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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Ver Untergang der antike" Welt

Periander von Korinth zum Milesier Thrasybul schickte, um dessen Rat zu
erbitten, wie er am besten seine Herrschaft befestigen könne, Thrasybul aber
den Boten auf ein Feld führte und dort alle Ähren abriß, die die übrigen
überragten. Diese Tyrnnnenweisheit sei zunächst in der griechischen Welt ganz
allgemein geübt worden, nicht bloß von den Tyrannen, sondern auch von den
republikanischen Parteien. Da die Führer der unterliegenden Partei regel¬
mäßig entweder umgebracht wurden oder in die Verbannung wandern mußten,
wo sie und, soweit sie nicht kinderlos starben, ihre Familien verkümmerten, so
konnte es nicht fehlen, daß nach und nach alles, was durch Geist und Mut
hervorragte, zu Grunde ging, und nur das Mittelmäßige und Gemeine sich
erhielt. "Die Römer, heißt es dann weiter, haben nie den geistigen Schwung,
aber auch nicht das hitzige Blut der Griechen gehabt; die Parteikümpfe ihrer
ältern Zeit sind daher fast immer maßvoll, meist sogar auf dem Boden des
Gesetzes ausgefochten worden. Manche ihrer besten Männer sind ihnen zwar
zum Opfer gefallen; doch waren diese Verluste uicht so massenhaft, daß sie
den Gesamtcharakter des Volks beeinflußten. Im dritten und zweiten Jahr¬
hundert v, Chr. zeigt sich ihre frische Kraft dem entnervten Osten weit über¬
legen, und mit den kriegerischen Errungenschaften gehen die der Kultur Hand
in Hand." Rom nimmt das griechische Geistesleben in sich auf. Aber gleich¬
zeitig schwindet die Originalität, die z. B. die Werke des alten Cato ausge¬
zeichnet hatte, und macht der strengen Nachahmung des Griechentums Platz.
"Es ist gewiß kein Zufall, daß dieser Umschwung in der römischen Litteratur
zusammenfüllt mit dem Beginn der politischen Massenmorde. Das erste Bei¬
spiel ist die Ausrottung der begeisterten Jünglinge, die sich um Tiberius
Gracchus und seinen größern Bruder geschart hatten; und noch grimmiger
wird das Wüten, seit nicht mehr die Parteien um ideale Ziele, sondern ein¬
zelne Ehrgeizige um die Herrschaft streiten. Marius und Cinna morden die
Aristokraten und daneben ihre persönlichen Feinde zu Hunderten und Tau¬
senden hin; Sulla räumt nicht minder gründlich mit den Demokraten auf, und
was von edelm Blut noch übrig ist, das füllt den Proskriptionen der Trinm-
virn zum Opfer. Die Römer hatten weniger geistige Kraft zu verlieren als
die Griechen; die Verödung trat daher bei ihnen noch viel schneller ein." So
blieb nur die feige Masse derer übrig, die sich in den Parteikämpfen nicht her¬
vorgewagt hatten. Vergebens bemühte sich Augustus, bemühte sich auch noch
Tiberius, dem aus solchen Feiglingen bestehenden Senat zu einem Rückgrat,
zur Selbständigkeit zu verhelfen, eine Opposition auf die Beine zu bringen.
"Was Wunder, daß den unglücklichen Tiberius der Ekel vor diesem Sklaven-
gezücht überkam und er das Pack schließlich so behandelte, wie es les^ ver¬
diente!" Was im römischen Reiche noch an kräftigen Naturvölkern vorhanden
war, dessen sittliche Kraft wurde durch die Unterjochungskriege und die Ein¬
fügung in den Staatsmechanismus gebrochen. Die letzten selbständigen Cha-


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Ver Untergang der antike» Welt

