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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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von Sprengstoffen erlernen können.' Außerdem aber antwortet Senat, die ^Er¬
klärung sei in einem etwas andern Sinne richtig/ als sie ihr Urheber gemeint
habe; nicht gerade die Sprengstoffe hätten den Römern gefehlt, Wohl ober die
geistige Regsamkeit, die bei uns täglich neue Erfindungen hervortreibt. Von
Augustus bis Diokletian sei die Ausrüstung des Legionars immer dieselbe ge¬
blieben, leine Verbesserung der Taktik, kei" neues Kriegsmittel sei erfunden
worden. Auch im Gebiete der Industrie habe die ganze Kaiserzeit nicht die
kleinste Erfindung auszuweisen. Nicht einmal zur Anwendung schon gemachter
Erfindungen habe man'sich aufgerafft. "So war die Wassermühle schon dem
großen Mithridntes bekannt, und doch zermalmte man noch vier Jahrhunderte
später das Getreide durch Menschenhand oder ließ von Zugtieren die Steine
drehen." >' - ' - >

Überkultur, wenn man darunter einen übertriebnen Kulturfortschritt ver¬
steht, war es also sicher nicht, was das Römerreich zu Falle gebracht hat.
eher daS Gegenteil; uicht die unkultivirtesten, sondern die kultivirtesten Völker
sind, wie Senat richtig hervorhebt, heute die militärisch stärkste". Auch die
Redensart vom Altern der Völker bezeichnet er als sinnlos. Alle Völker der
Erde, gleichviel ob man sie von Adam oder von Authropoideu abstammen
läßt, sind gleich alt. Versteht man aber nnter einem alten Volke ein solches,
das schon lange Zeit zivilisirt ist, so haben wir die Juden, deren Kultur älter
ist als die griechische, und die dennoch heute noch höchst lebendig sind. Auf
die Juden, meint secat, werde man vielleicht zur Widerlegung seiner Theorie
verweisen, sei doch kein andres Volk so oft von Massenmörder beinahe bis zur
Vernichtung heimgesucht worden. Aber, sagt er, Verfolgungen und Abschlach-
tungen in Volkskriegen, die eine ganze Nation wahllos heimsuchen, haben ge¬
rade die entgegengesetzte Wirkung als Parteikämpfe, denen die Besten zum
Opfer fallen; bei jenen hat gerade der Tüchtigste Aussicht aufs Überleben;
sie raffen, ebenso wie Seuchen, die Schwächer" hin. ^Dciher ist auch unsre
heutige seuchenverhütende Hygieine eine antiselektionistische Macht.j Dasselbe
gelte von den ewigen Fehden der germanischen Stämme unter sich, ihren Kriegen
mit den Römern und den spätern Verheerungen/ die dos deutsche Volk bis nach
dem dreißigjährigen Kriege erlitten habe; alles das habe die Nasse verbessert.

Zu der beschriebnen Entartung kam nun im Römerreiche noch die Ent¬
völkerung. Den Gedanken, daß sie eine Wirkung des Luxus und der Sitten-
losigkeit gewesen sei/ weist secat als ganz ungereimt zurück. Die Zahl der
Reichen, denen ihre Mittel einen unvernünftigen Luxus gestattet hätten, seien
noch weit dünner gesät gewesen als heute; die Mehrzahl der Bevölkerung
habe wie zu allen Zeiten aus armen Teufeln bestanden, für die sich die Frn-
galitüt ganz von selbst verstehe, und namentlich die Bauern hätten im Altertum
nicht anders gelebt, als wie eben die Bauern zu leben pflegen. Aber daß der
Bauern immer weniger geworden seien, das sei das Unglück gewesen. Im


von Sprengstoffen erlernen können.' Außerdem aber antwortet Senat, die ^Er¬
klärung sei in einem etwas andern Sinne richtig/ als sie ihr Urheber gemeint
habe; nicht gerade die Sprengstoffe hätten den Römern gefehlt, Wohl ober die
geistige Regsamkeit, die bei uns täglich neue Erfindungen hervortreibt. Von
Augustus bis Diokletian sei die Ausrüstung des Legionars immer dieselbe ge¬
blieben, leine Verbesserung der Taktik, kei» neues Kriegsmittel sei erfunden
worden. Auch im Gebiete der Industrie habe die ganze Kaiserzeit nicht die
kleinste Erfindung auszuweisen. Nicht einmal zur Anwendung schon gemachter
Erfindungen habe man'sich aufgerafft. „So war die Wassermühle schon dem
großen Mithridntes bekannt, und doch zermalmte man noch vier Jahrhunderte
später das Getreide durch Menschenhand oder ließ von Zugtieren die Steine
drehen." >' - ' - >

