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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

empfindlichste verletzte. Er hatte zwei, dreimal hinter einander bei gelegent¬
lichen Besuchen niemand angetroffen. Eines Tages stand er wieder auf der
teppichbelegten Hausflur und fragte den geschniegelten Diener, ob der Herr
Senator zu Hause wäre. Er wußte, daß er zu Hause war, er hatte ihn eben
hineingehen sehen ins Haus, und doch sagte ihm der glatte Halunke mit
heimlich höhnenden, lächelnden Mundwinkeln, daß der Herr Senator nicht zu
Hause wäre. Er hätte den Mann vor Wild niederschlagen können. Dann
sagte er etwas, was er in dem Augenblicke bereute, als er es sagte. Ich habe
ja den Herrn Senator eben eintreten sehen.

Der Herr Baumeister irren! Der Herr Senator ist bestimmt nicht zu
Hause!

Der Mann hatte einfach ein für alle mal seine Instruktion bekomme".
Vanrile schämte sich seiner selbst. Aber dieser Augenblick der Schmach wurde
der Augenblick seines Glücks: eine helle, jugendliche Stimme rief von der
Treppe herab:. Aber bitte, Herr Baumeister, kommen Sie doch einen Augen¬
blick herauf!

Gegen den Willen der Ihrigen, gegen die Drohung ihres Onkels hatte
sie diese "unglaubliche Taktlosigkeit" begangen, als sie seine Stimme hörte.
Und dem Hinaufsteigenden war sie um den Hals gefallen und hatte uuter
Weinen und Schluchzen auf die Erbärmlichen gescholten, die sich in den Tagen
seines Unglücks von ihm zurückgezogen hätten, und ihm gesagt, daß er sich
nichts aus ihnen machen solle, daß sie ihn lieber habe als je, daß sie ihn
lieb behalten werde bis in alle Ewigkeit, daß sie stolz sei auf ihn, und daß
er es den andern nur zeigen solle, wer er eigentlich wäre.

Staunend über das Geschenk des Schicksals fühlte er, wie das kluge Kind
in seinen Armen zum liebenden Weibe ward; fest und sicher, mit einem Schlage
wußte er, daß er das Glück seines Lebens hielt, ein Glück, so groß und über
alle Maßen, wie es der Neid der Götter nur wenigen, sehr wenigen Sterb¬
lichen gönnt, ein Glück, das nicht bloß Glückssache ist, sondern um das man
kämpfen muß. Sie hatten kaum ein Dutzend Worte gesprochen, er war nicht
in den Salon eingetreten, auf den Treppenstufen vor den Augen des er¬
staunten Dieners hatte er sie an seine Brust gezogen und geküßt -- das war
ein Vermögen wert, daß er das erfuhr. Er wußte: ich werde sie haben, die
kleine Erika.

Ein Händedruck, ein Blick, dann hatte er sich auf den Absätzen umgedreht,
war die Treppe hinuutcrgestiegen und war verschwunden aus dem Hause und
verschwunden aus Hamburg.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Lehren der Afrikanerwoche.

W
as uns die Aufregung dieser Woche
lehrt, das haben ja schon im vorigen Heft zwei andre Mitarbeiter dargelegt, ober
es lohnt der Mühe, noch einmal darauf zurückzukommen. Nach den Homburger


Maßgebliches und Unmaßgebliches

empfindlichste verletzte. Er hatte zwei, dreimal hinter einander bei gelegent¬
lichen Besuchen niemand angetroffen. Eines Tages stand er wieder auf der
teppichbelegten Hausflur und fragte den geschniegelten Diener, ob der Herr
Senator zu Hause wäre. Er wußte, daß er zu Hause war, er hatte ihn eben
hineingehen sehen ins Haus, und doch sagte ihm der glatte Halunke mit
heimlich höhnenden, lächelnden Mundwinkeln, daß der Herr Senator nicht zu
Hause wäre. Er hätte den Mann vor Wild niederschlagen können. Dann
sagte er etwas, was er in dem Augenblicke bereute, als er es sagte. Ich habe
ja den Herrn Senator eben eintreten sehen.

Der Herr Baumeister irren! Der Herr Senator ist bestimmt nicht zu
Hause!

Der Mann hatte einfach ein für alle mal seine Instruktion bekomme».
Vanrile schämte sich seiner selbst. Aber dieser Augenblick der Schmach wurde
der Augenblick seines Glücks: eine helle, jugendliche Stimme rief von der
Treppe herab:. Aber bitte, Herr Baumeister, kommen Sie doch einen Augen¬
blick herauf!

Gegen den Willen der Ihrigen, gegen die Drohung ihres Onkels hatte
sie diese „unglaubliche Taktlosigkeit" begangen, als sie seine Stimme hörte.
Und dem Hinaufsteigenden war sie um den Hals gefallen und hatte uuter
Weinen und Schluchzen auf die Erbärmlichen gescholten, die sich in den Tagen
seines Unglücks von ihm zurückgezogen hätten, und ihm gesagt, daß er sich
nichts aus ihnen machen solle, daß sie ihn lieber habe als je, daß sie ihn
lieb behalten werde bis in alle Ewigkeit, daß sie stolz sei auf ihn, und daß
er es den andern nur zeigen solle, wer er eigentlich wäre.

