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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Persönlichkeit

Im allgemeinen hütet man sich, wenn man vom Recht der Persönlichkeit
spricht, alle die Menschen, die in der That Persönlichkeiten sind, einzuschließen,
man meint nur die wahrhaft bedeutenden, die großen Persönlichkeiten, die Genies,
und so redet denn auch der Mann, mit dessen Ausführungen ich diesen Aufsatz
begann, nur von einer kleinen Anzahl Auserlesener, die auf Kosten der Schwächern
ihre geniale Kraft frei bethätigen werden. Ich glaube gezeigt zu haben, daß
man diese Auslese nicht vornehmen darf; schon die alte Fabel der Gewalts¬
theorie "Denn ich bin groß und du bist klein," könnte jedermann darüber be¬
lehren -- ich will mich aber doch noch mit den Rechten großer Menschen, den
"Künstler- und Königsrechten," etwas näher befassen.

Auf ethischem Gebiet giebt es weder Künstler- noch Königsrechte, hat ein
Mann gesagt, den seine Natur nicht selten in Versuchung führte, Künstlerrechtc
zu beanspruchen, und der Satz ist unbedingt zu unterschreiben. Wohl steht
der echte Künstler, das Genie überhaupt, der Welt anders gegenüber als der
Durchschnittsmensch; er sieht sie anders, wahrer und vollständiger, alle kon¬
ventionellen Schranken falle" vor seinem Blick, er ist mit einem Nervensystem
ausgestattet, das auf die äußern Eindrücke leichter und vielfach auch tiefer
recigirt als das seiner Mitmenschen, und daraus folgt, daß er sich auch leichter
verändert als sie, er hat vor allem ganz andre Interessen, oder, wie sich
Schopenhauer ausdrückt, er hat gar keine, er arbeitet nicht für einen Zweck, er
schafft. Dennoch steht er als Mensch genau so da wie alle andern, und mag
er immer die Konvention nicht achten, das sittliche Gesetz ist für ihn gemalt
so verbindlich. Es ist nichts mit der "skrupelloser Wahl der Mittel," der
freien Bethätigung der genialen Kraft auf Kosten der Schwächern. Der Künstler
hat die Aufgabe, das Leben in künstlerischen Werken ncichzngestalten -- da kann
nun schon von einer skrupelloser Wahl der Mittel gar nicht die Rede sein,
und Schwächere werden dabei auch gewiß nicht vergewaltigt. Er muß freilich
leben, um gestalten zu können, er braucht namentlich in den Zeiten seiner Ent¬
wicklung, wenn er nicht zufällig vorsichtig in der Wahl seines Vaters gewesen
ist, wohlwollende Unterstützung und später mehr oder minder Erfolg, aber
nichts zwingt ihn, sich das eine oder das andre zu erschwindeln -- denn darauf
läuft die skrupellose Wahl der Mittel hier doch wohl zuletzt hinaus. Es kommt
gewiß vor, daß Künstler undankbar sind, daß sie Menschen, die ihnen manches,
ja alles geopfert haben, später fallen lassen; aber weh ihnen, wenn sie das als
Künstlerrecht beanspruchen sollten! Sicherlich zahlt der Künstler für genossene
Unterstützung gewissermaßen mit seinen Werken, wenn ihn die auch keineswegs
der Verbindlichkeit entheben, seine Schulden zu bezahlen, aber wo er mehr em¬
pfangen hat als Geld, da haftet er auch mit mehr, Mensch steht da gegen
Mensch, nicht Persönlichkeit gegen Persönlichkeit. Durch unbezahlte Schulden
wird noch kein sittliches Gesetz verletzt, es sei denn in solchen Fälle", wo der
Geber selbst i" Not gerät und auf Rückerstattung rechnen muß; eine sittliche


Das Recht der Persönlichkeit

Im allgemeinen hütet man sich, wenn man vom Recht der Persönlichkeit
spricht, alle die Menschen, die in der That Persönlichkeiten sind, einzuschließen,
man meint nur die wahrhaft bedeutenden, die großen Persönlichkeiten, die Genies,
und so redet denn auch der Mann, mit dessen Ausführungen ich diesen Aufsatz
begann, nur von einer kleinen Anzahl Auserlesener, die auf Kosten der Schwächern
ihre geniale Kraft frei bethätigen werden. Ich glaube gezeigt zu haben, daß
man diese Auslese nicht vornehmen darf; schon die alte Fabel der Gewalts¬
theorie „Denn ich bin groß und du bist klein," könnte jedermann darüber be¬
lehren — ich will mich aber doch noch mit den Rechten großer Menschen, den
„Künstler- und Königsrechten," etwas näher befassen.

