Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hinabi

trachten. Aber können sich diese Blätter nicht besser durch sich selbst recht¬
fertigen? Auch wenn man nicht in die maßlose Bewunderung einstimmt, mit
der sie von vielen Seiten gepriesen werden, auf jeden Fall hat man von diesen
düstern Schilderungen den Eindruck, daß sie nicht aus einer frivolen Lust am
Unheimlichen entsprungen sind; bisweilen erinnern sie unmittelbar an den herben
Pessimismus Goyas, oft spricht aus ihnen eine tiefere tragische Stimmung.
Durch Originalität der Erfindung, durch die ebenso meisterliche wie eigentümliche,
geistreiche Art der technischen Behandlung gehören Klingers Radirungen gewiß
zu den merkwürdigsten und interessantesten Erzeugnissen der modernen Kunst.
Erinnert man sich aber, was Klinger von der Malerei hauptsächlich verlangt,
so muß es sehr fraglich bleiben, ob seine eignen Gemälde dieser Forderung
wirklich entsprechen. An künstlerischer Bedeutung stehn sie mit seinen Radi¬
rungen jedenfalls nicht auf gleicher Stufe.

Doch ich wollte hier nicht versuchen, die Klingersche Kunst zu charak-
terisiren; nur zu seiner Schrift wollte ich einige Bemerkungen machen. Neben
jenen bedenklichen Hauptstellen, auf deren Kennzeichnung es mir namentlich
ankam, enthält die Schrift manchen anregenden, manchen geistreichen Gedanken,
bisweilen freilich in sehr gesuchter und dabei sprachlich anstößiger Form.




Hinab!
i

anz oben unter den Schroffen nahm es seinen Anfang; kein Mensch
hätte gedacht, was daraus werden würde. Man sah es gar nicht,
als das Gras noch nicht gemäht war. Erst wie der Franz, der
Jäger, der einem Reh nachschlich, hineintappte, sagte er: Va--fluacht!
Die Nösfn!

Es war ein Loch geworden, und wo der Absatz des Schuss ge¬
standen hatte, war es am tiefsten gewesen. Da hinein war es geronnen und sah
trüb aus. Aber dann war das Loch vollgelaufen, und es quoll darüber hinweg.
Werden schon weiter kommen, meinte es und schlich durch die Gräser. Nur immer
abwärts, hinauf kaun ich eh nit. So sickerte es hin durch die Wiese; jetzt kamen
schon Binsen. Tapp nur herein. Jaga, dachte es, wann d' mögst!

Aha, da wirds eng! sagte es nach einer Weile und sammelte sich. Aber
vorwärts kommt man besser. Und es lief ganz hastig die Wiese hinab, dem Hoch¬
gart gerade zwischen den Zaunstecken durch. Vorsichtig lief es um den Misthaufen
herum und auf der andern Seite des Hoff wieder zum Zaun hinaus. Das war
beim guten Heuwetter gewesen. Als es aber hernach anfing zu regnen, wurde es


Hinabi

trachten. Aber können sich diese Blätter nicht besser durch sich selbst recht¬
fertigen? Auch wenn man nicht in die maßlose Bewunderung einstimmt, mit
der sie von vielen Seiten gepriesen werden, auf jeden Fall hat man von diesen
düstern Schilderungen den Eindruck, daß sie nicht aus einer frivolen Lust am
Unheimlichen entsprungen sind; bisweilen erinnern sie unmittelbar an den herben
Pessimismus Goyas, oft spricht aus ihnen eine tiefere tragische Stimmung.
Durch Originalität der Erfindung, durch die ebenso meisterliche wie eigentümliche,
geistreiche Art der technischen Behandlung gehören Klingers Radirungen gewiß
zu den merkwürdigsten und interessantesten Erzeugnissen der modernen Kunst.
Erinnert man sich aber, was Klinger von der Malerei hauptsächlich verlangt,
so muß es sehr fraglich bleiben, ob seine eignen Gemälde dieser Forderung
wirklich entsprechen. An künstlerischer Bedeutung stehn sie mit seinen Radi¬
rungen jedenfalls nicht auf gleicher Stufe.

