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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

gute Recht seines Vaterlandes fremdem Anspruch gegenüber vertreten als Ranke,
da er im Herbst 1870 in Wien seinem alten Freunde Thiers auf dessen vor¬
wurfsvolle und verzweifelte Frage: "Gegen wen führen denn jetzt die Deutschen
noch Krieg?" schlagfertig und tiefsinnig antwortete: "Gegen Ludwig XIV."
Aber allerdings, in seiner Geschichtschreibung tritt sein persönlicher Standpunkt
so gänzlich zurück, wie die Persönlichkeit des Epikers hinter seiner Dichtung.
Den "Päpsten" hat man den nicht unberechtigten Vorwurf gemacht, daß dem
Protestantismus auch historisch sein Recht nicht gewahrt sei, und Treitschke
hat darüber das scharfe Wort gesprochen, "daß die sittliche Welt rettungslos
untergehen müßte, wenn alle Menschen so dächten, wie dieser geistvolle Be¬
obachter." Für die Greuel der Bartholomäusnacht hat er kein Wort der
Entrüstung, seine preußische Geschichte erwärmt nicht, und die kühle Ruhe,
mit der er im Anschluß an Hardenbergs Denkwürdigkeiten die Ereignisse von
1806 bis 1813 behandelt, wirkt erkältend und abstoßend. Andrerseits hält
ihn seine persönliche Ueberzeugung keineswegs davon ab, Strömungen und
Bewegungen, die ihm geradezu unsympathisch sind, historisch vollkommne Ge¬
rechtigkeit widerfahren zu lassen. Er erkannte ohne weiteres an, daß eine sieg¬
reiche Revolution nicht nur zerstöre, sondern auch Neues schaffe und also eine
einfache Wiederherstellung des Alten schlechterdings unmöglich sei, und er be¬
kannte sich unbefangen zu dem Satze, daß auch für Preußen der Übergang
zum Konstitutionalismus unvermeidlich gewesen sei, da die modernen Völker
nun einmal in diesen Formen leben wollten.

Es ist klar, daß einem solchen Manne zum aktiven Politiker, ja selbst
zum Publizisten so ziemlich alles fehlte. Denn die Sache dieser beiden ist,
ihren Willen gegen andre durchzusetzen, die Aufgabe des Historikers, alle
auftauchenden Bestrebungen, auch die ihm persönlich widerwärtigsten, zu be¬
greifen. Wohl ist Ranke mit der "Politisch-Historischen Zeitschrift" 1832 bis
1836 als Publizist aufgetreten, aber das Unternehmen fand wenig Anklang
und wurde sehr bald wieder aufgegeben. Später, während der Bewegungs¬
jahre 1847 bis 1852, und noch während des Krimkrieges zählte "der kleine
Ranke," wie ihn der General Leopold von Gerlach nennt, einigermaßen zu
der sogenannten "Kamarilla" des Königs, und er hat für diesen auch mehrere
politische Denkschriften ausgearbeitet; aber in ihnen zeichnete er zwar vor¬
trefflich die jeweilige Lage und prophetisch das, was sich in den nächsten
Jahrzehnten entwickeln sollte; doch unmittelbar ausführbare Ratschläge gab
er selten, und einer parlamentarischen Versammlung, wie so viele seiner Fach¬
genossen, hat er niemals angehört. Wenn er den großen antiken Historikern
darin glich, daß er Zutritt zu den höchsten Kreisen und dadurch einen
Einblick in die politische Werkstatt erhielt, so ist er doch darin wieder von
ihnen verschieden, daß er niemals eine Verantwortliche Stellung im Staats¬
leben eingenommen hat, und gerade das giebt den großen antiken Geschicht¬
schreibern und auch nicht wenigen mittelalterlichen und modernen das eigen-


Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

gute Recht seines Vaterlandes fremdem Anspruch gegenüber vertreten als Ranke,
da er im Herbst 1870 in Wien seinem alten Freunde Thiers auf dessen vor¬
wurfsvolle und verzweifelte Frage: „Gegen wen führen denn jetzt die Deutschen
noch Krieg?" schlagfertig und tiefsinnig antwortete: „Gegen Ludwig XIV."
Aber allerdings, in seiner Geschichtschreibung tritt sein persönlicher Standpunkt
so gänzlich zurück, wie die Persönlichkeit des Epikers hinter seiner Dichtung.
Den „Päpsten" hat man den nicht unberechtigten Vorwurf gemacht, daß dem
Protestantismus auch historisch sein Recht nicht gewahrt sei, und Treitschke
hat darüber das scharfe Wort gesprochen, „daß die sittliche Welt rettungslos
untergehen müßte, wenn alle Menschen so dächten, wie dieser geistvolle Be¬
obachter." Für die Greuel der Bartholomäusnacht hat er kein Wort der
Entrüstung, seine preußische Geschichte erwärmt nicht, und die kühle Ruhe,
mit der er im Anschluß an Hardenbergs Denkwürdigkeiten die Ereignisse von
1806 bis 1813 behandelt, wirkt erkältend und abstoßend. Andrerseits hält
ihn seine persönliche Ueberzeugung keineswegs davon ab, Strömungen und
Bewegungen, die ihm geradezu unsympathisch sind, historisch vollkommne Ge¬
rechtigkeit widerfahren zu lassen. Er erkannte ohne weiteres an, daß eine sieg¬
reiche Revolution nicht nur zerstöre, sondern auch Neues schaffe und also eine
einfache Wiederherstellung des Alten schlechterdings unmöglich sei, und er be¬
kannte sich unbefangen zu dem Satze, daß auch für Preußen der Übergang
zum Konstitutionalismus unvermeidlich gewesen sei, da die modernen Völker
nun einmal in diesen Formen leben wollten.

