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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Zur Hilfslehrerfrage in Preuße"

mit den Assessoren eintrat. Gerichtsassistenten (also subalterne Justizbeamte)
und Hilfslehrer beginnen mit einem Anfangsgehalt von 1500 Mark, die einen
steigen bis 2100, die andern nur bis 1800 Mark. Manche Städte geben den
Schuldieneru an Volksschulen einen höhern Anfangsgehalt als der Staat aka¬
demisch gebildeten Lehrern. Den außeretatmäßigen Assessoren werden Umzugs-
kvsten gewährt, wenn sie vor der Versetzung gegen eine feste Entschädigung
(eine "fixirte Remuneration") beschäftigt waren (Gesetz vom 24. Februar 1877,
Z 3), den etatmäßigen Hilfslehrern werden Umzugskosten ausdrücklich versagt
(Ministeralerlaß vom 3. Oktober 1894). Jeder Referendar, wie überhaupt
jeder, der eine amtliche Thätigkeit ausübt, wird vereidigt und erhält damit
die Beamteneigenschaft. Die Hilfslehrer bilden eine Ausnahme, und doch ist
das Unterrichten eine amtliche Thätigkeit. Bei Konferenzen und Prüfungen,
beim Ausstellen von Zeugnissen wird der Lehrer ausdrücklich auf seinen Amtseid
verwiesen. Daß die Hilfslehrer bei allen diesen Handlungen amtlich beteiligt
sind, ohne eidlich verpflichtet zu sein, empfindet die Behörde selbst als Übel¬
stand. Warum verweigert die Regierung trotzdem die Zulassung zum Eide?

Sucht mau nach Gründen für das Verhalten der Regierung den Lehrern
gegenüber, so führt einen auf die richtige Spur stets die Frage: Wo ist der
Finanzminister? Die Vereidigung bedeutet die Gleichstellung der Kandidaten
mit den andern höhern Beamtenklassen, sie giebt ihren Forderungen eine feste
Grundlage und verursacht in ihren praktischen Folgen einige Kosten. Wohl¬
wollen hat natürlich auch der Finanzminister sür den Lehrer, aber Geld -- das
ist etwas andres. Die Assessoren haben den Rang der Räte fünfter Klasse,
die Hilfslehrer haben überhaupt keinen Rang. Die Juristen haben schon vor
der endgiltigen Anstellung einen Titel, der sie gesellschaftlich als vollwertig
erscheinen läßt. Den jüngern Lehrern fehlt eine Legitimation, die sie mit den
andern im Vorbereitungsdienst befindlichen höhern Beamten auf eine Stufe
stellte. Der Minister verarge es denen, deren Aufgabe die Pflege des Idea¬
lismus ist, daß sie nach Rang und Titel Verlangen tragen. Man kann aber
recht ideal gesinnt sein und braucht doch die Bedeutuug dieser Dinge nicht zu
verkennen. Der Wert des Mannes wird freilich durch sie nicht erhöht, aber sie
sind auch für den Lehrer erstrebenswert, weil ihm das Urteil der Welt, in der
er einmal lebt, nicht gleichgiltig sein kann, und sein gesellschaftliches Ansehen
von diesen Dingen wesentlich mit abhängt, denn das Publikum betrachtet einen
Stand als minderwertig, dem die Regierung versagt, was sie allen andern
gewährt. Man könnte einwenden, die Lehrer führten ja vor der Anstellung
einen offiziellen Titel, den Titel "Kandidat." Wir finden es aber begreiflich,
daß sie eines Titels nicht froh sind, der sie als unfertige, amt- und bcrnflose
Leute in den Augen des Publikums nur herabsetzt, wir verstehen ihre Forde¬
rung: Lieber gar keinen Titel, als bis ins Schwabenalter hinein die Bezeich¬
nung Kandidat, die höchstens Mitleid für ihren Träger wachzurufen geeignet


Zur Hilfslehrerfrage in Preuße»

mit den Assessoren eintrat. Gerichtsassistenten (also subalterne Justizbeamte)
und Hilfslehrer beginnen mit einem Anfangsgehalt von 1500 Mark, die einen
steigen bis 2100, die andern nur bis 1800 Mark. Manche Städte geben den
Schuldieneru an Volksschulen einen höhern Anfangsgehalt als der Staat aka¬
demisch gebildeten Lehrern. Den außeretatmäßigen Assessoren werden Umzugs-
kvsten gewährt, wenn sie vor der Versetzung gegen eine feste Entschädigung
(eine „fixirte Remuneration") beschäftigt waren (Gesetz vom 24. Februar 1877,
Z 3), den etatmäßigen Hilfslehrern werden Umzugskosten ausdrücklich versagt
(Ministeralerlaß vom 3. Oktober 1894). Jeder Referendar, wie überhaupt
jeder, der eine amtliche Thätigkeit ausübt, wird vereidigt und erhält damit
die Beamteneigenschaft. Die Hilfslehrer bilden eine Ausnahme, und doch ist
das Unterrichten eine amtliche Thätigkeit. Bei Konferenzen und Prüfungen,
beim Ausstellen von Zeugnissen wird der Lehrer ausdrücklich auf seinen Amtseid
verwiesen. Daß die Hilfslehrer bei allen diesen Handlungen amtlich beteiligt
sind, ohne eidlich verpflichtet zu sein, empfindet die Behörde selbst als Übel¬
stand. Warum verweigert die Regierung trotzdem die Zulassung zum Eide?

