Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches ihre Waren freien Eingang beim Zwillingsbruder fordern. Excellenz Thielen seufzte Die geplante Verfassungs- und Wahlrechtsänderung wird zunächst in solchen Maßgebliches und Unmaßgebliches ihre Waren freien Eingang beim Zwillingsbruder fordern. Excellenz Thielen seufzte Die geplante Verfassungs- und Wahlrechtsänderung wird zunächst in solchen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0499" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222145"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1679" prev="#ID_1678"> ihre Waren freien Eingang beim Zwillingsbruder fordern. Excellenz Thielen seufzte<lb/> in jener Debatte: Wohin soll es kommen, wenn wir uns gegen das Ausland ab¬<lb/> sperren und auch noch im Irland gegen einander! Wohin es kommen soll? Es ist<lb/> ja schon dort, oder vielmehr wir sind schon da! Bekenne sich eine Negierung zum<lb/> Protektionismus, so verpflichtet sie sich, jedermann seine Konkurrenten vom Leibe<lb/> zu halten und dafür zu sorgen, daß jeder Gewerbtreibeude so wohlfeil wie möglich<lb/> einkaufen und so teuer wie möglich verkaufe» könne. Hat man das erst überall<lb/> im Lande begriffen, so prnsentirt jeder Angehörige der produktiven Stände, wie<lb/> sich heute die Unternehmer mit Vorliebe nennen, den Ministern seine Rechnung,<lb/> und die mögen nun sehen, woher sie die Mittel nehmen zur Einlösung ihrer Ver¬<lb/> bindlichkeiten. Bisher sind diese produktiven Stände immer noch von Zeit zu Zeit<lb/> in der Abrechnung mit den Regierungen gestört worden, bald durch die Forde¬<lb/> rungen der Arbeiter, bald durch Beratungen darüber, wie man diese lästigen Leute<lb/> loswerden könne durch eine Änderung der Verfassung, der Form des politischen<lb/> Lebens. Wie schön es erst werden wird, wenn dieses Ziel erreicht ist und die<lb/> „Produktiven" ganz unter sich sind, das läßt einen die steigende Erbitterung ahnen,<lb/> mit der die Nationalliberalen und die Konservativen einander bekämpfen. Zwar<lb/> sind beide Zuckerinteressenten, aber schließlich haben sich die nationalliberalen Fabri¬<lb/> kanten doch darauf besonnen, daß nicht alles Zucker ist, was sie produziren, und<lb/> sie fangen ganz ernsthaft an, ihre agrarisch gesinnten Parteigenossen abzustoßen.<lb/> Was noch ideale Ziele verfolgt, das wird sich der am 26. Februar in Frankfurt<lb/> am Main gegründeten christlich-sozialen Partei anschließen oder eine zweite neue<lb/> Partei gründen müssen. Gegen Naumann hat sich die neue Stöckerpartei zwar<lb/> „abgegrenzt," aber in den Verhandlungen traten doch zahlreiche und starke Sym¬<lb/> pathien für ihn hervor.</p><lb/> <p xml:id="ID_1680" next="#ID_1681"> Die geplante Verfassungs- und Wahlrechtsänderung wird zunächst in solchen<lb/> Kleinstaaten durchgeführt, die sich bisher eines liberalem Wahlsystems erfreuten<lb/> als Preußen, In Anhalt und in Weimar ist sie fertig, im Königreich Sachsen<lb/> dem Abschluß nahe. In Weimar erinnerte der sozialdemokratische Redner an die<lb/> Zeiten Karl Augusts und Goethes, von der der neue Pharao, d. h. die Wei-<lb/> maraner der höhern Zensusklassen, nichts weiß. In Sachsen opponiren zwar außer<lb/> der sozialdemokratischen Arbeiterschaft auch angesehene Mitglieder der bürgerlichen<lb/> Klaffen gegen den Plan, und zwar nicht bloß berühmte Universitätslehrer, sondern,<lb/> was schwer ins Gewicht fällt, sogar Fabrikanten, aber nach allem, was vorgefallen<lb/> ist, würde der Rückzug eine so starke Beschämung der Landtagsmehrheit und der<lb/> Regierung bedeuten, daß diese beiden Mächte, um ihr zu entgehen, wohl fest bleiben<lb/> werden. Und ist die Sache in Sachsen fertig, dann wird man sie im Reiche in<lb/> die Hand nehmen. Dort wird der Widerstand noch bedeutend heftiger werden,<lb/> weil sich außer den Arbeitern noch andre sehr große Bevölkerungsgruppen und<lb/> Interessenkreise in ihrem Besitzstande bedroht suhlen werden, aber — die Ver¬<lb/> bündeten Regierungen haben die Macht, und so hängt die Entscheidung allein<lb/> von ihrem Willen ab. Wenn dann geschehen ist, was schon so lange gedroht hat,<lb/> wird den Sozialistenführern ihre Dummheit in ihrer ganzen Größe offenbar<lb/> werden; haben sie doch das Unheil durch pöbelhafte Beschimpfungen der ..Mords¬<lb/> patrioten" im vorigen Sommer und durch ihre« kindischen Antrag auf Erweiterung<lb/> des bestehenden sächsischen Wahlrechts mutwillig heraufbeschworen. Geplant waren<lb/> ja die Wahlrechtsäuderuugen schon vor diesen Schwabenstreichen, aber ohne sie<lb/> würde man weit länger Zeit gebraucht haben, dafür Stimmung zu machen, und<lb/> in der Politik heißt es gar oft: Zeit gewonnen, alles gewonnen. Wenn dann</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0499]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