Es ist klar, daß einem solchen Manne zum aktiven Politiker, ja selbst
zum Publizisten so ziemlich alles fehlte. Denn die Sache dieser beiden ist,
ihren Willen gegen andre durchzusetzen, die Aufgabe des Historikers, alle
auftauchenden Bestrebungen, auch die ihm persönlich widerwärtigsten, zu be¬
greifen. Wohl ist Ranke mit der „Politisch-Historischen Zeitschrift" 1832 bis
1836 als Publizist aufgetreten, aber das Unternehmen fand wenig Anklang
und wurde sehr bald wieder aufgegeben. Später, während der Bewegungs¬
jahre 1847 bis 1852, und noch während des Krimkrieges zählte „der kleine
Ranke," wie ihn der General Leopold von Gerlach nennt, einigermaßen zu
der sogenannten „Kamarilla" des Königs, und er hat für diesen auch mehrere
politische Denkschriften ausgearbeitet; aber in ihnen zeichnete er zwar vor¬
trefflich die jeweilige Lage und prophetisch das, was sich in den nächsten
Jahrzehnten entwickeln sollte; doch unmittelbar ausführbare Ratschläge gab
er selten, und einer parlamentarischen Versammlung, wie so viele seiner Fach¬
genossen, hat er niemals angehört. Wenn er den großen antiken Historikern
darin glich, daß er Zutritt zu den höchsten Kreisen und dadurch einen
Einblick in die politische Werkstatt erhielt, so ist er doch darin wieder von
ihnen verschieden, daß er niemals eine Verantwortliche Stellung im Staats¬
leben eingenommen hat, und gerade das giebt den großen antiken Geschicht¬
schreibern und auch nicht wenigen mittelalterlichen und modernen das eigen-


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[0616] Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag gute Recht seines Vaterlandes fremdem Anspruch gegenüber vertreten als Ranke, da er im Herbst 1870 in Wien seinem alten Freunde Thiers auf dessen vor¬ wurfsvolle und verzweifelte Frage: „Gegen wen führen denn jetzt die Deutschen noch Krieg?" schlagfertig und tiefsinnig antwortete: „Gegen Ludwig XIV." Aber allerdings, in seiner Geschichtschreibung tritt sein persönlicher Standpunkt so gänzlich zurück, wie die Persönlichkeit des Epikers hinter seiner Dichtung. Den „Päpsten" hat man den nicht unberechtigten Vorwurf gemacht, daß dem Protestantismus auch historisch sein Recht nicht gewahrt sei, und Treitschke hat darüber das scharfe Wort gesprochen, „daß die sittliche Welt rettungslos untergehen müßte, wenn alle Menschen so dächten, wie dieser geistvolle Be¬ obachter." Für die Greuel der Bartholomäusnacht hat er kein Wort der Entrüstung, seine preußische Geschichte erwärmt nicht, und die kühle Ruhe, mit der er im Anschluß an Hardenbergs Denkwürdigkeiten die Ereignisse von 1806 bis 1813 behandelt, wirkt erkältend und abstoßend. Andrerseits hält ihn seine persönliche Ueberzeugung keineswegs davon ab, Strömungen und Bewegungen, die ihm geradezu unsympathisch sind, historisch vollkommne Ge¬ rechtigkeit widerfahren zu lassen. Er erkannte ohne weiteres an, daß eine sieg¬ reiche Revolution nicht nur zerstöre, sondern auch Neues schaffe und also eine einfache Wiederherstellung des Alten schlechterdings unmöglich sei, und er be¬ kannte sich unbefangen zu dem Satze, daß auch für Preußen der Übergang zum Konstitutionalismus unvermeidlich gewesen sei, da die modernen Völker nun einmal in diesen Formen leben wollten. Es ist klar, daß einem solchen Manne zum aktiven Politiker, ja selbst zum Publizisten so ziemlich alles fehlte. Denn die Sache dieser beiden ist, ihren Willen gegen andre durchzusetzen, die Aufgabe des Historikers, alle auftauchenden Bestrebungen, auch die ihm persönlich widerwärtigsten, zu be¬ greifen. Wohl ist Ranke mit der „Politisch-Historischen Zeitschrift" 1832 bis 1836 als Publizist aufgetreten, aber das Unternehmen fand wenig Anklang und wurde sehr bald wieder aufgegeben. Später, während der Bewegungs¬ jahre 1847 bis 1852, und noch während des Krimkrieges zählte „der kleine Ranke," wie ihn der General Leopold von Gerlach nennt, einigermaßen zu der sogenannten „Kamarilla" des Königs, und er hat für diesen auch mehrere politische Denkschriften ausgearbeitet; aber in ihnen zeichnete er zwar vor¬ trefflich die jeweilige Lage und prophetisch das, was sich in den nächsten Jahrzehnten entwickeln sollte; doch unmittelbar ausführbare Ratschläge gab er selten, und einer parlamentarischen Versammlung, wie so viele seiner Fach¬ genossen, hat er niemals angehört. Wenn er den großen antiken Historikern darin glich, daß er Zutritt zu den höchsten Kreisen und dadurch einen Einblick in die politische Werkstatt erhielt, so ist er doch darin wieder von ihnen verschieden, daß er niemals eine Verantwortliche Stellung im Staats¬ leben eingenommen hat, und gerade das giebt den großen antiken Geschicht¬ schreibern und auch nicht wenigen mittelalterlichen und modernen das eigen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/616>, abgerufen am 24.07.2024.