Doch ich wollte hier nicht versuchen, die Klingersche Kunst zu charak-
terisiren; nur zu seiner Schrift wollte ich einige Bemerkungen machen. Neben
jenen bedenklichen Hauptstellen, auf deren Kennzeichnung es mir namentlich
ankam, enthält die Schrift manchen anregenden, manchen geistreichen Gedanken,
bisweilen freilich in sehr gesuchter und dabei sprachlich anstößiger Form.




Hinab!
i

anz oben unter den Schroffen nahm es seinen Anfang; kein Mensch
hätte gedacht, was daraus werden würde. Man sah es gar nicht,
als das Gras noch nicht gemäht war. Erst wie der Franz, der
Jäger, der einem Reh nachschlich, hineintappte, sagte er: Va—fluacht!
Die Nösfn!

Es war ein Loch geworden, und wo der Absatz des Schuss ge¬
standen hatte, war es am tiefsten gewesen. Da hinein war es geronnen und sah
trüb aus. Aber dann war das Loch vollgelaufen, und es quoll darüber hinweg.
Werden schon weiter kommen, meinte es und schlich durch die Gräser. Nur immer
abwärts, hinauf kaun ich eh nit. So sickerte es hin durch die Wiese; jetzt kamen
schon Binsen. Tapp nur herein. Jaga, dachte es, wann d' mögst!

