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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Punkt hervortraten, wo ihm durch Schriften wie die Resolutionen gegen Eck
und die Erklärung des Galaterbriefs die reformatorische Größe Luthers zum
erstenmale in ihrer ganzen Bedeutung zum Bewußtsein gebracht wurde."

Aber auch in andrer Beziehung ist der Einfluß Luthers unverkennbar.
Zwingli hatte anfangs die Hoffnung, daß die Reformation auf friedlichem
Wege von oben her werde durchgeführt werden. Durch Luthers kühnes Vor¬
gehen wurde diese Hoffnung zerstört. Nachdem der Papst den Bann gegen
Luther geschleudert hat, erkennt Zwingli deutlich die Notwendigkeit des Kampfes.
In seinen Predigten geht er seit 1520 zum offnen Angriff auch gegen die
kirchlichen Schäden über, und noch im Laufe desselben Jahres weist er die
Päpstliche Pension zurück. Das war bei der bisherigen Vorsicht Zwinglis ein
großer Fortschritt, der erste Schritt zum Bruch mit Rom. Allerdings geht
Zwingli auch jetzt noch sehr langsam und behutsam vorwärts. Noch zwei
Jahre lang bleibt seine Stellung, abgesehen von kleinen Reibereien, unange¬
fochten. Aber sein Weg trennt sich doch seitdem mehr und mehr vou Erasmus
und führt auf Luthers Bahn, von der friedlichen Reformation von oben her
zu dem offnen Kampfe gegen Rom. Auch diese Wendung wird nicht zufällig
mit seiner Bekanntschaft mit Luther zusammentreffen. Man kann daher nur
das Urteil unterschreiben, das staehelin bereits vor zwölf Jahren in seiner
kleinern Schrift über Zwingli ausgesprochen hat: "Wir werden nicht irre gehen,
wenn wir annehmen, daß bei aller Selbständigkeit in der Bildung seiner evan¬
gelischen Überzeugung doch die Kraft zum reformatorischen Handeln auch ihm
erst aus der Vertiefung seiner Heilserkenntnis und aus der Schärfung seines
Pflichtgefühls heraus gewachsen ist, die er der nähern Beschäftigung mit
Luthers Lehre und den Eindrücken des von diesem bewiesenen Glaubensmutes
zu verdanken hatte."

Bei dieser Sachlage hat die feierliche Versicherung Zwinglis, daß er von
Luther nichts gelernt habe, etwas rätselhaftes. Thatsächlich hat er doch recht
viel von Luther gelernt. Daß Zwingli wissentlich "vor Gott" die Unwahr¬
heit 'bezeugt habe, ist natürlich ausgeschlossen. Es bleibt also nur übrig, an¬
zunehmen, daß er sich nicht bewußt gewesen ist, durch Luther bereichert worden
zu sein. Bis zu einem gewissen Grade ist es dem neuesten Biographen Zwinglis
auch gelungen, das auffallende Verhalten Zwinglis in diesem Sinne begreif¬
lich zu machen. Die ruhig fortschreitende, vorwiegend vom Humanismus be¬
einflußte Entwicklung Zwinglis, bei der es niemals zu einen: vollständigen
Bruch mit der Vergangenheit kam, die freie Art und Weise, mit der er die
Wahrheit, wo er sie fand, aufnahm und als fein Eigentum betrachtete, seine
eigentümliche Auffassung der Religion in Verbindung mit humanistischen und
politischen Idealen, die er sich unabhängig von Luther bildete und trotz Luthers
Einfluß behauptete, der vorherrschende Trieb nach klarer Erkenntnis bei ge¬
ringerm Erlösungsbedürfnis, seine ganze Auffassung der Reformation als einer


Irvingli

Punkt hervortraten, wo ihm durch Schriften wie die Resolutionen gegen Eck
und die Erklärung des Galaterbriefs die reformatorische Größe Luthers zum
erstenmale in ihrer ganzen Bedeutung zum Bewußtsein gebracht wurde."

Aber auch in andrer Beziehung ist der Einfluß Luthers unverkennbar.
Zwingli hatte anfangs die Hoffnung, daß die Reformation auf friedlichem
Wege von oben her werde durchgeführt werden. Durch Luthers kühnes Vor¬
gehen wurde diese Hoffnung zerstört. Nachdem der Papst den Bann gegen
Luther geschleudert hat, erkennt Zwingli deutlich die Notwendigkeit des Kampfes.
In seinen Predigten geht er seit 1520 zum offnen Angriff auch gegen die
kirchlichen Schäden über, und noch im Laufe desselben Jahres weist er die
Päpstliche Pension zurück. Das war bei der bisherigen Vorsicht Zwinglis ein
großer Fortschritt, der erste Schritt zum Bruch mit Rom. Allerdings geht
Zwingli auch jetzt noch sehr langsam und behutsam vorwärts. Noch zwei
Jahre lang bleibt seine Stellung, abgesehen von kleinen Reibereien, unange¬
fochten. Aber sein Weg trennt sich doch seitdem mehr und mehr vou Erasmus
und führt auf Luthers Bahn, von der friedlichen Reformation von oben her
zu dem offnen Kampfe gegen Rom. Auch diese Wendung wird nicht zufällig
mit seiner Bekanntschaft mit Luther zusammentreffen. Man kann daher nur
das Urteil unterschreiben, das staehelin bereits vor zwölf Jahren in seiner
kleinern Schrift über Zwingli ausgesprochen hat: „Wir werden nicht irre gehen,
wenn wir annehmen, daß bei aller Selbständigkeit in der Bildung seiner evan¬
gelischen Überzeugung doch die Kraft zum reformatorischen Handeln auch ihm
erst aus der Vertiefung seiner Heilserkenntnis und aus der Schärfung seines
Pflichtgefühls heraus gewachsen ist, die er der nähern Beschäftigung mit
Luthers Lehre und den Eindrücken des von diesem bewiesenen Glaubensmutes
zu verdanken hatte."