Überkultur, wenn man darunter einen übertriebnen Kulturfortschritt ver¬
steht, war es also sicher nicht, was das Römerreich zu Falle gebracht hat.
eher daS Gegenteil; uicht die unkultivirtesten, sondern die kultivirtesten Völker
sind, wie Senat richtig hervorhebt, heute die militärisch stärkste». Auch die
Redensart vom Altern der Völker bezeichnet er als sinnlos. Alle Völker der
Erde, gleichviel ob man sie von Adam oder von Authropoideu abstammen
läßt, sind gleich alt. Versteht man aber nnter einem alten Volke ein solches,
das schon lange Zeit zivilisirt ist, so haben wir die Juden, deren Kultur älter
ist als die griechische, und die dennoch heute noch höchst lebendig sind. Auf
die Juden, meint secat, werde man vielleicht zur Widerlegung seiner Theorie
verweisen, sei doch kein andres Volk so oft von Massenmörder beinahe bis zur
Vernichtung heimgesucht worden. Aber, sagt er, Verfolgungen und Abschlach-
tungen in Volkskriegen, die eine ganze Nation wahllos heimsuchen, haben ge¬
rade die entgegengesetzte Wirkung als Parteikämpfe, denen die Besten zum
Opfer fallen; bei jenen hat gerade der Tüchtigste Aussicht aufs Überleben;
sie raffen, ebenso wie Seuchen, die Schwächer» hin. ^Dciher ist auch unsre
heutige seuchenverhütende Hygieine eine antiselektionistische Macht.j Dasselbe
gelte von den ewigen Fehden der germanischen Stämme unter sich, ihren Kriegen
mit den Römern und den spätern Verheerungen/ die dos deutsche Volk bis nach
dem dreißigjährigen Kriege erlitten habe; alles das habe die Nasse verbessert.

Zu der beschriebnen Entartung kam nun im Römerreiche noch die Ent¬
völkerung. Den Gedanken, daß sie eine Wirkung des Luxus und der Sitten-
losigkeit gewesen sei/ weist secat als ganz ungereimt zurück. Die Zahl der
Reichen, denen ihre Mittel einen unvernünftigen Luxus gestattet hätten, seien
noch weit dünner gesät gewesen als heute; die Mehrzahl der Bevölkerung
habe wie zu allen Zeiten aus armen Teufeln bestanden, für die sich die Frn-
galitüt ganz von selbst verstehe, und namentlich die Bauern hätten im Altertum
nicht anders gelebt, als wie eben die Bauern zu leben pflegen. Aber daß der
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[0235] von Sprengstoffen erlernen können.' Außerdem aber antwortet Senat, die ^Er¬ klärung sei in einem etwas andern Sinne richtig/ als sie ihr Urheber gemeint habe; nicht gerade die Sprengstoffe hätten den Römern gefehlt, Wohl ober die geistige Regsamkeit, die bei uns täglich neue Erfindungen hervortreibt. Von Augustus bis Diokletian sei die Ausrüstung des Legionars immer dieselbe ge¬ blieben, leine Verbesserung der Taktik, kei» neues Kriegsmittel sei erfunden worden. Auch im Gebiete der Industrie habe die ganze Kaiserzeit nicht die kleinste Erfindung auszuweisen. Nicht einmal zur Anwendung schon gemachter Erfindungen habe man'sich aufgerafft. „So war die Wassermühle schon dem großen Mithridntes bekannt, und doch zermalmte man noch vier Jahrhunderte später das Getreide durch Menschenhand oder ließ von Zugtieren die Steine drehen." >' - ' - > Überkultur, wenn man darunter einen übertriebnen Kulturfortschritt ver¬ steht, war es also sicher nicht, was das Römerreich zu Falle gebracht hat. eher daS Gegenteil; uicht die unkultivirtesten, sondern die kultivirtesten Völker sind, wie Senat richtig hervorhebt, heute die militärisch stärkste». Auch die Redensart vom Altern der Völker bezeichnet er als sinnlos. Alle Völker der Erde, gleichviel ob man sie von Adam oder von Authropoideu abstammen läßt, sind gleich alt. Versteht man aber nnter einem alten Volke ein solches, das schon lange Zeit zivilisirt ist, so haben wir die Juden, deren Kultur älter ist als die griechische, und die dennoch heute noch höchst lebendig sind. Auf die Juden, meint secat, werde man vielleicht zur Widerlegung seiner Theorie verweisen, sei doch kein andres Volk so oft von Massenmörder beinahe bis zur Vernichtung heimgesucht worden. Aber, sagt er, Verfolgungen und Abschlach- tungen in Volkskriegen, die eine ganze Nation wahllos heimsuchen, haben ge¬ rade die entgegengesetzte Wirkung als Parteikämpfe, denen die Besten zum Opfer fallen; bei jenen hat gerade der Tüchtigste Aussicht aufs Überleben; sie raffen, ebenso wie Seuchen, die Schwächer» hin. ^Dciher ist auch unsre heutige seuchenverhütende Hygieine eine antiselektionistische Macht.j Dasselbe gelte von den ewigen Fehden der germanischen Stämme unter sich, ihren Kriegen mit den Römern und den spätern Verheerungen/ die dos deutsche Volk bis nach dem dreißigjährigen Kriege erlitten habe; alles das habe die Nasse verbessert. Zu der beschriebnen Entartung kam nun im Römerreiche noch die Ent¬ völkerung. Den Gedanken, daß sie eine Wirkung des Luxus und der Sitten- losigkeit gewesen sei/ weist secat als ganz ungereimt zurück. Die Zahl der Reichen, denen ihre Mittel einen unvernünftigen Luxus gestattet hätten, seien noch weit dünner gesät gewesen als heute; die Mehrzahl der Bevölkerung habe wie zu allen Zeiten aus armen Teufeln bestanden, für die sich die Frn- galitüt ganz von selbst verstehe, und namentlich die Bauern hätten im Altertum nicht anders gelebt, als wie eben die Bauern zu leben pflegen. Aber daß der Bauern immer weniger geworden seien, das sei das Unglück gewesen. Im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/235>, abgerufen am 01.09.2024.