Aha, da wirds eng! sagte es nach einer Weile und sammelte sich. Aber
vorwärts kommt man besser. Und es lief ganz hastig die Wiese hinab, dem Hoch¬
gart gerade zwischen den Zaunstecken durch. Vorsichtig lief es um den Misthaufen
herum und auf der andern Seite des Hoff wieder zum Zaun hinaus. Das war
beim guten Heuwetter gewesen. Als es aber hernach anfing zu regnen, wurde es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0546" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221520"/>
          <fw type="header" place="top"> Hinabi</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1783" prev="#ID_1782"> trachten. Aber können sich diese Blätter nicht besser durch sich selbst recht¬<lb/>
fertigen? Auch wenn man nicht in die maßlose Bewunderung einstimmt, mit<lb/>
der sie von vielen Seiten gepriesen werden, auf jeden Fall hat man von diesen<lb/>
düstern Schilderungen den Eindruck, daß sie nicht aus einer frivolen Lust am<lb/>
Unheimlichen entsprungen sind; bisweilen erinnern sie unmittelbar an den herben<lb/>
Pessimismus Goyas, oft spricht aus ihnen eine tiefere tragische Stimmung.<lb/>
Durch Originalität der Erfindung, durch die ebenso meisterliche wie eigentümliche,<lb/>
geistreiche Art der technischen Behandlung gehören Klingers Radirungen gewiß<lb/>
zu den merkwürdigsten und interessantesten Erzeugnissen der modernen Kunst.<lb/>
Erinnert man sich aber, was Klinger von der Malerei hauptsächlich verlangt,<lb/>
so muß es sehr fraglich bleiben, ob seine eignen Gemälde dieser Forderung<lb/>
wirklich entsprechen. An künstlerischer Bedeutung stehn sie mit seinen Radi¬<lb/>
rungen jedenfalls nicht auf gleicher Stufe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1784"> Doch ich wollte hier nicht versuchen, die Klingersche Kunst zu charak-<lb/>
terisiren; nur zu seiner Schrift wollte ich einige Bemerkungen machen. Neben<lb/>
jenen bedenklichen Hauptstellen, auf deren Kennzeichnung es mir namentlich<lb/>
ankam, enthält die Schrift manchen anregenden, manchen geistreichen Gedanken,<lb/>
bisweilen freilich in sehr gesuchter und dabei sprachlich anstößiger Form.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hinab!<lb/>
i </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1785"> anz oben unter den Schroffen nahm es seinen Anfang; kein Mensch<lb/>
hätte gedacht, was daraus werden würde. Man sah es gar nicht,<lb/>
als das Gras noch nicht gemäht war. Erst wie der Franz, der<lb/>
Jäger, der einem Reh nachschlich, hineintappte, sagte er: Va&#x2014;fluacht!<lb/>
Die Nösfn!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1786"> Es war ein Loch geworden, und wo der Absatz des Schuss ge¬<lb/>
standen hatte, war es am tiefsten gewesen. Da hinein war es geronnen und sah<lb/>
trüb aus. Aber dann war das Loch vollgelaufen, und es quoll darüber hinweg.<lb/>
Werden schon weiter kommen, meinte es und schlich durch die Gräser. Nur immer<lb/>
abwärts, hinauf kaun ich eh nit. So sickerte es hin durch die Wiese; jetzt kamen<lb/>
schon Binsen.  Tapp nur herein. Jaga, dachte es, wann d' mögst!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1787" next="#ID_1788"> Aha, da wirds eng! sagte es nach einer Weile und sammelte sich. Aber<lb/>
vorwärts kommt man besser. Und es lief ganz hastig die Wiese hinab, dem Hoch¬<lb/>
gart gerade zwischen den Zaunstecken durch. Vorsichtig lief es um den Misthaufen<lb/>
herum und auf der andern Seite des Hoff wieder zum Zaun hinaus. Das war<lb/>
beim guten Heuwetter gewesen. Als es aber hernach anfing zu regnen, wurde es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0546] Hinabi trachten. Aber können sich diese Blätter nicht besser durch sich selbst recht¬ fertigen? Auch wenn man nicht in die maßlose Bewunderung einstimmt, mit der sie von vielen Seiten gepriesen werden, auf jeden Fall hat man von diesen düstern Schilderungen den Eindruck, daß sie nicht aus einer frivolen Lust am Unheimlichen entsprungen sind; bisweilen erinnern sie unmittelbar an den herben Pessimismus Goyas, oft spricht aus ihnen eine tiefere tragische Stimmung. Durch Originalität der Erfindung, durch die ebenso meisterliche wie eigentümliche, geistreiche Art der technischen Behandlung gehören Klingers Radirungen gewiß zu den merkwürdigsten und interessantesten Erzeugnissen der modernen Kunst. Erinnert man sich aber, was Klinger von der Malerei hauptsächlich verlangt, so muß es sehr fraglich bleiben, ob seine eignen Gemälde dieser Forderung wirklich entsprechen. An künstlerischer Bedeutung stehn sie mit seinen Radi¬ rungen jedenfalls nicht auf gleicher Stufe. Doch ich wollte hier nicht versuchen, die Klingersche Kunst zu charak- terisiren; nur zu seiner Schrift wollte ich einige Bemerkungen machen. Neben jenen bedenklichen Hauptstellen, auf deren Kennzeichnung es mir namentlich ankam, enthält die Schrift manchen anregenden, manchen geistreichen Gedanken, bisweilen freilich in sehr gesuchter und dabei sprachlich anstößiger Form. Hinab! i anz oben unter den Schroffen nahm es seinen Anfang; kein Mensch hätte gedacht, was daraus werden würde. Man sah es gar nicht, als das Gras noch nicht gemäht war. Erst wie der Franz, der Jäger, der einem Reh nachschlich, hineintappte, sagte er: Va—fluacht! Die Nösfn! Es war ein Loch geworden, und wo der Absatz des Schuss ge¬ standen hatte, war es am tiefsten gewesen. Da hinein war es geronnen und sah trüb aus. Aber dann war das Loch vollgelaufen, und es quoll darüber hinweg. Werden schon weiter kommen, meinte es und schlich durch die Gräser. Nur immer abwärts, hinauf kaun ich eh nit. So sickerte es hin durch die Wiese; jetzt kamen schon Binsen. Tapp nur herein. Jaga, dachte es, wann d' mögst! Aha, da wirds eng! sagte es nach einer Weile und sammelte sich. Aber vorwärts kommt man besser. Und es lief ganz hastig die Wiese hinab, dem Hoch¬ gart gerade zwischen den Zaunstecken durch. Vorsichtig lief es um den Misthaufen herum und auf der andern Seite des Hoff wieder zum Zaun hinaus. Das war beim guten Heuwetter gewesen. Als es aber hernach anfing zu regnen, wurde es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/546
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/546>, abgerufen am 24.08.2024.