ihre Waren freien Eingang beim Zwillingsbruder fordern. Excellenz Thielen seufzte
in jener Debatte: Wohin soll es kommen, wenn wir uns gegen das Ausland ab¬
sperren und auch noch im Irland gegen einander! Wohin es kommen soll? Es ist
ja schon dort, oder vielmehr wir sind schon da! Bekenne sich eine Negierung zum
Protektionismus, so verpflichtet sie sich, jedermann seine Konkurrenten vom Leibe
zu halten und dafür zu sorgen, daß jeder Gewerbtreibeude so wohlfeil wie möglich
einkaufen und so teuer wie möglich verkaufe» könne. Hat man das erst überall
im Lande begriffen, so prnsentirt jeder Angehörige der produktiven Stände, wie
sich heute die Unternehmer mit Vorliebe nennen, den Ministern seine Rechnung,
und die mögen nun sehen, woher sie die Mittel nehmen zur Einlösung ihrer Ver¬
bindlichkeiten. Bisher sind diese produktiven Stände immer noch von Zeit zu Zeit
in der Abrechnung mit den Regierungen gestört worden, bald durch die Forde¬
rungen der Arbeiter, bald durch Beratungen darüber, wie man diese lästigen Leute
loswerden könne durch eine Änderung der Verfassung, der Form des politischen
Lebens. Wie schön es erst werden wird, wenn dieses Ziel erreicht ist und die
„Produktiven" ganz unter sich sind, das läßt einen die steigende Erbitterung ahnen,
mit der die Nationalliberalen und die Konservativen einander bekämpfen. Zwar
sind beide Zuckerinteressenten, aber schließlich haben sich die nationalliberalen Fabri¬
kanten doch darauf besonnen, daß nicht alles Zucker ist, was sie produziren, und
sie fangen ganz ernsthaft an, ihre agrarisch gesinnten Parteigenossen abzustoßen.
Was noch ideale Ziele verfolgt, das wird sich der am 26. Februar in Frankfurt
am Main gegründeten christlich-sozialen Partei anschließen oder eine zweite neue
Partei gründen müssen. Gegen Naumann hat sich die neue Stöckerpartei zwar
„abgegrenzt," aber in den Verhandlungen traten doch zahlreiche und starke Sym¬
pathien für ihn hervor.
Die geplante Verfassungs- und Wahlrechtsänderung wird zunächst in solchen
Kleinstaaten durchgeführt, die sich bisher eines liberalem Wahlsystems erfreuten
als Preußen, In Anhalt und in Weimar ist sie fertig, im Königreich Sachsen
dem Abschluß nahe. In Weimar erinnerte der sozialdemokratische Redner an die
Zeiten Karl Augusts und Goethes, von der der neue Pharao, d. h. die Wei-
maraner der höhern Zensusklassen, nichts weiß. In Sachsen opponiren zwar außer
der sozialdemokratischen Arbeiterschaft auch angesehene Mitglieder der bürgerlichen
Klaffen gegen den Plan, und zwar nicht bloß berühmte Universitätslehrer, sondern,
was schwer ins Gewicht fällt, sogar Fabrikanten, aber nach allem, was vorgefallen
ist, würde der Rückzug eine so starke Beschämung der Landtagsmehrheit und der
Regierung bedeuten, daß diese beiden Mächte, um ihr zu entgehen, wohl fest bleiben
werden. Und ist die Sache in Sachsen fertig, dann wird man sie im Reiche in
die Hand nehmen. Dort wird der Widerstand noch bedeutend heftiger werden,
weil sich außer den Arbeitern noch andre sehr große Bevölkerungsgruppen und
Interessenkreise in ihrem Besitzstande bedroht suhlen werden, aber — die Ver¬
bündeten Regierungen haben die Macht, und so hängt die Entscheidung allein
von ihrem Willen ab. Wenn dann geschehen ist, was schon so lange gedroht hat,
wird den Sozialistenführern ihre Dummheit in ihrer ganzen Größe offenbar
werden; haben sie doch das Unheil durch pöbelhafte Beschimpfungen der ..Mords¬
patrioten" im vorigen Sommer und durch ihre« kindischen Antrag auf Erweiterung
des bestehenden sächsischen Wahlrechts mutwillig heraufbeschworen. Geplant waren
ja die Wahlrechtsäuderuugen schon vor diesen Schwabenstreichen, aber ohne sie
würde man weit länger Zeit gebraucht haben, dafür Stimmung zu machen, und
in der Politik heißt es gar oft: Zeit gewonnen, alles gewonnen. Wenn dann
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