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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Rovns Briefe sind schnell hingeworfen und werden jeden Leser dnrch die
frische und kernige Kraft des Ausdrucks anregen und befriedigen. Zahlreich sind
Wendungen wie die, in der er von der Politik sagt, er dispensire sich davon, dieses
Faß anzustechen: dazu habe er nicht Bouteillen genug. Um eine Probe seiner
politischen Auseinandersetzungen zu geben, setze" wir nur das her, was er am
17. Januar 1364 an Perthes über die preußische Politik dem Angustenburger und
Dänemark gegenüber schreibt: "Der Herzog von Augustenburg hätte hier die bereit¬
willigste Unterstützung gefunden, hätte er warten, hätte er verzichten können, sich
dem Herzog Ernst und seiner schwindelhafter Gesellschaft kopfüber in die Arme zu
werfen. Er hat Preußens und Österreichs Sympathien verscherzt, weil er den ihm
hier erteilten guten gegen den ihm hier und sonst erteilten schlechten Rat in den
Wind geschlagen hat; weil er deu aus Revolutionsangst wild gewordnen Würz¬
burgern und dem Erzfeinde in Paris mehr zugetraut und zugemutet hat als uus.
Nicht seinetwegen haben wir daher die Exekution nach Holstein durchgesetzt, nicht
seinetwegen gehen wir jetzt, trotz Bund und Würzburg, ja trotz England und
Europa, "ach Schleswig, sondern um die dort 1850 aufgeladnen Flecken an unsrer
politischen Ehre abzuwaschen, um nachträglich zu halten, was wir vor zwölf, drei¬
zehn Jahren den braven Landsleuten an der Eider versprochen; um deu kleinen
Knziken und deu großen Revolutionärs zu beweisen, daß sie nichts ohne uns ver¬
mögen, geschweige denu trotz uus; um die Dänen für zehnjährige Wortbrüchigkeit
zu züchtigen und die verletzten Landesrechte der Herzogtümer für immer sicher¬
zustellen; zugleich aber um der revolutionären Wirtschaft in Deutschland Schach
und Matt zu bieten. Glauben Sie mir: in einer Beziehung thun Sie Bismcirck
bitter Unrecht; unklar, unsicher, schwankend im Willen ist er in dieser Angelegen¬
heit nie gewesen; auch ich nicht, seitdem in den ersten 24 Stunden nach Friedrichs VII.
Tode die momentan verlockende Seifenblase der nur ans Kosten von Prinzipien und
monarchischen Interessen zu gewinnenden Populariät geplatzt war. Hat Schwanken
stattgefunden, so wars in höhern Regionen. Was denken Sie jetzt von unsrer
Unternehmung nach Schleswig? Glauben Sie, wir wollen Geld und Blut drau-
setzeu, um deu herausgeschlagnen Dänen dann gnädigst wieder einzusetzen? So
trompeten ja unsre tendenziösen Gegner, weil es in ihren Kram paßt. Kein Ver¬
nünftiger und zugleich Unbefangner kann uns dies zutrauen. Aber sollen wir, um
dem Verdacht auszuweichen, den Augnstenbnrger proklamiren und uns damit Europa
auf deu Hals ziehen? Der erste Kanonenschuß zerreißt alle Verträge, ohne daß
wir sie mutwillig gebrochen hätten. Der Friedensschluß nach einem glücklichen
Kriege bringt neue Vertragsverhältnisse."


Karl Mllllenhoff,

der ausgezeichnete Germanist, war einer von deu Men¬
schen, deren Inneres ihrem Äußern ebenso wenig entspricht, wie ihre schriftlichen
Äußerungen mit ihrem persönlichen Gebahren im Einklang stehen. Hoch gewachsen,
von linkischer Bewegungen, die zngekniffnen, stets geröteten Angen mit einer starken
Brille bewaffnet, um nur etwas sehen zu können, machte er den Eindruck hölzerner
Gelehrsamkeit und trockenster Prosa, während in ihm ein Gemüt lebte, das für
Poesie nicht weniger leidenschaftlich empfänglich war wie für Naturschönheit: selbst
den bescheidnen Reizen seiner ditmarsischen Heimat hat er Gedanken und Gefühle
abgewonnen, die so recht zeigen, daß die Natur, in der richtigen Art und mit
liebevoller Hingebung angeschaut, auch dn entzücken kann, wo der Uneingeweihte
nur Mängel entdecken zu können glaubt. Und obgleich er mit einer Kenntnis der
gesamten germanischen Sprachen ausgerüstet war, wie sie wenigen Menschen zu


