmehr mit ihren beiden Ideen. Denn nach der altkirchlichen Idee war
das Kirchengut das xatriinouium xg-uvöruw und durfte nimmermehr reichen
Leuten geschenkt werden. Nach der wirtschaftlichen Idee der mittelalterlichen
Monarchen und Grundherren aber, die die Klöster mit Grundbesitz ausstatteten,
sollte die verständige Leitung des Besiedlungswerkes durch gebildete Männer,
was ja die Geistlichen des frühern Mittelalters waren, Wüsteneien in Kultur¬
land verwandeln und mit einer fleißigen und wohlhabenden Bevölkerung an¬
füllen. Die Bauern, die durch die Maßregel in Proletarier verwandelt wurden,
machten etwa ein Fünftel der englischen Bauernschaft aus. Die zweite Pe¬
riode der Einhegungen siel mit der Verdrängung der kleinen Pächter durch
große zusammen. Bei dem steigenden Reichtum der Kaufleute und Fabrikanten
fehlte es nicht an Leuten, die ihr Geld in der immer einträglicher werdenden
Landwirtschaft anzulegen Lust hatten, und den Landlords waren große Pächter
angenehmer als kleine, nicht bloß wegen der bequemern Renteneinziehuug,
sondern auch weil sie von der rationell betriebnen Großwirtschaft höhere
Renten hofften, und weil sie an den Gebäuden sparten, die sie im Staude zu
erhalten verpflichtet waren, wenn von einem halben oder ganzen Dutzend Pacht¬
höfen immer nur einer stehen blieb und die übrigen weggerissen wurden. Has¬
bach untersucht die Rechtsfrage in Beziehung auf alle diese Vorgänge, nament¬
lich auf die Einhegungen, und kommt zu dem Ergebnis, daß zwar sehr viel
Ungerechtigkeit, aber kein Unrecht im juristischen Sinne verübt worden sei.
Natürlich! Die herrschenden Stände werden sich gehütet haben, etwas gesetz¬
widriges zu begehen! Das Recht der Erbpächter z. B. wurde nicht verletzt,
aber man machte ihnen das Leben schwer, u. a. dadurch, daß man sie durch
Verdrängung der kleinen Zeitpüchter- und Kötterfcimilien der Arbeiter be¬
raubte, und chikcmirte sie so lange, bis sie "freiwillig" abzogen. Die Frei¬
sassen aber wurden auf mehrfache Weise ruinirt. Sie verloren die Arbeiter,
sie wurden bei der Gemeinheitsteilung so verkürzt, daß es ihnen an Vieh¬
weide gebrach, und die Landmesser und Advokaten machten ihnen so große
Kostenrechnungen, daß sie in Schulden gerieten. Das Verfahren des damaligen
"intelligenten" Gutsherrn beschreibt Hasbach nach den Quellen. "Zuerst kauft
er in Pfarreien und Gemeinweiden so viele Grundstücke wie nur möglich an,
bringt alle Manors in seinen Besitz, wenn mehrere vorhanden sind, schreibt
einen Gesetzentwurf mit Paragraphen nieder, die für ihn günstig sind, und
ernennt Landmesser und Kommissare, vorläufig ganz im Stillen. Dann werden
die wegen ihres Geschlechts und Standes unkundigen Gutsbesitzer j^? gemeint
sind ohne Zweifel die kleinen, die ?60moi^ bearbeitet, bis sie ihre Namen
unter die Petition ans Parlament setzen. Hartnäckigere sucht er bei einem
guten Dinner geschmeidig zu machen; gelingt es nicht, dann fallen Andeutungen
und Drohungen. Nun wird den übrigen durch Zirkular mitgeteilt, daß sich


Grundbesitz, Landwirtschaft und Handarbeiter in England

gehandelt, stand aber im schneidendsten Widerspruch mit der Idee der Kirchen¬
güter oder vielmehr mit ihren beiden Ideen. Denn nach der altkirchlichen Idee war
das Kirchengut das xatriinouium xg-uvöruw und durfte nimmermehr reichen
Leuten geschenkt werden. Nach der wirtschaftlichen Idee der mittelalterlichen
Monarchen und Grundherren aber, die die Klöster mit Grundbesitz ausstatteten,
sollte die verständige Leitung des Besiedlungswerkes durch gebildete Männer,
was ja die Geistlichen des frühern Mittelalters waren, Wüsteneien in Kultur¬
land verwandeln und mit einer fleißigen und wohlhabenden Bevölkerung an¬
füllen. Die Bauern, die durch die Maßregel in Proletarier verwandelt wurden,
machten etwa ein Fünftel der englischen Bauernschaft aus. Die zweite Pe¬
riode der Einhegungen siel mit der Verdrängung der kleinen Pächter durch
große zusammen. Bei dem steigenden Reichtum der Kaufleute und Fabrikanten
fehlte es nicht an Leuten, die ihr Geld in der immer einträglicher werdenden
Landwirtschaft anzulegen Lust hatten, und den Landlords waren große Pächter
angenehmer als kleine, nicht bloß wegen der bequemern Renteneinziehuug,
sondern auch weil sie von der rationell betriebnen Großwirtschaft höhere
Renten hofften, und weil sie an den Gebäuden sparten, die sie im Staude zu
erhalten verpflichtet waren, wenn von einem halben oder ganzen Dutzend Pacht¬
höfen immer nur einer stehen blieb und die übrigen weggerissen wurden. Has¬
bach untersucht die Rechtsfrage in Beziehung auf alle diese Vorgänge, nament¬
lich auf die Einhegungen, und kommt zu dem Ergebnis, daß zwar sehr viel
Ungerechtigkeit, aber kein Unrecht im juristischen Sinne verübt worden sei.
Natürlich! Die herrschenden Stände werden sich gehütet haben, etwas gesetz¬
widriges zu begehen! Das Recht der Erbpächter z. B. wurde nicht verletzt,
aber man machte ihnen das Leben schwer, u. a. dadurch, daß man sie durch
Verdrängung der kleinen Zeitpüchter- und Kötterfcimilien der Arbeiter be¬
raubte, und chikcmirte sie so lange, bis sie „freiwillig" abzogen. Die Frei¬
sassen aber wurden auf mehrfache Weise ruinirt. Sie verloren die Arbeiter,
sie wurden bei der Gemeinheitsteilung so verkürzt, daß es ihnen an Vieh¬
weide gebrach, und die Landmesser und Advokaten machten ihnen so große
Kostenrechnungen, daß sie in Schulden gerieten. Das Verfahren des damaligen
„intelligenten" Gutsherrn beschreibt Hasbach nach den Quellen. „Zuerst kauft
er in Pfarreien und Gemeinweiden so viele Grundstücke wie nur möglich an,
bringt alle Manors in seinen Besitz, wenn mehrere vorhanden sind, schreibt
einen Gesetzentwurf mit Paragraphen nieder, die für ihn günstig sind, und
ernennt Landmesser und Kommissare, vorläufig ganz im Stillen. Dann werden
die wegen ihres Geschlechts und Standes unkundigen Gutsbesitzer j^? gemeint
sind ohne Zweifel die kleinen, die ?60moi^ bearbeitet, bis sie ihre Namen
unter die Petition ans Parlament setzen. Hartnäckigere sucht er bei einem
guten Dinner geschmeidig zu machen; gelingt es nicht, dann fallen Andeutungen
und Drohungen. Nun wird den übrigen durch Zirkular mitgeteilt, daß sich