Sucht mau nach Gründen für das Verhalten der Regierung den Lehrern
gegenüber, so führt einen auf die richtige Spur stets die Frage: Wo ist der
Finanzminister? Die Vereidigung bedeutet die Gleichstellung der Kandidaten
mit den andern höhern Beamtenklassen, sie giebt ihren Forderungen eine feste
Grundlage und verursacht in ihren praktischen Folgen einige Kosten. Wohl¬
wollen hat natürlich auch der Finanzminister sür den Lehrer, aber Geld — das
ist etwas andres. Die Assessoren haben den Rang der Räte fünfter Klasse,
die Hilfslehrer haben überhaupt keinen Rang. Die Juristen haben schon vor
der endgiltigen Anstellung einen Titel, der sie gesellschaftlich als vollwertig
erscheinen läßt. Den jüngern Lehrern fehlt eine Legitimation, die sie mit den
andern im Vorbereitungsdienst befindlichen höhern Beamten auf eine Stufe
stellte. Der Minister verarge es denen, deren Aufgabe die Pflege des Idea¬
lismus ist, daß sie nach Rang und Titel Verlangen tragen. Man kann aber
recht ideal gesinnt sein und braucht doch die Bedeutuug dieser Dinge nicht zu
verkennen. Der Wert des Mannes wird freilich durch sie nicht erhöht, aber sie
sind auch für den Lehrer erstrebenswert, weil ihm das Urteil der Welt, in der
er einmal lebt, nicht gleichgiltig sein kann, und sein gesellschaftliches Ansehen
von diesen Dingen wesentlich mit abhängt, denn das Publikum betrachtet einen
Stand als minderwertig, dem die Regierung versagt, was sie allen andern
gewährt. Man könnte einwenden, die Lehrer führten ja vor der Anstellung
einen offiziellen Titel, den Titel „Kandidat." Wir finden es aber begreiflich,
daß sie eines Titels nicht froh sind, der sie als unfertige, amt- und bcrnflose
Leute in den Augen des Publikums nur herabsetzt, wir verstehen ihre Forde¬
rung: Lieber gar keinen Titel, als bis ins Schwabenalter hinein die Bezeich¬
nung Kandidat, die höchstens Mitleid für ihren Träger wachzurufen geeignet


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[0223] Zur Hilfslehrerfrage in Preuße» mit den Assessoren eintrat. Gerichtsassistenten (also subalterne Justizbeamte) und Hilfslehrer beginnen mit einem Anfangsgehalt von 1500 Mark, die einen steigen bis 2100, die andern nur bis 1800 Mark. Manche Städte geben den Schuldieneru an Volksschulen einen höhern Anfangsgehalt als der Staat aka¬ demisch gebildeten Lehrern. Den außeretatmäßigen Assessoren werden Umzugs- kvsten gewährt, wenn sie vor der Versetzung gegen eine feste Entschädigung (eine „fixirte Remuneration") beschäftigt waren (Gesetz vom 24. Februar 1877, Z 3), den etatmäßigen Hilfslehrern werden Umzugskosten ausdrücklich versagt (Ministeralerlaß vom 3. Oktober 1894). Jeder Referendar, wie überhaupt jeder, der eine amtliche Thätigkeit ausübt, wird vereidigt und erhält damit die Beamteneigenschaft. Die Hilfslehrer bilden eine Ausnahme, und doch ist das Unterrichten eine amtliche Thätigkeit. Bei Konferenzen und Prüfungen, beim Ausstellen von Zeugnissen wird der Lehrer ausdrücklich auf seinen Amtseid verwiesen. Daß die Hilfslehrer bei allen diesen Handlungen amtlich beteiligt sind, ohne eidlich verpflichtet zu sein, empfindet die Behörde selbst als Übel¬ stand. Warum verweigert die Regierung trotzdem die Zulassung zum Eide? Sucht mau nach Gründen für das Verhalten der Regierung den Lehrern gegenüber, so führt einen auf die richtige Spur stets die Frage: Wo ist der Finanzminister? Die Vereidigung bedeutet die Gleichstellung der Kandidaten mit den andern höhern Beamtenklassen, sie giebt ihren Forderungen eine feste Grundlage und verursacht in ihren praktischen Folgen einige Kosten. Wohl¬ wollen hat natürlich auch der Finanzminister sür den Lehrer, aber Geld — das ist etwas andres. Die Assessoren haben den Rang der Räte fünfter Klasse, die Hilfslehrer haben überhaupt keinen Rang. Die Juristen haben schon vor der endgiltigen Anstellung einen Titel, der sie gesellschaftlich als vollwertig erscheinen läßt. Den jüngern Lehrern fehlt eine Legitimation, die sie mit den andern im Vorbereitungsdienst befindlichen höhern Beamten auf eine Stufe stellte. Der Minister verarge es denen, deren Aufgabe die Pflege des Idea¬ lismus ist, daß sie nach Rang und Titel Verlangen tragen. Man kann aber recht ideal gesinnt sein und braucht doch die Bedeutuug dieser Dinge nicht zu verkennen. Der Wert des Mannes wird freilich durch sie nicht erhöht, aber sie sind auch für den Lehrer erstrebenswert, weil ihm das Urteil der Welt, in der er einmal lebt, nicht gleichgiltig sein kann, und sein gesellschaftliches Ansehen von diesen Dingen wesentlich mit abhängt, denn das Publikum betrachtet einen Stand als minderwertig, dem die Regierung versagt, was sie allen andern gewährt. Man könnte einwenden, die Lehrer führten ja vor der Anstellung einen offiziellen Titel, den Titel „Kandidat." Wir finden es aber begreiflich, daß sie eines Titels nicht froh sind, der sie als unfertige, amt- und bcrnflose Leute in den Augen des Publikums nur herabsetzt, wir verstehen ihre Forde¬ rung: Lieber gar keinen Titel, als bis ins Schwabenalter hinein die Bezeich¬ nung Kandidat, die höchstens Mitleid für ihren Träger wachzurufen geeignet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/223>, abgerufen am 24.11.2024.