Bei dieser Sachlage hat die feierliche Versicherung Zwinglis, daß er von
Luther nichts gelernt habe, etwas rätselhaftes. Thatsächlich hat er doch recht
viel von Luther gelernt. Daß Zwingli wissentlich „vor Gott" die Unwahr¬
heit 'bezeugt habe, ist natürlich ausgeschlossen. Es bleibt also nur übrig, an¬
zunehmen, daß er sich nicht bewußt gewesen ist, durch Luther bereichert worden
zu sein. Bis zu einem gewissen Grade ist es dem neuesten Biographen Zwinglis
auch gelungen, das auffallende Verhalten Zwinglis in diesem Sinne begreif¬
lich zu machen. Die ruhig fortschreitende, vorwiegend vom Humanismus be¬
einflußte Entwicklung Zwinglis, bei der es niemals zu einen: vollständigen
Bruch mit der Vergangenheit kam, die freie Art und Weise, mit der er die
Wahrheit, wo er sie fand, aufnahm und als fein Eigentum betrachtete, seine
eigentümliche Auffassung der Religion in Verbindung mit humanistischen und
politischen Idealen, die er sich unabhängig von Luther bildete und trotz Luthers
Einfluß behauptete, der vorherrschende Trieb nach klarer Erkenntnis bei ge¬
ringerm Erlösungsbedürfnis, seine ganze Auffassung der Reformation als einer


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[0583] Irvingli Punkt hervortraten, wo ihm durch Schriften wie die Resolutionen gegen Eck und die Erklärung des Galaterbriefs die reformatorische Größe Luthers zum erstenmale in ihrer ganzen Bedeutung zum Bewußtsein gebracht wurde." Aber auch in andrer Beziehung ist der Einfluß Luthers unverkennbar. Zwingli hatte anfangs die Hoffnung, daß die Reformation auf friedlichem Wege von oben her werde durchgeführt werden. Durch Luthers kühnes Vor¬ gehen wurde diese Hoffnung zerstört. Nachdem der Papst den Bann gegen Luther geschleudert hat, erkennt Zwingli deutlich die Notwendigkeit des Kampfes. In seinen Predigten geht er seit 1520 zum offnen Angriff auch gegen die kirchlichen Schäden über, und noch im Laufe desselben Jahres weist er die Päpstliche Pension zurück. Das war bei der bisherigen Vorsicht Zwinglis ein großer Fortschritt, der erste Schritt zum Bruch mit Rom. Allerdings geht Zwingli auch jetzt noch sehr langsam und behutsam vorwärts. Noch zwei Jahre lang bleibt seine Stellung, abgesehen von kleinen Reibereien, unange¬ fochten. Aber sein Weg trennt sich doch seitdem mehr und mehr vou Erasmus und führt auf Luthers Bahn, von der friedlichen Reformation von oben her zu dem offnen Kampfe gegen Rom. Auch diese Wendung wird nicht zufällig mit seiner Bekanntschaft mit Luther zusammentreffen. Man kann daher nur das Urteil unterschreiben, das staehelin bereits vor zwölf Jahren in seiner kleinern Schrift über Zwingli ausgesprochen hat: „Wir werden nicht irre gehen, wenn wir annehmen, daß bei aller Selbständigkeit in der Bildung seiner evan¬ gelischen Überzeugung doch die Kraft zum reformatorischen Handeln auch ihm erst aus der Vertiefung seiner Heilserkenntnis und aus der Schärfung seines Pflichtgefühls heraus gewachsen ist, die er der nähern Beschäftigung mit Luthers Lehre und den Eindrücken des von diesem bewiesenen Glaubensmutes zu verdanken hatte." Bei dieser Sachlage hat die feierliche Versicherung Zwinglis, daß er von Luther nichts gelernt habe, etwas rätselhaftes. Thatsächlich hat er doch recht viel von Luther gelernt. Daß Zwingli wissentlich „vor Gott" die Unwahr¬ heit 'bezeugt habe, ist natürlich ausgeschlossen. Es bleibt also nur übrig, an¬ zunehmen, daß er sich nicht bewußt gewesen ist, durch Luther bereichert worden zu sein. Bis zu einem gewissen Grade ist es dem neuesten Biographen Zwinglis auch gelungen, das auffallende Verhalten Zwinglis in diesem Sinne begreif¬ lich zu machen. Die ruhig fortschreitende, vorwiegend vom Humanismus be¬ einflußte Entwicklung Zwinglis, bei der es niemals zu einen: vollständigen Bruch mit der Vergangenheit kam, die freie Art und Weise, mit der er die Wahrheit, wo er sie fand, aufnahm und als fein Eigentum betrachtete, seine eigentümliche Auffassung der Religion in Verbindung mit humanistischen und politischen Idealen, die er sich unabhängig von Luther bildete und trotz Luthers Einfluß behauptete, der vorherrschende Trieb nach klarer Erkenntnis bei ge¬ ringerm Erlösungsbedürfnis, seine ganze Auffassung der Reformation als einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/583>, abgerufen am 24.07.2024.