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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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und stattliche Frau), wir rackerii uns, daß uns jeden Abend alle Knochen im
Leibe weh thun; aber gesund würf uns, wenn wir außerdem noch täglich eine
Tracht Prügel kriegten -- für unsre Dummheit. -- Wieso? -- Ja, haben
Sie denn noch nicht bemerkt, daß wir den ganzen Mist ans der Radwer hinaus¬
fahren, und die ganze Ernte auf der Radwer hereinfahren? -- Warum thun
Sie denn das? -- Nu sahn Se; unser Vater hat doch dem Franze hie (das
war mein Gegenüber) das Gut vermacht, und mir hat er eine Ackerstelle
herausgeschnitten. Na. a bissel gewurmt hat minds zwar, weil ich der Ältere
bin, aber beide konnten wir doch das Gut nicht kriegen, und so hab ich mich
drein gefunden. Aber wer sich nicht drein gefunden hat, das ist das verpuchte
Weib hie, und Frciuzen seine, das ist ein hochmütiges Ding, und weil sie
Bciueriu ist, so verachtet sie meine, die bloß eines Stellenbesitzers Weib ist,
und so haben uns die verdammten Weiber aus einander gebracht, seit zwanzig
Jahren haben wir einander nicht gegrüßt und nicht gedankt. Wenn ich nun
mit den Kühen hinausfahren wollte auf meinen Acker, so müßte ich doch auf
meines Bruders Wege fahren, nud da müßte ich ihn um Erlaubnis bitten.
Das leidet meine nicht, und so müssen wir halt mit der Radwer fahren. Na,
wenn ich nur mei Pfeifet habe (es hing ihm den ganzen Tag aus dem Maule
herunter) und meinen Schnaps, denn das ist meine einzige Freude, so will ich
mich gerne abrackern. -- Aber Schnaps, sagte ich, sollten Sie doch nicht regel¬
mäßig trinken, da verkürzen Sie ja Ihr Leben. Darüber lachte er so un¬
bändig, daß er sich die Thränen abwischen mußte. Als er wieder zu Atem
kam, sagte er: Dos verstiehn Se nee, Herr Forr! Mein Vater hat gesoffen
und ist in guter Gesundheit achtzig Jahr alt geworden, und ich gedenke bis
zu meinem neunzigsten Jahre zu saufen. Ich bin jetzt sechzig Jahre durch,
habe in meinem Leben noch keinen Strumpf an die Füße bekommen, weiß
nicht, was Krankheit, was Zahnweh, was Reißen heißt, und habe Kräfte wie
ein Bär. -- Übrigens hatte er noch eine dritte Lebensfreude (die zartern
Freuden: Weib und Kinder, werden als selbstverständlich oder ans einem ge¬
wissen Schamgefühl nicht erwähnt): das Orgelspiel. Er war sehr tüchtig im
Generalbaß -- andre als bezifferte Stücke mochte er gar nicht spielen --, ver¬
trat manchmal den Kantor in der Kirche und hatte sich selbst an Winterabenden
ein Positiv zusammengebosselt, auf dem er manchmal ein Stündchen herum-
fingerte. Als Franzens Frau starb, versöhnten sich die Brüder. Das Ereignis
traf glücklicherweise in die gelegenste Zeit, um Fasching, wo sie mit dem
Dreschen fertig waren und noch nicht aufs Feld hinanskonnten; so saßen sie
denn jeden Mittag und Abend zusammen, und zwar bei Göttlichen, wo es
ihnen die Frau gemütlich machte, zur Freude von Franzens Söhnen, die sich
unterdessen mit den Mägden vergnügten, begossen die Versöhnung und gingen
selig zu Bett.

Das freundnachbarliche Anerbieten der beiden Männer nahm ich natürlich


Grenzboten IV 1895 K2

und stattliche Frau), wir rackerii uns, daß uns jeden Abend alle Knochen im
Leibe weh thun; aber gesund würf uns, wenn wir außerdem noch täglich eine
Tracht Prügel kriegten — für unsre Dummheit. — Wieso? — Ja, haben
Sie denn noch nicht bemerkt, daß wir den ganzen Mist ans der Radwer hinaus¬
fahren, und die ganze Ernte auf der Radwer hereinfahren? — Warum thun
Sie denn das? — Nu sahn Se; unser Vater hat doch dem Franze hie (das
war mein Gegenüber) das Gut vermacht, und mir hat er eine Ackerstelle
herausgeschnitten. Na. a bissel gewurmt hat minds zwar, weil ich der Ältere
bin, aber beide konnten wir doch das Gut nicht kriegen, und so hab ich mich
drein gefunden. Aber wer sich nicht drein gefunden hat, das ist das verpuchte
Weib hie, und Frciuzen seine, das ist ein hochmütiges Ding, und weil sie
Bciueriu ist, so verachtet sie meine, die bloß eines Stellenbesitzers Weib ist,
und so haben uns die verdammten Weiber aus einander gebracht, seit zwanzig
Jahren haben wir einander nicht gegrüßt und nicht gedankt. Wenn ich nun
mit den Kühen hinausfahren wollte auf meinen Acker, so müßte ich doch auf
meines Bruders Wege fahren, nud da müßte ich ihn um Erlaubnis bitten.
Das leidet meine nicht, und so müssen wir halt mit der Radwer fahren. Na,
wenn ich nur mei Pfeifet habe (es hing ihm den ganzen Tag aus dem Maule
herunter) und meinen Schnaps, denn das ist meine einzige Freude, so will ich
mich gerne abrackern. — Aber Schnaps, sagte ich, sollten Sie doch nicht regel¬
mäßig trinken, da verkürzen Sie ja Ihr Leben. Darüber lachte er so un¬
bändig, daß er sich die Thränen abwischen mußte. Als er wieder zu Atem
kam, sagte er: Dos verstiehn Se nee, Herr Forr! Mein Vater hat gesoffen
und ist in guter Gesundheit achtzig Jahr alt geworden, und ich gedenke bis
zu meinem neunzigsten Jahre zu saufen. Ich bin jetzt sechzig Jahre durch,
habe in meinem Leben noch keinen Strumpf an die Füße bekommen, weiß
nicht, was Krankheit, was Zahnweh, was Reißen heißt, und habe Kräfte wie
ein Bär. — Übrigens hatte er noch eine dritte Lebensfreude (die zartern
Freuden: Weib und Kinder, werden als selbstverständlich oder ans einem ge¬
wissen Schamgefühl nicht erwähnt): das Orgelspiel. Er war sehr tüchtig im
Generalbaß — andre als bezifferte Stücke mochte er gar nicht spielen —, ver¬
trat manchmal den Kantor in der Kirche und hatte sich selbst an Winterabenden
ein Positiv zusammengebosselt, auf dem er manchmal ein Stündchen herum-
fingerte. Als Franzens Frau starb, versöhnten sich die Brüder. Das Ereignis
traf glücklicherweise in die gelegenste Zeit, um Fasching, wo sie mit dem
Dreschen fertig waren und noch nicht aufs Feld hinanskonnten; so saßen sie
denn jeden Mittag und Abend zusammen, und zwar bei Göttlichen, wo es
ihnen die Frau gemütlich machte, zur Freude von Franzens Söhnen, die sich
unterdessen mit den Mägden vergnügten, begossen die Versöhnung und gingen
selig zu Bett.

Das freundnachbarliche Anerbieten der beiden Männer nahm ich natürlich


Grenzboten IV 1895 K2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/491>, abgerufen am 21.06.2024.