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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Genfer Legende

hat Hundrieser König Wilhelm dargestellt, umgeben von seinen Helden. Das
Heer ist verkörpert durch zwei Soldaten, die ihm französische Adler zu Füßen
legen. Ludwig von Baiern reicht dem König auf einem Kissen die Kaiserkrone.
Hat der Künstler unrecht gehandelt, weil der König von Baiern gar nicht in
Versailles gewesen ist und nur mit Mühe zu dem bekannten Briefe zu bewegen
war? Wir brauchen kein Wort darüber zu verlieren: jeder fühlt, daß der
Künstler von höherm Standpunkt aus ganz wahrhaft gewesen ist, obwohl der
Hergang geschichtlich betrachtet ein andrer war. Wir könnten die Beispiele ins
unendliche häufen, aber wir denken: das Prinzip ist klar. Und wenn wir schon
nach einer wahren Legende lechzen, um uns eine Person menschlich recht nahe
zu bringen, um wie viel mehr bedürfen wir (und nun gar das Volk!) einer
solchen Geschichtsbeurteilung, wenn es sich um leblose Thatsachen oder um
Abstrakta handelt! Damit denken wir den zweiten Teil unsrer Frage schon
beantwortet zu haben: wir heißen jede Legende willkommen, sobald sie eine
echte ist, d. h. sobald sie, wie Goethe sagt, die Wahrheit giebt im Schleier
der Dichtung.

Wie weit besteht denn nun die verbreitete Darstellung der Vorgänge in
Ems vor der Lupe des Forschers? Wir können uns dabei im wesentlichen an
einen Aufsatz von Hans Delbrück anschließen, der unter dem Titel "Das Ge¬
heimnis der Napoleonischen Politik im Jahre 1870" im Oktoberheft 1895 der
Preußischen Jahrbücher erschienen ist.

Als die französische Negierung bei der preußischen wegen der Hohen-
zvllernkandidatur anklopfte, erhielt sie die Antwort, das gehe die Berliner Ne¬
gierung nichts an, das sei Privatsache der süddeutschen Hohenzollernfürsten.
Aber Gramont schickte Benedetti nach Ems zu dem Chef des Hauses, zu König
Wilhelm. Der König antwortete ebenfalls, sein Gouvernement habe damit
nichts zu thun, und schob die Entscheidung ausschließlich dem Fürsten Anton
(dem Vater) zu. Er konnte sich aber doch nicht entschließen, zu sagen, in dieser
Sache habe er dem Erbprinzen nichts zu befehlen. Durch das vor einem
Jahre veröffentlichte Tagebuch des Königs Karvl von Rumänien ist un¬
umstößlich erwiesen, daß die Kandidatur des Prinzen Leopold mit allen Mitteln
von Bismarck betrieben worden ist. Allerdings wurde die Angelegenheit in
den Mantel einer "reinen Familiensciche" gehüllt. Aber diese von Bismarck
klug ersonnene Deckung war doch mehr künstlich, formalistisch, wenn sie auch
vorher nach juristischem Beirat so festgelegt war. Deshalb ließ sich der
König doch auf Verhandlungen mit Benedetti ein und sprach schließlich seine
Zustimmung zu der Zurückziehung der Kandidatur aus. Durch diese Ehrlich¬
keit erhielt die Angelegenheit für die preußische Politik eine höchst gefährliche
Wendung, denn der Name des Königs war nun doch mit hineingezogen worden,
und so sah es aus, als ob Preußen und nicht Hohenzollern und Spanien vor
den französischen Drohungen zurückweiche. Bismarck war außer sich und wollte
den Abschied nehmen.


Die Genfer Legende

hat Hundrieser König Wilhelm dargestellt, umgeben von seinen Helden. Das
Heer ist verkörpert durch zwei Soldaten, die ihm französische Adler zu Füßen
legen. Ludwig von Baiern reicht dem König auf einem Kissen die Kaiserkrone.
Hat der Künstler unrecht gehandelt, weil der König von Baiern gar nicht in
Versailles gewesen ist und nur mit Mühe zu dem bekannten Briefe zu bewegen
war? Wir brauchen kein Wort darüber zu verlieren: jeder fühlt, daß der
Künstler von höherm Standpunkt aus ganz wahrhaft gewesen ist, obwohl der
Hergang geschichtlich betrachtet ein andrer war. Wir könnten die Beispiele ins
unendliche häufen, aber wir denken: das Prinzip ist klar. Und wenn wir schon
nach einer wahren Legende lechzen, um uns eine Person menschlich recht nahe
zu bringen, um wie viel mehr bedürfen wir (und nun gar das Volk!) einer
solchen Geschichtsbeurteilung, wenn es sich um leblose Thatsachen oder um
Abstrakta handelt! Damit denken wir den zweiten Teil unsrer Frage schon
beantwortet zu haben: wir heißen jede Legende willkommen, sobald sie eine
echte ist, d. h. sobald sie, wie Goethe sagt, die Wahrheit giebt im Schleier
der Dichtung.

Wie weit besteht denn nun die verbreitete Darstellung der Vorgänge in
Ems vor der Lupe des Forschers? Wir können uns dabei im wesentlichen an
einen Aufsatz von Hans Delbrück anschließen, der unter dem Titel „Das Ge¬
heimnis der Napoleonischen Politik im Jahre 1870" im Oktoberheft 1895 der
Preußischen Jahrbücher erschienen ist.

Als die französische Negierung bei der preußischen wegen der Hohen-
zvllernkandidatur anklopfte, erhielt sie die Antwort, das gehe die Berliner Ne¬
gierung nichts an, das sei Privatsache der süddeutschen Hohenzollernfürsten.
Aber Gramont schickte Benedetti nach Ems zu dem Chef des Hauses, zu König
Wilhelm. Der König antwortete ebenfalls, sein Gouvernement habe damit
nichts zu thun, und schob die Entscheidung ausschließlich dem Fürsten Anton
(dem Vater) zu. Er konnte sich aber doch nicht entschließen, zu sagen, in dieser
Sache habe er dem Erbprinzen nichts zu befehlen. Durch das vor einem
Jahre veröffentlichte Tagebuch des Königs Karvl von Rumänien ist un¬
umstößlich erwiesen, daß die Kandidatur des Prinzen Leopold mit allen Mitteln
von Bismarck betrieben worden ist. Allerdings wurde die Angelegenheit in
den Mantel einer „reinen Familiensciche" gehüllt. Aber diese von Bismarck
klug ersonnene Deckung war doch mehr künstlich, formalistisch, wenn sie auch
vorher nach juristischem Beirat so festgelegt war. Deshalb ließ sich der
König doch auf Verhandlungen mit Benedetti ein und sprach schließlich seine
Zustimmung zu der Zurückziehung der Kandidatur aus. Durch diese Ehrlich¬
keit erhielt die Angelegenheit für die preußische Politik eine höchst gefährliche
Wendung, denn der Name des Königs war nun doch mit hineingezogen worden,
und so sah es aus, als ob Preußen und nicht Hohenzollern und Spanien vor
den französischen Drohungen zurückweiche. Bismarck war außer sich und wollte
den Abschied nehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/36>, abgerufen am 01.09.2024.