Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Gustav zu putlitz Möglichkeit zu seinen freien und großen, im eigentlichen Sinne poetischen Gewisse Übel tragen überdies ihre Heilkraft in sich selbst. Kommt es dem Gustav zu putlitz Möglichkeit zu seinen freien und großen, im eigentlichen Sinne poetischen Gewisse Übel tragen überdies ihre Heilkraft in sich selbst. Kommt es dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222117"/> <fw type="header" place="top"> Gustav zu putlitz</fw><lb/> <p xml:id="ID_1564" prev="#ID_1563"> Möglichkeit zu seinen freien und großen, im eigentlichen Sinne poetischen<lb/> Werken mühsam und in langen Pausen abringen mußte, so auch der von der<lb/> Gunst des Schicksals getragne Putlitz eine eingehende, jede Lichtseite seines<lb/> Wesens und Strebens hervorhebende Lebensgeschichte von liebevoller Hand er¬<lb/> halten habe, während Wilibald Alexis, dem weit größern und tiefer wirkenden<lb/> Schriftsteller, bis heute nicht einmal eine flüchtige Skizze seines Lebens und<lb/> Werdens zu teil geworden sei. Zuletzt liegt doch nur eine zufällige Ver¬<lb/> kettung von Umständen dieser Ungerechtigkeit zu Grunde. Putlitz schied aus<lb/> der Mitte einer zahlreichen, blühenden Familie, hinterließ eine Gemahlin, die<lb/> den größten Teil seiner litterarischen und künstlerischen Entwicklung begleitet<lb/> hatte, die zum Willen auch die volle Fähigkeit besaß, das treueste Lebensbild<lb/> zu entwerfen und in den Erinnerungen an den Gatten ihre eignen besten<lb/> Erinnerungen neu belebte. Wilibald Alexis dagegen war schon einige Jahre<lb/> vor seinem wirklichen Tode dem Leben entrückt, sein Haus scheint sich nach<lb/> dem Tode des Hauptes rasch aufgelöst zu haben, niemand zeigte ein unmittel¬<lb/> bares persönliches Interesse an der Errichtung eines biographischen Denkmals.<lb/> So ergiebt sich für den gerecht urteilenden Freund der deutschen Dichtung aus<lb/> der Ungleichheit des letzten Glücks beider Dichter nur zweierlei. Zuerst, daß<lb/> die klaffende Lücke in unsrer biographischen Litteratur in Bezug auf Wilibald<lb/> Alexis über kurz oder lang ausgefüllt werden muß. Sodann, daß die Existenz<lb/> eines dreibändigen Werkes über Gustav zu Putlitz für die Beurteilung und<lb/> Geltung seiner poetischen Leistungen und Versuche nicht schwerer ins Gewicht<lb/> fallen darf, als die knappen, einfachen Artikel, mit denen mehr als einer seiner<lb/> besten Zeitgenossen etwa in der Allgemeinen deutschen Biographie bedacht<lb/> worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1565" next="#ID_1566"> Gewisse Übel tragen überdies ihre Heilkraft in sich selbst. Kommt es dem<lb/> Gedächtnis und der Würdigung eines Dichters zu gute, daß sein Leben liebevoll<lb/> «ut eingehend geschildert, daß uus Entstehung und Aufnahme seiner Werke<lb/> unmittelbar nahegerückt wird, wirkt die Lebensgeschichte sogar doppelt, wenn<lb/> das in ihr gespiegelte Dasein ein solches ist, das der Phantasie der meisten<lb/> Menschen als wünschenswert, ja beneidenswert erscheint, so hat die Sache doch<lb/> auch eine andre Seite. Tritt aus all der Gunst der Verhältnisse, aus all<lb/> ihrer fesselnden Schilderung doch uur eine mäßige Entwicklung hervor, so<lb/> liegt die Frage nahe, ob nicht gerade die äußern Vorzüge einer bevorrechteten<lb/> Existenz zum Hemmnis größerer Entwicklung geworden sind? Es mag wahr<lb/> sein, daß in allen Fällen der innere Trieb des Schaffens, der künstlerische<lb/> Fleiß im Verhältnis zum Talente stehen. Wie aber, wenn diesem Trieb und<lb/> Fleiß durch die gesellschaftliche Atmosphäre, in der der Träger des Talents<lb/> lebt, unsichtbare, doch höchst fühlbare Schranken gesetzt werden, wie. wenn die<lb/> geistige Genügsamkeit, „die alles schreckt, was tief ist," den Dichter in einem<lb/> Bann hält, der ungeahnten Einfluß auf ihn übt, wie, wenn die gesellschaftliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
