Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Englische historische Romane kann Schönheit und Gesundheit des Leibes bewahren, ja kann sogar die Jngend Wie gesagt, der Roman der Miß Corelli gehört nicht zu den historischen. Grenzboten I 189625
Englische historische Romane kann Schönheit und Gesundheit des Leibes bewahren, ja kann sogar die Jngend Wie gesagt, der Roman der Miß Corelli gehört nicht zu den historischen. Grenzboten I 189625
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Englische historische Romane
kann Schönheit und Gesundheit des Leibes bewahren, ja kann sogar die Jngend
länger erhalten, als sich die Materialisten je träumen lassen; er lehrt das Un¬
glück tragen, als wäre es Freude, ja selbst im Tode lehrt er triumphiren."
Der Roman soll durch seine wunderbare Erfindung, in der die sichtbare und
die unsichtbare Welt ineinanderspielen, für diesen Glauben, diese Überzeugung
Propaganda machen. Wie weit er das vermag, können wir ruhig dahingestellt
sein lassen; die Poesie hat nur mit Seelenkräften und nicht mit elektrischen
Strömungen zu thun. Der Hochmut, der sich hinter diesem spiritistischen
Sektentum birgt, die tiefe Verachtung, die die Verfasserin für die schlichte
Seelenreinheit, die schlichte Liebe, das einfache Mitleid zur Schau trägt, das
die dunkeln und verworrnen Wege unsers Lebens erhellt, suchen ihresgleichen
im Übermenschentum der Modephilosophie. Es ist überall dieselbe Erschei¬
nung: das Bedürfnis, den uralten, heiligen und ewigen Maßstäben mensch¬
lichen Wertes zu entwachsen, falsche, trügerische Maßstäbe an ihre Stelle zu
setzen und damit die eigne Größe und Unfehlbarkeit zu beweisen. In den Aus¬
nahmemenschen dieses Romans steckt die ganze Überhebung dieser Tage, die mit
sittlicher Größe, mit innerer Weihe, mit reinerm Empfinden und werkthätiger
Menschenwürde so wenig zu schaffen hat. Die Szene, mit der der mystische
Heliobas den Prinzen Iwan Petrowsky entläßt und ins Leben hinausschickt,
reicht allein aus, den wahren Charakter dieser Art von Idealismus ins
rechte Licht zu stellen. Die Dame, der die Erzählung in den Mund gelegt und.
die, wie es scheint, eine Musikerin ist, giebt weltlich-hochnäsige Kunsturteile
zum besten, nennt Bach einen abscheulich langweiligen Tyrannen, Beethoven
ein wenig langweilig, und behauptet, Schubert sei ein größerer Musiker ge¬
worden als Beethoven, wenn er länger gelebt hätte. Nun, das sind Ansichten
und Aussprüche wie andre auch, sobald sie von einem einfachen, wenn auch
hochbegabten Menschenkinde ausgehen. Aber wie anders stellt sich die Sache
dar, wenn das rcisonnirende Menschenkind zu der Gruppe der geheimnisvoll
Auserwählten gehört, die „ihre mächtigen elektrischen Organe bei richtiger
Pflege zu ungeahnten geistigen Fähigkeiten entwickelt haben." Widerspruch
wird dann zur Todsünde, und andres Empfinden heißt brutaler Materia¬
lismus.
Wie gesagt, der Roman der Miß Corelli gehört nicht zu den historischen.
Aber ein Blick in ihn hilft vielleicht klar machen, wo die Wurzeln zu den
oben charcckterisirten wunderlichen Ab- und Ausartungen einer Gattung zu
suchen sind, die vor Zeiten der Darstellung kraftvollen, eigentümlichen Lebens
überaus günstig war und nirgends günstiger als in der englischen Litteratur.
Grenzboten I 189625
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