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Rovns Briefe sind schnell hingeworfen und werden jeden Leser dnrch die
frische und kernige Kraft des Ausdrucks anregen und befriedigen. Zahlreich sind
Wendungen wie die, in der er von der Politik sagt, er dispensire sich davon, dieses
Faß anzustechen: dazu habe er nicht Bouteillen genug. Um eine Probe seiner
politischen Auseinandersetzungen zu geben, setze» wir nur das her, was er am
17. Januar 1364 an Perthes über die preußische Politik dem Angustenburger und
Dänemark gegenüber schreibt: „Der Herzog von Augustenburg hätte hier die bereit¬
willigste Unterstützung gefunden, hätte er warten, hätte er verzichten können, sich
dem Herzog Ernst und seiner schwindelhafter Gesellschaft kopfüber in die Arme zu
werfen. Er hat Preußens und Österreichs Sympathien verscherzt, weil er den ihm
hier erteilten guten gegen den ihm hier und sonst erteilten schlechten Rat in den
Wind geschlagen hat; weil er deu aus Revolutionsangst wild gewordnen Würz¬
burgern und dem Erzfeinde in Paris mehr zugetraut und zugemutet hat als uus.
Nicht seinetwegen haben wir daher die Exekution nach Holstein durchgesetzt, nicht
seinetwegen gehen wir jetzt, trotz Bund und Würzburg, ja trotz England und
Europa, «ach Schleswig, sondern um die dort 1850 aufgeladnen Flecken an unsrer
politischen Ehre abzuwaschen, um nachträglich zu halten, was wir vor zwölf, drei¬
zehn Jahren den braven Landsleuten an der Eider versprochen; um deu kleinen
Knziken und deu großen Revolutionärs zu beweisen, daß sie nichts ohne uns ver¬
mögen, geschweige denu trotz uus; um die Dänen für zehnjährige Wortbrüchigkeit
zu züchtigen und die verletzten Landesrechte der Herzogtümer für immer sicher¬
zustellen; zugleich aber um der revolutionären Wirtschaft in Deutschland Schach
und Matt zu bieten. Glauben Sie mir: in einer Beziehung thun Sie Bismcirck
bitter Unrecht; unklar, unsicher, schwankend im Willen ist er in dieser Angelegen¬
heit nie gewesen; auch ich nicht, seitdem in den ersten 24 Stunden nach Friedrichs VII.
Tode die momentan verlockende Seifenblase der nur ans Kosten von Prinzipien und
monarchischen Interessen zu gewinnenden Populariät geplatzt war. Hat Schwanken
stattgefunden, so wars in höhern Regionen. Was denken Sie jetzt von unsrer
Unternehmung nach Schleswig? Glauben Sie, wir wollen Geld und Blut drau-
setzeu, um deu herausgeschlagnen Dänen dann gnädigst wieder einzusetzen? So
trompeten ja unsre tendenziösen Gegner, weil es in ihren Kram paßt. Kein Ver¬
nünftiger und zugleich Unbefangner kann uns dies zutrauen. Aber sollen wir, um
dem Verdacht auszuweichen, den Augnstenbnrger proklamiren und uns damit Europa
auf deu Hals ziehen? Der erste Kanonenschuß zerreißt alle Verträge, ohne daß
wir sie mutwillig gebrochen hätten. Der Friedensschluß nach einem glücklichen
Kriege bringt neue Vertragsverhältnisse."


Karl Mllllenhoff,

der ausgezeichnete Germanist, war einer von deu Men¬
schen, deren Inneres ihrem Äußern ebenso wenig entspricht, wie ihre schriftlichen
Äußerungen mit ihrem persönlichen Gebahren im Einklang stehen. Hoch gewachsen,
von linkischer Bewegungen, die zngekniffnen, stets geröteten Angen mit einer starken
Brille bewaffnet, um nur etwas sehen zu können, machte er den Eindruck hölzerner
Gelehrsamkeit und trockenster Prosa, während in ihm ein Gemüt lebte, das für
Poesie nicht weniger leidenschaftlich empfänglich war wie für Naturschönheit: selbst
den bescheidnen Reizen seiner ditmarsischen Heimat hat er Gedanken und Gefühle
abgewonnen, die so recht zeigen, daß die Natur, in der richtigen Art und mit
liebevoller Hingebung angeschaut, auch dn entzücken kann, wo der Uneingeweihte
nur Mängel entdecken zu können glaubt. Und obgleich er mit einer Kenntnis der
gesamten germanischen Sprachen ausgerüstet war, wie sie wenigen Menschen zu