Gustav zu putlitz
Möglichkeit zu seinen freien und großen, im eigentlichen Sinne poetischen
Werken mühsam und in langen Pausen abringen mußte, so auch der von der
Gunst des Schicksals getragne Putlitz eine eingehende, jede Lichtseite seines
Wesens und Strebens hervorhebende Lebensgeschichte von liebevoller Hand er¬
halten habe, während Wilibald Alexis, dem weit größern und tiefer wirkenden
Schriftsteller, bis heute nicht einmal eine flüchtige Skizze seines Lebens und
Werdens zu teil geworden sei. Zuletzt liegt doch nur eine zufällige Ver¬
kettung von Umständen dieser Ungerechtigkeit zu Grunde. Putlitz schied aus
der Mitte einer zahlreichen, blühenden Familie, hinterließ eine Gemahlin, die
den größten Teil seiner litterarischen und künstlerischen Entwicklung begleitet
hatte, die zum Willen auch die volle Fähigkeit besaß, das treueste Lebensbild
zu entwerfen und in den Erinnerungen an den Gatten ihre eignen besten
Erinnerungen neu belebte. Wilibald Alexis dagegen war schon einige Jahre
vor seinem wirklichen Tode dem Leben entrückt, sein Haus scheint sich nach
dem Tode des Hauptes rasch aufgelöst zu haben, niemand zeigte ein unmittel¬
bares persönliches Interesse an der Errichtung eines biographischen Denkmals.
So ergiebt sich für den gerecht urteilenden Freund der deutschen Dichtung aus
der Ungleichheit des letzten Glücks beider Dichter nur zweierlei. Zuerst, daß
die klaffende Lücke in unsrer biographischen Litteratur in Bezug auf Wilibald
Alexis über kurz oder lang ausgefüllt werden muß. Sodann, daß die Existenz
eines dreibändigen Werkes über Gustav zu Putlitz für die Beurteilung und
Geltung seiner poetischen Leistungen und Versuche nicht schwerer ins Gewicht
fallen darf, als die knappen, einfachen Artikel, mit denen mehr als einer seiner
besten Zeitgenossen etwa in der Allgemeinen deutschen Biographie bedacht
worden ist.
Gewisse Übel tragen überdies ihre Heilkraft in sich selbst. Kommt es dem
Gedächtnis und der Würdigung eines Dichters zu gute, daß sein Leben liebevoll
«ut eingehend geschildert, daß uus Entstehung und Aufnahme seiner Werke
unmittelbar nahegerückt wird, wirkt die Lebensgeschichte sogar doppelt, wenn
das in ihr gespiegelte Dasein ein solches ist, das der Phantasie der meisten
Menschen als wünschenswert, ja beneidenswert erscheint, so hat die Sache doch
auch eine andre Seite. Tritt aus all der Gunst der Verhältnisse, aus all
ihrer fesselnden Schilderung doch uur eine mäßige Entwicklung hervor, so
liegt die Frage nahe, ob nicht gerade die äußern Vorzüge einer bevorrechteten
Existenz zum Hemmnis größerer Entwicklung geworden sind? Es mag wahr
sein, daß in allen Fällen der innere Trieb des Schaffens, der künstlerische
Fleiß im Verhältnis zum Talente stehen. Wie aber, wenn diesem Trieb und
Fleiß durch die gesellschaftliche Atmosphäre, in der der Träger des Talents
lebt, unsichtbare, doch höchst fühlbare Schranken gesetzt werden, wie. wenn die
geistige Genügsamkeit, „die alles schreckt, was tief ist," den Dichter in einem
Bann hält, der ungeahnten Einfluß auf ihn übt, wie, wenn die gesellschaftliche
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