Auf ethischem Gebiet giebt es weder Künstler- noch Königsrechte, hat ein
Mann gesagt, den seine Natur nicht selten in Versuchung führte, Künstlerrechtc
zu beanspruchen, und der Satz ist unbedingt zu unterschreiben. Wohl steht
der echte Künstler, das Genie überhaupt, der Welt anders gegenüber als der
Durchschnittsmensch; er sieht sie anders, wahrer und vollständiger, alle kon¬
ventionellen Schranken falle» vor seinem Blick, er ist mit einem Nervensystem
ausgestattet, das auf die äußern Eindrücke leichter und vielfach auch tiefer
recigirt als das seiner Mitmenschen, und daraus folgt, daß er sich auch leichter
verändert als sie, er hat vor allem ganz andre Interessen, oder, wie sich
Schopenhauer ausdrückt, er hat gar keine, er arbeitet nicht für einen Zweck, er
schafft. Dennoch steht er als Mensch genau so da wie alle andern, und mag
er immer die Konvention nicht achten, das sittliche Gesetz ist für ihn gemalt
so verbindlich. Es ist nichts mit der „skrupelloser Wahl der Mittel," der
freien Bethätigung der genialen Kraft auf Kosten der Schwächern. Der Künstler
hat die Aufgabe, das Leben in künstlerischen Werken ncichzngestalten — da kann
nun schon von einer skrupelloser Wahl der Mittel gar nicht die Rede sein,
und Schwächere werden dabei auch gewiß nicht vergewaltigt. Er muß freilich
leben, um gestalten zu können, er braucht namentlich in den Zeiten seiner Ent¬
wicklung, wenn er nicht zufällig vorsichtig in der Wahl seines Vaters gewesen
ist, wohlwollende Unterstützung und später mehr oder minder Erfolg, aber
nichts zwingt ihn, sich das eine oder das andre zu erschwindeln — denn darauf
läuft die skrupellose Wahl der Mittel hier doch wohl zuletzt hinaus. Es kommt
gewiß vor, daß Künstler undankbar sind, daß sie Menschen, die ihnen manches,
ja alles geopfert haben, später fallen lassen; aber weh ihnen, wenn sie das als
Künstlerrecht beanspruchen sollten! Sicherlich zahlt der Künstler für genossene
Unterstützung gewissermaßen mit seinen Werken, wenn ihn die auch keineswegs
der Verbindlichkeit entheben, seine Schulden zu bezahlen, aber wo er mehr em¬
pfangen hat als Geld, da haftet er auch mit mehr, Mensch steht da gegen
Mensch, nicht Persönlichkeit gegen Persönlichkeit. Durch unbezahlte Schulden
wird noch kein sittliches Gesetz verletzt, es sei denn in solchen Fälle», wo der
Geber selbst i» Not gerät und auf Rückerstattung rechnen muß; eine sittliche


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[0374] Das Recht der Persönlichkeit Im allgemeinen hütet man sich, wenn man vom Recht der Persönlichkeit spricht, alle die Menschen, die in der That Persönlichkeiten sind, einzuschließen, man meint nur die wahrhaft bedeutenden, die großen Persönlichkeiten, die Genies, und so redet denn auch der Mann, mit dessen Ausführungen ich diesen Aufsatz begann, nur von einer kleinen Anzahl Auserlesener, die auf Kosten der Schwächern ihre geniale Kraft frei bethätigen werden. Ich glaube gezeigt zu haben, daß man diese Auslese nicht vornehmen darf; schon die alte Fabel der Gewalts¬ theorie „Denn ich bin groß und du bist klein," könnte jedermann darüber be¬ lehren — ich will mich aber doch noch mit den Rechten großer Menschen, den „Künstler- und Königsrechten," etwas näher befassen. Auf ethischem Gebiet giebt es weder Künstler- noch Königsrechte, hat ein Mann gesagt, den seine Natur nicht selten in Versuchung führte, Künstlerrechtc zu beanspruchen, und der Satz ist unbedingt zu unterschreiben. Wohl steht der echte Künstler, das Genie überhaupt, der Welt anders gegenüber als der Durchschnittsmensch; er sieht sie anders, wahrer und vollständiger, alle kon¬ ventionellen Schranken falle» vor seinem Blick, er ist mit einem Nervensystem ausgestattet, das auf die äußern Eindrücke leichter und vielfach auch tiefer recigirt als das seiner Mitmenschen, und daraus folgt, daß er sich auch leichter verändert als sie, er hat vor allem ganz andre Interessen, oder, wie sich Schopenhauer ausdrückt, er hat gar keine, er arbeitet nicht für einen Zweck, er schafft. Dennoch steht er als Mensch genau so da wie alle andern, und mag er immer die Konvention nicht achten, das sittliche Gesetz ist für ihn gemalt so verbindlich. Es ist nichts mit der „skrupelloser Wahl der Mittel," der freien Bethätigung der genialen Kraft auf Kosten der Schwächern. Der Künstler hat die Aufgabe, das Leben in künstlerischen Werken ncichzngestalten — da kann nun schon von einer skrupelloser Wahl der Mittel gar nicht die Rede sein, und Schwächere werden dabei auch gewiß nicht vergewaltigt. Er muß freilich leben, um gestalten zu können, er braucht namentlich in den Zeiten seiner Ent¬ wicklung, wenn er nicht zufällig vorsichtig in der Wahl seines Vaters gewesen ist, wohlwollende Unterstützung und später mehr oder minder Erfolg, aber nichts zwingt ihn, sich das eine oder das andre zu erschwindeln — denn darauf läuft die skrupellose Wahl der Mittel hier doch wohl zuletzt hinaus. Es kommt gewiß vor, daß Künstler undankbar sind, daß sie Menschen, die ihnen manches, ja alles geopfert haben, später fallen lassen; aber weh ihnen, wenn sie das als Künstlerrecht beanspruchen sollten! Sicherlich zahlt der Künstler für genossene Unterstützung gewissermaßen mit seinen Werken, wenn ihn die auch keineswegs der Verbindlichkeit entheben, seine Schulden zu bezahlen, aber wo er mehr em¬ pfangen hat als Geld, da haftet er auch mit mehr, Mensch steht da gegen Mensch, nicht Persönlichkeit gegen Persönlichkeit. Durch unbezahlte Schulden wird noch kein sittliches Gesetz verletzt, es sei denn in solchen Fälle», wo der Geber selbst i» Not gerät und auf Rückerstattung rechnen muß; eine sittliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/374>, abgerufen am 01.09.2024.