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[0507] Grundbesitz, Landwirtschaft und Handarbeiter in England gehandelt, stand aber im schneidendsten Widerspruch mit der Idee der Kirchen¬ güter oder vielmehr mit ihren beiden Ideen. Denn nach der altkirchlichen Idee war das Kirchengut das xatriinouium xg-uvöruw und durfte nimmermehr reichen Leuten geschenkt werden. Nach der wirtschaftlichen Idee der mittelalterlichen Monarchen und Grundherren aber, die die Klöster mit Grundbesitz ausstatteten, sollte die verständige Leitung des Besiedlungswerkes durch gebildete Männer, was ja die Geistlichen des frühern Mittelalters waren, Wüsteneien in Kultur¬ land verwandeln und mit einer fleißigen und wohlhabenden Bevölkerung an¬ füllen. Die Bauern, die durch die Maßregel in Proletarier verwandelt wurden, machten etwa ein Fünftel der englischen Bauernschaft aus. Die zweite Pe¬ riode der Einhegungen siel mit der Verdrängung der kleinen Pächter durch große zusammen. Bei dem steigenden Reichtum der Kaufleute und Fabrikanten fehlte es nicht an Leuten, die ihr Geld in der immer einträglicher werdenden Landwirtschaft anzulegen Lust hatten, und den Landlords waren große Pächter angenehmer als kleine, nicht bloß wegen der bequemern Renteneinziehuug, sondern auch weil sie von der rationell betriebnen Großwirtschaft höhere Renten hofften, und weil sie an den Gebäuden sparten, die sie im Staude zu erhalten verpflichtet waren, wenn von einem halben oder ganzen Dutzend Pacht¬ höfen immer nur einer stehen blieb und die übrigen weggerissen wurden. Has¬ bach untersucht die Rechtsfrage in Beziehung auf alle diese Vorgänge, nament¬ lich auf die Einhegungen, und kommt zu dem Ergebnis, daß zwar sehr viel Ungerechtigkeit, aber kein Unrecht im juristischen Sinne verübt worden sei. Natürlich! Die herrschenden Stände werden sich gehütet haben, etwas gesetz¬ widriges zu begehen! Das Recht der Erbpächter z. B. wurde nicht verletzt, aber man machte ihnen das Leben schwer, u. a. dadurch, daß man sie durch Verdrängung der kleinen Zeitpüchter- und Kötterfcimilien der Arbeiter be¬ raubte, und chikcmirte sie so lange, bis sie „freiwillig" abzogen. Die Frei¬ sassen aber wurden auf mehrfache Weise ruinirt. Sie verloren die Arbeiter, sie wurden bei der Gemeinheitsteilung so verkürzt, daß es ihnen an Vieh¬ weide gebrach, und die Landmesser und Advokaten machten ihnen so große Kostenrechnungen, daß sie in Schulden gerieten. Das Verfahren des damaligen „intelligenten" Gutsherrn beschreibt Hasbach nach den Quellen. „Zuerst kauft er in Pfarreien und Gemeinweiden so viele Grundstücke wie nur möglich an, bringt alle Manors in seinen Besitz, wenn mehrere vorhanden sind, schreibt einen Gesetzentwurf mit Paragraphen nieder, die für ihn günstig sind, und ernennt Landmesser und Kommissare, vorläufig ganz im Stillen. Dann werden die wegen ihres Geschlechts und Standes unkundigen Gutsbesitzer j^? gemeint sind ohne Zweifel die kleinen, die ?60moi^ bearbeitet, bis sie ihre Namen unter die Petition ans Parlament setzen. Hartnäckigere sucht er bei einem guten Dinner geschmeidig zu machen; gelingt es nicht, dann fallen Andeutungen und Drohungen. Nun wird den übrigen durch Zirkular mitgeteilt, daß sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/507>, abgerufen am 01.09.2024.