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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Kunst

den Preis bekommen hatte. Die beiden Herren hatten gestern in Erikas Gegen¬
wart wiederholt davon gesprochen, ein Berliner Professor sollte die besten
Aussichten haben. Heute Morgen hatte Erika kaum etwas genießen könne",
sodaß Tante Jda, die die gedrückte Stimmung ihrer Nichte schon in den letzten
Tagen besorgt gemacht hatte, ihrer Gesundheit wegen ganz ängstlich wurde.

Onkel Moller lächelte nur innerlich über das kleine überspannte Mädchen,
er erkannte den Grund ganz richtig. Wahrhaftig, sagte er sich, sie nimmt
immer noch ganz merkwürdig Anteil an dem Herrn. Na, den Preis wird er
ja nicht bekommen, wie sie sich alles Ernstes eingeredet zu haben scheint, und
dann wird er sich wohl auch kaum hier sehen lassen, worauf sie ohne allen
Zweifel gerechnet hat. Wie sich doch das ernste Leben in so einem Mädchen-
wpfe darstellt! Das soll sich alles nur so spielend machen! Sie hat keine
Ahnung, wieviel Talent und wieviel Arbeit dazu gehört, es im Leben zu etwas
zu bringen. Na, wir werden ja für sie sorgen. Morgen oder übermorgen
muß sich Bierman erklären und Antwort verlangen, dann trifft er günstige
Stimmung. Ist sie erst eingerichtet und führt sie das stolze Haus, das er
sich leisten kann, dann wird sie mit der Zeit ihre Schwärmerei für den Stein¬
metzen selber belächeln, das kennt man ja. Es ist die beste Partie, die sie
machen kann, und ich auch.

Da kommt der Briefträger! rief Erika.

Herr Moller blickte auf. Richtig, eben bog der Stephcuisbote um die
Ecke. Und da kommt ja auch Bierman, fügte er hinzu, gerade recht.

Die drei unter der Veranda sahen, wie Bierman den Beamten erreichte
und "ut ihm sprach. Der Mann öffnete seine Tasche, die er umgeschnallt vor
steh trug Herr Bierman deutete nach der Veranda. Augenscheinlich machte
er dem Beamten den Vorschlag, ihm die Mollersche Post mitzugeben, da er
doch einmal huigmge. Der Mann kannte ihn und seine Beziehungen zum
Hause. Er grüßte herüber, gab Herrn Bierman ein Paket Zeitungen und
Briefe und kehrte wieder um, denn die Villa war die letzte am Wege.

Herr Bierman kam auf das Gartenthor zu, nicht sehr eilig, wie es Herrn
Möller scheinen wollte. Als er heraufkam, begrüßte er die Frauen nur durch
eine tiefe Verbeugung. Onkel Moller gab er die Hand und sagte: Ich habe
mir Ihre Post geben lassen.

Es war etwas Unsicheres in seinem Wesen. Onkel Moller wurde auf¬
merksam.

Herr Bierman legte die Briefe auf den Tisch, die Zeitungen aber behielt
er in der Hand. Sie lesen sie am Ende im Walde, sagte er, und seine Augen
trafen die des Herrn Moller.

Ja, sollte denn wirklich -- fragte sich Onkel Moller erstaunt.

Erika bemerkte von der Mimik ihres Verehrers nicht das geringste, denn
unter den Briefen auf dem Tische lag einer an sie, und sie erkannte Vanriles
Umschlag und Handschrift. Ein freudiger Schreck durchzuckte sie: er schrieb
ganz offen durch die Post? Und schou hatte sie den Brief mit den Worten:
Da ist jn einer für mich! an sich genommen und aufgerissen.

Es war ein Brief darin von dem Geheimrat Boden an den Bildhauer
^rieb Vanrile. Auf der Rückseite schrieb Erich selbst.