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[0306] Maßgebliches und Unmaßgebliches Rovns Briefe sind schnell hingeworfen und werden jeden Leser dnrch die frische und kernige Kraft des Ausdrucks anregen und befriedigen. Zahlreich sind Wendungen wie die, in der er von der Politik sagt, er dispensire sich davon, dieses Faß anzustechen: dazu habe er nicht Bouteillen genug. Um eine Probe seiner politischen Auseinandersetzungen zu geben, setze» wir nur das her, was er am 17. Januar 1364 an Perthes über die preußische Politik dem Angustenburger und Dänemark gegenüber schreibt: „Der Herzog von Augustenburg hätte hier die bereit¬ willigste Unterstützung gefunden, hätte er warten, hätte er verzichten können, sich dem Herzog Ernst und seiner schwindelhafter Gesellschaft kopfüber in die Arme zu werfen. Er hat Preußens und Österreichs Sympathien verscherzt, weil er den ihm hier erteilten guten gegen den ihm hier und sonst erteilten schlechten Rat in den Wind geschlagen hat; weil er deu aus Revolutionsangst wild gewordnen Würz¬ burgern und dem Erzfeinde in Paris mehr zugetraut und zugemutet hat als uus. Nicht seinetwegen haben wir daher die Exekution nach Holstein durchgesetzt, nicht seinetwegen gehen wir jetzt, trotz Bund und Würzburg, ja trotz England und Europa, «ach Schleswig, sondern um die dort 1850 aufgeladnen Flecken an unsrer politischen Ehre abzuwaschen, um nachträglich zu halten, was wir vor zwölf, drei¬ zehn Jahren den braven Landsleuten an der Eider versprochen; um deu kleinen Knziken und deu großen Revolutionärs zu beweisen, daß sie nichts ohne uns ver¬ mögen, geschweige denu trotz uus; um die Dänen für zehnjährige Wortbrüchigkeit zu züchtigen und die verletzten Landesrechte der Herzogtümer für immer sicher¬ zustellen; zugleich aber um der revolutionären Wirtschaft in Deutschland Schach und Matt zu bieten. Glauben Sie mir: in einer Beziehung thun Sie Bismcirck bitter Unrecht; unklar, unsicher, schwankend im Willen ist er in dieser Angelegen¬ heit nie gewesen; auch ich nicht, seitdem in den ersten 24 Stunden nach Friedrichs VII. Tode die momentan verlockende Seifenblase der nur ans Kosten von Prinzipien und monarchischen Interessen zu gewinnenden Populariät geplatzt war. Hat Schwanken stattgefunden, so wars in höhern Regionen. Was denken Sie jetzt von unsrer Unternehmung nach Schleswig? Glauben Sie, wir wollen Geld und Blut drau- setzeu, um deu herausgeschlagnen Dänen dann gnädigst wieder einzusetzen? So trompeten ja unsre tendenziösen Gegner, weil es in ihren Kram paßt. Kein Ver¬ nünftiger und zugleich Unbefangner kann uns dies zutrauen. Aber sollen wir, um dem Verdacht auszuweichen, den Augnstenbnrger proklamiren und uns damit Europa auf deu Hals ziehen? Der erste Kanonenschuß zerreißt alle Verträge, ohne daß wir sie mutwillig gebrochen hätten. Der Friedensschluß nach einem glücklichen Kriege bringt neue Vertragsverhältnisse." Karl Mllllenhoff, der ausgezeichnete Germanist, war einer von deu Men¬ schen, deren Inneres ihrem Äußern ebenso wenig entspricht, wie ihre schriftlichen Äußerungen mit ihrem persönlichen Gebahren im Einklang stehen. Hoch gewachsen, von linkischer Bewegungen, die zngekniffnen, stets geröteten Angen mit einer starken Brille bewaffnet, um nur etwas sehen zu können, machte er den Eindruck hölzerner Gelehrsamkeit und trockenster Prosa, während in ihm ein Gemüt lebte, das für Poesie nicht weniger leidenschaftlich empfänglich war wie für Naturschönheit: selbst den bescheidnen Reizen seiner ditmarsischen Heimat hat er Gedanken und Gefühle abgewonnen, die so recht zeigen, daß die Natur, in der richtigen Art und mit liebevoller Hingebung angeschaut, auch dn entzücken kann, wo der Uneingeweihte nur Mängel entdecken zu können glaubt. Und obgleich er mit einer Kenntnis der gesamten germanischen Sprachen ausgerüstet war, wie sie wenigen Menschen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/306>, abgerufen am 24.11.2024.