Periander von Korinth zum Milesier Thrasybul schickte, um dessen Rat zu
erbitten, wie er am besten seine Herrschaft befestigen könne, Thrasybul aber
den Boten auf ein Feld führte und dort alle Ähren abriß, die die übrigen
überragten. Diese Tyrnnnenweisheit sei zunächst in der griechischen Welt ganz
allgemein geübt worden, nicht bloß von den Tyrannen, sondern auch von den
republikanischen Parteien. Da die Führer der unterliegenden Partei regel¬
mäßig entweder umgebracht wurden oder in die Verbannung wandern mußten,
wo sie und, soweit sie nicht kinderlos starben, ihre Familien verkümmerten, so
konnte es nicht fehlen, daß nach und nach alles, was durch Geist und Mut
hervorragte, zu Grunde ging, und nur das Mittelmäßige und Gemeine sich
erhielt. „Die Römer, heißt es dann weiter, haben nie den geistigen Schwung,
aber auch nicht das hitzige Blut der Griechen gehabt; die Parteikümpfe ihrer
ältern Zeit sind daher fast immer maßvoll, meist sogar auf dem Boden des
Gesetzes ausgefochten worden. Manche ihrer besten Männer sind ihnen zwar
zum Opfer gefallen; doch waren diese Verluste uicht so massenhaft, daß sie
den Gesamtcharakter des Volks beeinflußten. Im dritten und zweiten Jahr¬
hundert v, Chr. zeigt sich ihre frische Kraft dem entnervten Osten weit über¬
legen, und mit den kriegerischen Errungenschaften gehen die der Kultur Hand
in Hand." Rom nimmt das griechische Geistesleben in sich auf. Aber gleich¬
zeitig schwindet die Originalität, die z. B. die Werke des alten Cato ausge¬
zeichnet hatte, und macht der strengen Nachahmung des Griechentums Platz.
„Es ist gewiß kein Zufall, daß dieser Umschwung in der römischen Litteratur
zusammenfüllt mit dem Beginn der politischen Massenmorde. Das erste Bei¬
spiel ist die Ausrottung der begeisterten Jünglinge, die sich um Tiberius
Gracchus und seinen größern Bruder geschart hatten; und noch grimmiger
wird das Wüten, seit nicht mehr die Parteien um ideale Ziele, sondern ein¬
zelne Ehrgeizige um die Herrschaft streiten. Marius und Cinna morden die
Aristokraten und daneben ihre persönlichen Feinde zu Hunderten und Tau¬
senden hin; Sulla räumt nicht minder gründlich mit den Demokraten auf, und
was von edelm Blut noch übrig ist, das füllt den Proskriptionen der Trinm-
virn zum Opfer. Die Römer hatten weniger geistige Kraft zu verlieren als
die Griechen; die Verödung trat daher bei ihnen noch viel schneller ein." So
blieb nur die feige Masse derer übrig, die sich in den Parteikämpfen nicht her¬
vorgewagt hatten. Vergebens bemühte sich Augustus, bemühte sich auch noch
Tiberius, dem aus solchen Feiglingen bestehenden Senat zu einem Rückgrat,
zur Selbständigkeit zu verhelfen, eine Opposition auf die Beine zu bringen.
„Was Wunder, daß den unglücklichen Tiberius der Ekel vor diesem Sklaven-
gezücht überkam und er das Pack schließlich so behandelte, wie es les^ ver¬
diente!" Was im römischen Reiche noch an kräftigen Naturvölkern vorhanden
war, dessen sittliche Kraft wurde durch die Unterjochungskriege und die Ein¬
fügung in den Staatsmechanismus gebrochen. Die letzten selbständigen Cha-


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[0233] Ver Untergang der antike» Welt Periander von Korinth zum Milesier Thrasybul schickte, um dessen Rat zu erbitten, wie er am besten seine Herrschaft befestigen könne, Thrasybul aber den Boten auf ein Feld führte und dort alle Ähren abriß, die die übrigen überragten. Diese Tyrnnnenweisheit sei zunächst in der griechischen Welt ganz allgemein geübt worden, nicht bloß von den Tyrannen, sondern auch von den republikanischen Parteien. Da die Führer der unterliegenden Partei regel¬ mäßig entweder umgebracht wurden oder in die Verbannung wandern mußten, wo sie und, soweit sie nicht kinderlos starben, ihre Familien verkümmerten, so konnte es nicht fehlen, daß nach und nach alles, was durch Geist und Mut hervorragte, zu Grunde ging, und nur das Mittelmäßige und Gemeine sich erhielt. „Die Römer, heißt es dann weiter, haben nie den geistigen Schwung, aber auch nicht das hitzige Blut der Griechen gehabt; die Parteikümpfe ihrer ältern Zeit sind daher fast immer maßvoll, meist sogar auf dem Boden des Gesetzes ausgefochten worden. Manche ihrer besten Männer sind ihnen zwar zum Opfer gefallen; doch waren diese Verluste uicht so massenhaft, daß sie den Gesamtcharakter des Volks beeinflußten. Im dritten und zweiten Jahr¬ hundert v, Chr. zeigt sich ihre frische Kraft dem entnervten Osten weit über¬ legen, und mit den kriegerischen Errungenschaften gehen die der Kultur Hand in Hand." Rom nimmt das griechische Geistesleben in sich auf. Aber gleich¬ zeitig schwindet die Originalität, die z. B. die Werke des alten Cato ausge¬ zeichnet hatte, und macht der strengen Nachahmung des Griechentums Platz. „Es ist gewiß kein Zufall, daß dieser Umschwung in der römischen Litteratur zusammenfüllt mit dem Beginn der politischen Massenmorde. Das erste Bei¬ spiel ist die Ausrottung der begeisterten Jünglinge, die sich um Tiberius Gracchus und seinen größern Bruder geschart hatten; und noch grimmiger wird das Wüten, seit nicht mehr die Parteien um ideale Ziele, sondern ein¬ zelne Ehrgeizige um die Herrschaft streiten. Marius und Cinna morden die Aristokraten und daneben ihre persönlichen Feinde zu Hunderten und Tau¬ senden hin; Sulla räumt nicht minder gründlich mit den Demokraten auf, und was von edelm Blut noch übrig ist, das füllt den Proskriptionen der Trinm- virn zum Opfer. Die Römer hatten weniger geistige Kraft zu verlieren als die Griechen; die Verödung trat daher bei ihnen noch viel schneller ein." So blieb nur die feige Masse derer übrig, die sich in den Parteikämpfen nicht her¬ vorgewagt hatten. Vergebens bemühte sich Augustus, bemühte sich auch noch Tiberius, dem aus solchen Feiglingen bestehenden Senat zu einem Rückgrat, zur Selbständigkeit zu verhelfen, eine Opposition auf die Beine zu bringen. „Was Wunder, daß den unglücklichen Tiberius der Ekel vor diesem Sklaven- gezücht überkam und er das Pack schließlich so behandelte, wie es les^ ver¬ diente!" Was im römischen Reiche noch an kräftigen Naturvölkern vorhanden war, dessen sittliche Kraft wurde durch die Unterjochungskriege und die Ein¬ fügung in den Staatsmechanismus gebrochen. Die letzten selbständigen Cha- V>re»zboten 1 1L96 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/233>, abgerufen am 01.09.2024.