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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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war es mir voller Ernst gewesen. Um evangelisch werden zu können, war ich
noch viel zu katholisch, und zu jener philosophischen Selbständigkeit, die der
Kirche sür das eigne Gemütsleben nicht mehr bedarf, hatte ich mich noch nicht
durchgerungen. Was aber das Materielle betrifft, so wußte ich die Existenz¬
sicherheit viel zu gut zu schätzen, als daß ich sie hätte für nichts und wieder
nichts wegwerfen sollen. So oft ich des Abends von einem Besuch allein
heimkehrte, sagte ich mir beim Eintritt in mein Gärtchen: Welches Glück ist
es doch, ein eignes Heim zu haben, aus dem einen niemand verjagen darf!
Eine "Sache," für die ich mich Hütte verpflichtet fühlen tonnen, dieses Gut
und das Glück meiner Mutter aufzuopfern, gab es nicht, denn die bloße Ne¬
gation einiger Dogmen und die Opposition gegen die in der Kirche herrschende
Richtung sind keine solche "Sache." Ja da ich immer noch die katholische
Kirche für die, wenn auch durch menschliche Irrtümer und Leidenschaften ver-
dorbne wahre Kirche Christi hielt, so war eben sie die Sache, um die es sich
handelte, und um an einer Reform dieser Kirche mitarbeiten zu können, mußte
ich darin bleiben. Denn so viel wußte ich damals schon, daß die draußen
stehenden, namentlich auch die Altkatholiken, die katholische Kirche zu refor-
miren so wenig Macht hätten, als etwa das Königreich Sachsen Macht hat,
China zu reformiren. Der Protestantismus freilich hat eine Reform der katho¬
lischen Kirche bewirkt, aber der war auch so mächtig, daß er eine Zeit lang
das Dasein der päpstlichen Kirche bedrohte, und zu eiuer solchen Macht konnte
es der Altkatholizismus, das sah man deutlich, niemals bringen. Aus solcher
Überzeugung hatte auch Döllinger vou der Gründung einer altkatholischen
Kirchengemeinschaft abgeraten und gemeint, die Opposition gegen das Vati-
kanum müsse als liberaler Sauerteig in der Kirche bleiben. Und als ein
Freund, der eine altkatholische Pfarrstelle in Süddeutschland angenommen hatte,
in einem seiner Briefe über die Zurückhaltung des Münchner Patriarchen klagte,
schrieb ich ihm: wenn sich der Mann, der die Geschichte der Reformation ge¬
schrieben hat, an einer Kirchengründung beteiligen wollte, so würde ich das
für ein Zeichen beginnender Gehirnerweichung ansehen; ihm stehe eben die
Wahrheit allzu klar vor Augen, daß Kirchen nicht von Professoren gegründet
werden, sondern nur aus großen Volksbewegungen erwachsen können. Den¬
selben Gedanken hat neuerdings Professor E. Tröltsch mit Beziehung auf die
Reform- und Neubildungsversuche innerhalb des Protestantismus im zweiten
Augustheft der Preußische" Jahrbücher (Jahrgang 1895) in einer vortrefflichen
Abhandlung über Religion und Kirche ausgeführt. "Wirkliche, tiefgehende Re¬
formen, schreibt er u. a., sind immer Revolutionen und finden nur unter
schweren Kämpfen statt, die gewöhnlich gar nicht bloß religiöse Kämpfe sind.
Das Schiff der religiösen Reform bedarf einer allgemeinen Erregung des Meeres,
um flott zu werden. Das hat nicht zum mindesten die Reformationsgeschichte
bewiesen." Der Kulturkampf war ja auch ein Sturm im Meere; nur ist es


war es mir voller Ernst gewesen. Um evangelisch werden zu können, war ich
noch viel zu katholisch, und zu jener philosophischen Selbständigkeit, die der
Kirche sür das eigne Gemütsleben nicht mehr bedarf, hatte ich mich noch nicht
durchgerungen. Was aber das Materielle betrifft, so wußte ich die Existenz¬
sicherheit viel zu gut zu schätzen, als daß ich sie hätte für nichts und wieder
nichts wegwerfen sollen. So oft ich des Abends von einem Besuch allein
heimkehrte, sagte ich mir beim Eintritt in mein Gärtchen: Welches Glück ist
es doch, ein eignes Heim zu haben, aus dem einen niemand verjagen darf!
Eine „Sache," für die ich mich Hütte verpflichtet fühlen tonnen, dieses Gut
und das Glück meiner Mutter aufzuopfern, gab es nicht, denn die bloße Ne¬
gation einiger Dogmen und die Opposition gegen die in der Kirche herrschende
Richtung sind keine solche „Sache." Ja da ich immer noch die katholische
Kirche für die, wenn auch durch menschliche Irrtümer und Leidenschaften ver-
dorbne wahre Kirche Christi hielt, so war eben sie die Sache, um die es sich
handelte, und um an einer Reform dieser Kirche mitarbeiten zu können, mußte
ich darin bleiben. Denn so viel wußte ich damals schon, daß die draußen
stehenden, namentlich auch die Altkatholiken, die katholische Kirche zu refor-
miren so wenig Macht hätten, als etwa das Königreich Sachsen Macht hat,
China zu reformiren. Der Protestantismus freilich hat eine Reform der katho¬
lischen Kirche bewirkt, aber der war auch so mächtig, daß er eine Zeit lang
das Dasein der päpstlichen Kirche bedrohte, und zu eiuer solchen Macht konnte
es der Altkatholizismus, das sah man deutlich, niemals bringen. Aus solcher
Überzeugung hatte auch Döllinger vou der Gründung einer altkatholischen
Kirchengemeinschaft abgeraten und gemeint, die Opposition gegen das Vati-
kanum müsse als liberaler Sauerteig in der Kirche bleiben. Und als ein
Freund, der eine altkatholische Pfarrstelle in Süddeutschland angenommen hatte,
in einem seiner Briefe über die Zurückhaltung des Münchner Patriarchen klagte,
schrieb ich ihm: wenn sich der Mann, der die Geschichte der Reformation ge¬
schrieben hat, an einer Kirchengründung beteiligen wollte, so würde ich das
für ein Zeichen beginnender Gehirnerweichung ansehen; ihm stehe eben die
Wahrheit allzu klar vor Augen, daß Kirchen nicht von Professoren gegründet
werden, sondern nur aus großen Volksbewegungen erwachsen können. Den¬
selben Gedanken hat neuerdings Professor E. Tröltsch mit Beziehung auf die
Reform- und Neubildungsversuche innerhalb des Protestantismus im zweiten
Augustheft der Preußische» Jahrbücher (Jahrgang 1895) in einer vortrefflichen
Abhandlung über Religion und Kirche ausgeführt. „Wirkliche, tiefgehende Re¬
formen, schreibt er u. a., sind immer Revolutionen und finden nur unter
schweren Kämpfen statt, die gewöhnlich gar nicht bloß religiöse Kämpfe sind.
Das Schiff der religiösen Reform bedarf einer allgemeinen Erregung des Meeres,
um flott zu werden. Das hat nicht zum mindesten die Reformationsgeschichte
bewiesen." Der Kulturkampf war ja auch ein Sturm im Meere; nur ist es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/340>, abgerufen am 01.09.2024.