. Hastig flogen ihre Augen über die wenigen Worte, und lachend und
weinend und im jauchzenden Jubel ihres Herzens alles um sich her vergessend,
'"s sie sie laut: Herrlich, Maus, den ersten Preis bekommen! Außerdem


Die Kunst

den Preis bekommen hatte. Die beiden Herren hatten gestern in Erikas Gegen¬
wart wiederholt davon gesprochen, ein Berliner Professor sollte die besten
Aussichten haben. Heute Morgen hatte Erika kaum etwas genießen könne»,
sodaß Tante Jda, die die gedrückte Stimmung ihrer Nichte schon in den letzten
Tagen besorgt gemacht hatte, ihrer Gesundheit wegen ganz ängstlich wurde.

Onkel Moller lächelte nur innerlich über das kleine überspannte Mädchen,
er erkannte den Grund ganz richtig. Wahrhaftig, sagte er sich, sie nimmt
immer noch ganz merkwürdig Anteil an dem Herrn. Na, den Preis wird er
ja nicht bekommen, wie sie sich alles Ernstes eingeredet zu haben scheint, und
dann wird er sich wohl auch kaum hier sehen lassen, worauf sie ohne allen
Zweifel gerechnet hat. Wie sich doch das ernste Leben in so einem Mädchen-
wpfe darstellt! Das soll sich alles nur so spielend machen! Sie hat keine
Ahnung, wieviel Talent und wieviel Arbeit dazu gehört, es im Leben zu etwas
zu bringen. Na, wir werden ja für sie sorgen. Morgen oder übermorgen
muß sich Bierman erklären und Antwort verlangen, dann trifft er günstige
Stimmung. Ist sie erst eingerichtet und führt sie das stolze Haus, das er
sich leisten kann, dann wird sie mit der Zeit ihre Schwärmerei für den Stein¬
metzen selber belächeln, das kennt man ja. Es ist die beste Partie, die sie
machen kann, und ich auch.

Da kommt der Briefträger! rief Erika.

Herr Moller blickte auf. Richtig, eben bog der Stephcuisbote um die
Ecke. Und da kommt ja auch Bierman, fügte er hinzu, gerade recht.

Die drei unter der Veranda sahen, wie Bierman den Beamten erreichte
und „ut ihm sprach. Der Mann öffnete seine Tasche, die er umgeschnallt vor
steh trug Herr Bierman deutete nach der Veranda. Augenscheinlich machte
er dem Beamten den Vorschlag, ihm die Mollersche Post mitzugeben, da er
doch einmal huigmge. Der Mann kannte ihn und seine Beziehungen zum
Hause. Er grüßte herüber, gab Herrn Bierman ein Paket Zeitungen und
Briefe und kehrte wieder um, denn die Villa war die letzte am Wege.

Herr Bierman kam auf das Gartenthor zu, nicht sehr eilig, wie es Herrn
Möller scheinen wollte. Als er heraufkam, begrüßte er die Frauen nur durch
eine tiefe Verbeugung. Onkel Moller gab er die Hand und sagte: Ich habe
mir Ihre Post geben lassen.

Es war etwas Unsicheres in seinem Wesen. Onkel Moller wurde auf¬
merksam.

Herr Bierman legte die Briefe auf den Tisch, die Zeitungen aber behielt
er in der Hand. Sie lesen sie am Ende im Walde, sagte er, und seine Augen
trafen die des Herrn Moller.

Ja, sollte denn wirklich — fragte sich Onkel Moller erstaunt.

Erika bemerkte von der Mimik ihres Verehrers nicht das geringste, denn
unter den Briefen auf dem Tische lag einer an sie, und sie erkannte Vanriles
Umschlag und Handschrift. Ein freudiger Schreck durchzuckte sie: er schrieb
ganz offen durch die Post? Und schou hatte sie den Brief mit den Worten:
Da ist jn einer für mich! an sich genommen und aufgerissen.

Es war ein Brief darin von dem Geheimrat Boden an den Bildhauer
^rieb Vanrile. Auf der Rückseite schrieb Erich selbst.

