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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Dramaturgisches und Dramatisches

ihm ein Halsband um und schmieden allerlei Pläne, ihn zu entthronen. Noch
ein zweites mal fällt er in diese tierische Rolle, als er kaum genesen, wiederum
seinen Tyrannengelüsten folgt und einen Feldzug plant. Beidemale errettet
ihn aus dieser schlimmen Lage und giebt ihm menschlichen Verstand zurück die
Liebe zu der schönen Daira. Das ist der Zauber, auf dem das Stück beruht.
Daira hat schon als Kind sein Herz gewonnen, und zwar mit gelben Rosen
aus ihrem Garten. Dann hat er sie vergessen, aber sie umstrickt ihn aufs neue,
und diese Liebe und ein ziemlich träges, nach unsern Vorstellungen etwas lang¬
weiliges Genußleben bilden das Gegengift gegen den tierischen Wahnsinn und
bieten ihm zugleich Ersatz für Thron, Herrschaft und Krieg, was alles Nabuco
am Ende mit Freuden aufgiebt, um ganz mit Daira und ihren gelben Rosen
zu leben. In allen wichtigen Augenblicken kehren diese gelben Rosen wieder,
und zuletzt, als sich der König mit seiner Geliebten für immer ins Privatleben
zurückzieht, benutzt er noch sein Schwert, um einen Zweig solcher Rosen abzu¬
schneiden, und wirft es dann fort. Dem Diener aber, der es aufheben will,
ruft er zu: "Nein, laß es liegen!" Dann fällt der Vorhang.

Wer das originell nennt, mit dem ist nicht weiter zu rechten. Daß die
italienische Sprache schön ist, läßt sich auch nicht leugnen, und daß es die
Sprache dieses Stücks ebenfalls sei, wollen wir auch der Übersetzung gern
glauben. Aber das allein genügt doch noch nicht, uns den Eindruck zu ge¬
währen, daß wir hier eine außergewöhnliche Leistung zu verehren hätten. Denn
daß sie nach Fuldas Worten "mit der konventionellen historischen Jamben¬
tragödie nichts gemein hat" (was der geneigte Leser auch ohnedies gemerkt
haben wird), thut es doch auch nicht allein. Nun belehrt uns aber der Dichter
selbst, daß sein Drama ein, wie er hofft, erfolgreicher Protest gegen den Krieg
sein soll, und die Übersetzerin hat das Stück deswegen übersetzt, "um dem edeln
Werk ihres Lebens einen neuen Bundesgenossen zuzuführen," wie Fulda sagt.
Alle drei haben sich also in diesem schönen Gedanken zusammengefunden, und
da uns der Dichter versichert, daß dies nur das erste sei von vielen Stücken
verschiedner Gattung, die "alle der Propaganda gegen den Krieg nützen können,"
so ist zu hoffen, daß auf diesem Wege auch noch einmal etwas wirksameres
gesunden wird, als die gelben Rosen des bellenden Nebukadnezar. ^




Dramaturgisches und Dramatisches

ihm ein Halsband um und schmieden allerlei Pläne, ihn zu entthronen. Noch
ein zweites mal fällt er in diese tierische Rolle, als er kaum genesen, wiederum
seinen Tyrannengelüsten folgt und einen Feldzug plant. Beidemale errettet
ihn aus dieser schlimmen Lage und giebt ihm menschlichen Verstand zurück die
Liebe zu der schönen Daira. Das ist der Zauber, auf dem das Stück beruht.
Daira hat schon als Kind sein Herz gewonnen, und zwar mit gelben Rosen
aus ihrem Garten. Dann hat er sie vergessen, aber sie umstrickt ihn aufs neue,
und diese Liebe und ein ziemlich träges, nach unsern Vorstellungen etwas lang¬
weiliges Genußleben bilden das Gegengift gegen den tierischen Wahnsinn und
bieten ihm zugleich Ersatz für Thron, Herrschaft und Krieg, was alles Nabuco
am Ende mit Freuden aufgiebt, um ganz mit Daira und ihren gelben Rosen
zu leben. In allen wichtigen Augenblicken kehren diese gelben Rosen wieder,
und zuletzt, als sich der König mit seiner Geliebten für immer ins Privatleben
zurückzieht, benutzt er noch sein Schwert, um einen Zweig solcher Rosen abzu¬
schneiden, und wirft es dann fort. Dem Diener aber, der es aufheben will,
ruft er zu: „Nein, laß es liegen!" Dann fällt der Vorhang.

Wer das originell nennt, mit dem ist nicht weiter zu rechten. Daß die
italienische Sprache schön ist, läßt sich auch nicht leugnen, und daß es die
Sprache dieses Stücks ebenfalls sei, wollen wir auch der Übersetzung gern
glauben. Aber das allein genügt doch noch nicht, uns den Eindruck zu ge¬
währen, daß wir hier eine außergewöhnliche Leistung zu verehren hätten. Denn
daß sie nach Fuldas Worten „mit der konventionellen historischen Jamben¬
tragödie nichts gemein hat" (was der geneigte Leser auch ohnedies gemerkt
haben wird), thut es doch auch nicht allein. Nun belehrt uns aber der Dichter
selbst, daß sein Drama ein, wie er hofft, erfolgreicher Protest gegen den Krieg
sein soll, und die Übersetzerin hat das Stück deswegen übersetzt, „um dem edeln
Werk ihres Lebens einen neuen Bundesgenossen zuzuführen," wie Fulda sagt.
Alle drei haben sich also in diesem schönen Gedanken zusammengefunden, und
da uns der Dichter versichert, daß dies nur das erste sei von vielen Stücken
verschiedner Gattung, die „alle der Propaganda gegen den Krieg nützen können,"
so ist zu hoffen, daß auf diesem Wege auch noch einmal etwas wirksameres
gesunden wird, als die gelben Rosen des bellenden Nebukadnezar. ^




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/442>, abgerufen am 01.09.2024.