Staunend über das Geschenk des Schicksals fühlte er, wie das kluge Kind
in seinen Armen zum liebenden Weibe ward; fest und sicher, mit einem Schlage
wußte er, daß er das Glück seines Lebens hielt, ein Glück, so groß und über
alle Maßen, wie es der Neid der Götter nur wenigen, sehr wenigen Sterb¬
lichen gönnt, ein Glück, das nicht bloß Glückssache ist, sondern um das man
kämpfen muß. Sie hatten kaum ein Dutzend Worte gesprochen, er war nicht
in den Salon eingetreten, auf den Treppenstufen vor den Augen des er¬
staunten Dieners hatte er sie an seine Brust gezogen und geküßt — das war
ein Vermögen wert, daß er das erfuhr. Er wußte: ich werde sie haben, die
kleine Erika.

Ein Händedruck, ein Blick, dann hatte er sich auf den Absätzen umgedreht,
war die Treppe hinuutcrgestiegen und war verschwunden aus dem Hause und
verschwunden aus Hamburg.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Lehren der Afrikanerwoche.

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as uns die Aufregung dieser Woche
lehrt, das haben ja schon im vorigen Heft zwei andre Mitarbeiter dargelegt, ober
es lohnt der Mühe, noch einmal darauf zurückzukommen. Nach den Homburger


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[0154] Maßgebliches und Unmaßgebliches empfindlichste verletzte. Er hatte zwei, dreimal hinter einander bei gelegent¬ lichen Besuchen niemand angetroffen. Eines Tages stand er wieder auf der teppichbelegten Hausflur und fragte den geschniegelten Diener, ob der Herr Senator zu Hause wäre. Er wußte, daß er zu Hause war, er hatte ihn eben hineingehen sehen ins Haus, und doch sagte ihm der glatte Halunke mit heimlich höhnenden, lächelnden Mundwinkeln, daß der Herr Senator nicht zu Hause wäre. Er hätte den Mann vor Wild niederschlagen können. Dann sagte er etwas, was er in dem Augenblicke bereute, als er es sagte. Ich habe ja den Herrn Senator eben eintreten sehen. Der Herr Baumeister irren! Der Herr Senator ist bestimmt nicht zu Hause! Der Mann hatte einfach ein für alle mal seine Instruktion bekomme». Vanrile schämte sich seiner selbst. Aber dieser Augenblick der Schmach wurde der Augenblick seines Glücks: eine helle, jugendliche Stimme rief von der Treppe herab:. Aber bitte, Herr Baumeister, kommen Sie doch einen Augen¬ blick herauf! Gegen den Willen der Ihrigen, gegen die Drohung ihres Onkels hatte sie diese „unglaubliche Taktlosigkeit" begangen, als sie seine Stimme hörte. Und dem Hinaufsteigenden war sie um den Hals gefallen und hatte uuter Weinen und Schluchzen auf die Erbärmlichen gescholten, die sich in den Tagen seines Unglücks von ihm zurückgezogen hätten, und ihm gesagt, daß er sich nichts aus ihnen machen solle, daß sie ihn lieber habe als je, daß sie ihn lieb behalten werde bis in alle Ewigkeit, daß sie stolz sei auf ihn, und daß er es den andern nur zeigen solle, wer er eigentlich wäre. Staunend über das Geschenk des Schicksals fühlte er, wie das kluge Kind in seinen Armen zum liebenden Weibe ward; fest und sicher, mit einem Schlage wußte er, daß er das Glück seines Lebens hielt, ein Glück, so groß und über alle Maßen, wie es der Neid der Götter nur wenigen, sehr wenigen Sterb¬ lichen gönnt, ein Glück, das nicht bloß Glückssache ist, sondern um das man kämpfen muß. Sie hatten kaum ein Dutzend Worte gesprochen, er war nicht in den Salon eingetreten, auf den Treppenstufen vor den Augen des er¬ staunten Dieners hatte er sie an seine Brust gezogen und geküßt — das war ein Vermögen wert, daß er das erfuhr. Er wußte: ich werde sie haben, die kleine Erika. Ein Händedruck, ein Blick, dann hatte er sich auf den Absätzen umgedreht, war die Treppe hinuutcrgestiegen und war verschwunden aus dem Hause und verschwunden aus Hamburg. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Lehren der Afrikanerwoche. W as uns die Aufregung dieser Woche lehrt, das haben ja schon im vorigen Heft zwei andre Mitarbeiter dargelegt, ober es lohnt der Mühe, noch einmal darauf zurückzukommen. Nach den Homburger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/154>, abgerufen am 01.09.2024.