. Hastig flogen ihre Augen über die wenigen Worte, und lachend und
weinend und im jauchzenden Jubel ihres Herzens alles um sich her vergessend,
'"s sie sie laut: Herrlich, Maus, den ersten Preis bekommen! Außerdem


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[0343] Die Kunst den Preis bekommen hatte. Die beiden Herren hatten gestern in Erikas Gegen¬ wart wiederholt davon gesprochen, ein Berliner Professor sollte die besten Aussichten haben. Heute Morgen hatte Erika kaum etwas genießen könne», sodaß Tante Jda, die die gedrückte Stimmung ihrer Nichte schon in den letzten Tagen besorgt gemacht hatte, ihrer Gesundheit wegen ganz ängstlich wurde. Onkel Moller lächelte nur innerlich über das kleine überspannte Mädchen, er erkannte den Grund ganz richtig. Wahrhaftig, sagte er sich, sie nimmt immer noch ganz merkwürdig Anteil an dem Herrn. Na, den Preis wird er ja nicht bekommen, wie sie sich alles Ernstes eingeredet zu haben scheint, und dann wird er sich wohl auch kaum hier sehen lassen, worauf sie ohne allen Zweifel gerechnet hat. Wie sich doch das ernste Leben in so einem Mädchen- wpfe darstellt! Das soll sich alles nur so spielend machen! Sie hat keine Ahnung, wieviel Talent und wieviel Arbeit dazu gehört, es im Leben zu etwas zu bringen. Na, wir werden ja für sie sorgen. Morgen oder übermorgen muß sich Bierman erklären und Antwort verlangen, dann trifft er günstige Stimmung. Ist sie erst eingerichtet und führt sie das stolze Haus, das er sich leisten kann, dann wird sie mit der Zeit ihre Schwärmerei für den Stein¬ metzen selber belächeln, das kennt man ja. Es ist die beste Partie, die sie machen kann, und ich auch. Da kommt der Briefträger! rief Erika. Herr Moller blickte auf. Richtig, eben bog der Stephcuisbote um die Ecke. Und da kommt ja auch Bierman, fügte er hinzu, gerade recht. Die drei unter der Veranda sahen, wie Bierman den Beamten erreichte und „ut ihm sprach. Der Mann öffnete seine Tasche, die er umgeschnallt vor steh trug Herr Bierman deutete nach der Veranda. Augenscheinlich machte er dem Beamten den Vorschlag, ihm die Mollersche Post mitzugeben, da er doch einmal huigmge. Der Mann kannte ihn und seine Beziehungen zum Hause. Er grüßte herüber, gab Herrn Bierman ein Paket Zeitungen und Briefe und kehrte wieder um, denn die Villa war die letzte am Wege. Herr Bierman kam auf das Gartenthor zu, nicht sehr eilig, wie es Herrn Möller scheinen wollte. Als er heraufkam, begrüßte er die Frauen nur durch eine tiefe Verbeugung. Onkel Moller gab er die Hand und sagte: Ich habe mir Ihre Post geben lassen. Es war etwas Unsicheres in seinem Wesen. Onkel Moller wurde auf¬ merksam. Herr Bierman legte die Briefe auf den Tisch, die Zeitungen aber behielt er in der Hand. Sie lesen sie am Ende im Walde, sagte er, und seine Augen trafen die des Herrn Moller. Ja, sollte denn wirklich — fragte sich Onkel Moller erstaunt. Erika bemerkte von der Mimik ihres Verehrers nicht das geringste, denn unter den Briefen auf dem Tische lag einer an sie, und sie erkannte Vanriles Umschlag und Handschrift. Ein freudiger Schreck durchzuckte sie: er schrieb ganz offen durch die Post? Und schou hatte sie den Brief mit den Worten: Da ist jn einer für mich! an sich genommen und aufgerissen. Es war ein Brief darin von dem Geheimrat Boden an den Bildhauer ^rieb Vanrile. Auf der Rückseite schrieb Erich selbst. . Hastig flogen ihre Augen über die wenigen Worte, und lachend und weinend und im jauchzenden Jubel ihres Herzens alles um sich her vergessend, '"s sie sie laut: Herrlich, Maus, den ersten Preis bekommen! Außerdem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/343>, abgerufen am 25.11.2024.