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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage

in glänzender Ausführung dargelegt. Die Kritiker des ersten Entwurfs, zu
denen auch der Verfasser dieses Aufsatzes gehörte, sind natürlich auch jetzt noch
der Meinung, daß manche ihrer Verbesserungsvorschläge, die von der Kom¬
mission nicht berücksichtigt worden sind, mit Unrecht abgelehnt worden seien.
Wären sie aber angenommen worden, so würden vielleicht andre Juristen darin
eine Verschlechterung des Entwurfs gesehen haben. Jeder wird eben von seinem
Standpunkt aus eine Reihe von Änderungen für wünschenswert halten. In
einzelnen Punkte werden jene Kritiker gewiß Recht haben. Überhaupt werden
sich in Zukunft gewiß zahlreiche Mängel des Entwurfs ergeben, deren Ver¬
besserung der Praxis oder einer spätern Revision des Gesetzbuchs überlassen
bleiben muß. Aber das kann höchstens den Versuch rechtfertigen, einzelne
Punkte durch den Reichstag vorsichtig verbessern zu lassen, nicht die noch¬
malige Umarbeitung des Entwurfs durch eine dritte Kommission; denn es
würde sich bei jedem neuen EntWurfe wiederholen. Daß die Sprache des Ent¬
wurfs durch die zweite Kommission wesentlich verbessert worden ist, wird von
keiner Seite geleugnet. Auch in dieser Beziehung ist freilich zuzugeben, daß
noch weitere Verbesserungen möglich und wünschenswert sind. Es ist aber
auch zik beachten, daß sich ein Gesetzbuch niemals wie ein Roman lesen kann,
und durch ein zu weit getriebnes Streben nach Gemeinverständlichkeit leicht
die Sicherheit der Rechtsanwendung gefährdet wird. Ein Gesetzbuch darf
nicht kasuistisch, d. h. so abgefaßt werden, daß statt allgemeiner Rechtssätze
Entscheidungen für einzelne Fälle gegeben werden, sonst ist eine erschöpfende
Regelung ganz ausgeschlossen, und es entstehen, weil der Gesetzgeber nicht alle
Fälle vorsehen kann, große Lücken. Verfährt man aber nicht kasuistisch, so
wird die Sprache notwendig "abstrakt" und deshalb für den Laien schwer ver¬
ständlich. Dasselbe gilt von dem Gebrauch bestimmter technischer Ausdrücke,
durch die die Sicherheit der Rechtsprechung in höherm Maße gewährleistet
wird, als durch die Anwendung allgemein bekannter, aber vieldeutiger Wörter.
Es ist zwar mehrfach auf das französische Recht Bezug genommen worden,
das manche anschauliche, an Nechtssprichwörter erinnernde Aussprüche enthält,
wie la reoberenö as In xatsrnitv est interäitö oder fil tun, <Zö irnzudles In
xo88eL8ion vunt, Mi'<z. Aber abgesehen davon, daß es sich dabei um Aus¬
nahmen handelt, geben gerade derartige Bestimmungen zu besonders vielem
Zweifel und zu Streitigkeiten Anlaß. Der zweite Ausspruch hat für viele Streit¬
fragen Raum gelassen, z. B. für die, ob er nur von dem gutgläubigen oder
auch von dem bösgläubigen Besitzer angerufen werden dürfe. Was aber die
Erforschung der außerehelichen Vaterschaft betrifft, hat das Reichsgericht erst
in den letzten Jahren die alte Streitfrage zu entscheiden gehabt, ob das er¬
wähnte Verbot auch dann Anwendung finde, wenn die uneheliche Mutter wegen
betrügerischer Verleitung zum Beischlaf gegen ihren angeblichen schwangerer
auf Schadenersatz klage. Auch die Sprache des Entwurfs also kann seine


Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage

in glänzender Ausführung dargelegt. Die Kritiker des ersten Entwurfs, zu
denen auch der Verfasser dieses Aufsatzes gehörte, sind natürlich auch jetzt noch
der Meinung, daß manche ihrer Verbesserungsvorschläge, die von der Kom¬
mission nicht berücksichtigt worden sind, mit Unrecht abgelehnt worden seien.
Wären sie aber angenommen worden, so würden vielleicht andre Juristen darin
eine Verschlechterung des Entwurfs gesehen haben. Jeder wird eben von seinem
Standpunkt aus eine Reihe von Änderungen für wünschenswert halten. In
einzelnen Punkte werden jene Kritiker gewiß Recht haben. Überhaupt werden
sich in Zukunft gewiß zahlreiche Mängel des Entwurfs ergeben, deren Ver¬
besserung der Praxis oder einer spätern Revision des Gesetzbuchs überlassen
bleiben muß. Aber das kann höchstens den Versuch rechtfertigen, einzelne
Punkte durch den Reichstag vorsichtig verbessern zu lassen, nicht die noch¬
malige Umarbeitung des Entwurfs durch eine dritte Kommission; denn es
würde sich bei jedem neuen EntWurfe wiederholen. Daß die Sprache des Ent¬
wurfs durch die zweite Kommission wesentlich verbessert worden ist, wird von
keiner Seite geleugnet. Auch in dieser Beziehung ist freilich zuzugeben, daß
noch weitere Verbesserungen möglich und wünschenswert sind. Es ist aber
auch zik beachten, daß sich ein Gesetzbuch niemals wie ein Roman lesen kann,
und durch ein zu weit getriebnes Streben nach Gemeinverständlichkeit leicht
die Sicherheit der Rechtsanwendung gefährdet wird. Ein Gesetzbuch darf
nicht kasuistisch, d. h. so abgefaßt werden, daß statt allgemeiner Rechtssätze
Entscheidungen für einzelne Fälle gegeben werden, sonst ist eine erschöpfende
Regelung ganz ausgeschlossen, und es entstehen, weil der Gesetzgeber nicht alle
Fälle vorsehen kann, große Lücken. Verfährt man aber nicht kasuistisch, so
wird die Sprache notwendig „abstrakt" und deshalb für den Laien schwer ver¬
ständlich. Dasselbe gilt von dem Gebrauch bestimmter technischer Ausdrücke,
durch die die Sicherheit der Rechtsprechung in höherm Maße gewährleistet
wird, als durch die Anwendung allgemein bekannter, aber vieldeutiger Wörter.
Es ist zwar mehrfach auf das französische Recht Bezug genommen worden,
das manche anschauliche, an Nechtssprichwörter erinnernde Aussprüche enthält,
wie la reoberenö as In xatsrnitv est interäitö oder fil tun, <Zö irnzudles In
xo88eL8ion vunt, Mi'<z. Aber abgesehen davon, daß es sich dabei um Aus¬
nahmen handelt, geben gerade derartige Bestimmungen zu besonders vielem
Zweifel und zu Streitigkeiten Anlaß. Der zweite Ausspruch hat für viele Streit¬
fragen Raum gelassen, z. B. für die, ob er nur von dem gutgläubigen oder
auch von dem bösgläubigen Besitzer angerufen werden dürfe. Was aber die
Erforschung der außerehelichen Vaterschaft betrifft, hat das Reichsgericht erst
in den letzten Jahren die alte Streitfrage zu entscheiden gehabt, ob das er¬
wähnte Verbot auch dann Anwendung finde, wenn die uneheliche Mutter wegen
betrügerischer Verleitung zum Beischlaf gegen ihren angeblichen schwangerer
auf Schadenersatz klage. Auch die Sprache des Entwurfs also kann seine


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[0130] Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage in glänzender Ausführung dargelegt. Die Kritiker des ersten Entwurfs, zu denen auch der Verfasser dieses Aufsatzes gehörte, sind natürlich auch jetzt noch der Meinung, daß manche ihrer Verbesserungsvorschläge, die von der Kom¬ mission nicht berücksichtigt worden sind, mit Unrecht abgelehnt worden seien. Wären sie aber angenommen worden, so würden vielleicht andre Juristen darin eine Verschlechterung des Entwurfs gesehen haben. Jeder wird eben von seinem Standpunkt aus eine Reihe von Änderungen für wünschenswert halten. In einzelnen Punkte werden jene Kritiker gewiß Recht haben. Überhaupt werden sich in Zukunft gewiß zahlreiche Mängel des Entwurfs ergeben, deren Ver¬ besserung der Praxis oder einer spätern Revision des Gesetzbuchs überlassen bleiben muß. Aber das kann höchstens den Versuch rechtfertigen, einzelne Punkte durch den Reichstag vorsichtig verbessern zu lassen, nicht die noch¬ malige Umarbeitung des Entwurfs durch eine dritte Kommission; denn es würde sich bei jedem neuen EntWurfe wiederholen. Daß die Sprache des Ent¬ wurfs durch die zweite Kommission wesentlich verbessert worden ist, wird von keiner Seite geleugnet. Auch in dieser Beziehung ist freilich zuzugeben, daß noch weitere Verbesserungen möglich und wünschenswert sind. Es ist aber auch zik beachten, daß sich ein Gesetzbuch niemals wie ein Roman lesen kann, und durch ein zu weit getriebnes Streben nach Gemeinverständlichkeit leicht die Sicherheit der Rechtsanwendung gefährdet wird. Ein Gesetzbuch darf nicht kasuistisch, d. h. so abgefaßt werden, daß statt allgemeiner Rechtssätze Entscheidungen für einzelne Fälle gegeben werden, sonst ist eine erschöpfende Regelung ganz ausgeschlossen, und es entstehen, weil der Gesetzgeber nicht alle Fälle vorsehen kann, große Lücken. Verfährt man aber nicht kasuistisch, so wird die Sprache notwendig „abstrakt" und deshalb für den Laien schwer ver¬ ständlich. Dasselbe gilt von dem Gebrauch bestimmter technischer Ausdrücke, durch die die Sicherheit der Rechtsprechung in höherm Maße gewährleistet wird, als durch die Anwendung allgemein bekannter, aber vieldeutiger Wörter. Es ist zwar mehrfach auf das französische Recht Bezug genommen worden, das manche anschauliche, an Nechtssprichwörter erinnernde Aussprüche enthält, wie la reoberenö as In xatsrnitv est interäitö oder fil tun, <Zö irnzudles In xo88eL8ion vunt, Mi'<z. Aber abgesehen davon, daß es sich dabei um Aus¬ nahmen handelt, geben gerade derartige Bestimmungen zu besonders vielem Zweifel und zu Streitigkeiten Anlaß. Der zweite Ausspruch hat für viele Streit¬ fragen Raum gelassen, z. B. für die, ob er nur von dem gutgläubigen oder auch von dem bösgläubigen Besitzer angerufen werden dürfe. Was aber die Erforschung der außerehelichen Vaterschaft betrifft, hat das Reichsgericht erst in den letzten Jahren die alte Streitfrage zu entscheiden gehabt, ob das er¬ wähnte Verbot auch dann Anwendung finde, wenn die uneheliche Mutter wegen betrügerischer Verleitung zum Beischlaf gegen ihren angeblichen schwangerer auf Schadenersatz klage. Auch die Sprache des Entwurfs also kann seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/130>, abgerufen am 01.09.2024.