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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Beleidigungsprozesse

genannte Beamtenbeleidigung geäußert hätten. Das mochte im absolutistischen
Staate eine gewisse Berechtigung haben, dessen Beamte lediglich die blinden
Vollstrecker des königlichen Willens waren. Aber nach dem konstitutionellen
Staatsrecht kaun ihnen der Monarch, außer mit Gegenzeichnung des Ministers,
überhaupt keine Weisungen erteilen; die Richter sind sogar vom Monarchen
völlig unabhängig. Die Beamten sind Gesetzen unterworfen, die nicht bloß
vom Monarchen, sondern zugleich von der Volksvertretung erlassen sind, ja
sie sind durch den obersten Vorgesetzte", den verantwortlichen Minister hin¬
durch mittelbar auch dieser Volksvertretung verantwortlich. Das Reichs¬
strafgesetzbuch hat deshalb die Bcamtenbeleidiguug als besondres Vergehen
mit gutem Grunde beseitigt, und es ist bedauerlich, daß sie der neuere Sprach¬
gebrauch wieder eingebürgert hat. Die Beamtenehre hat vor der allgemeinen
bürgerlichen Ehre nur das eine voraus, daß dem Beamten durch sein Amt
gewisse Pflichten auferlegt sind, deren Vernachlässigung, wie sie ihm disziplinare
oder strafrechtliche Ahndung einbringen würde, auch einen sittlichen Makel auf
ihn werfen kann. Der Abweg, auf den die Rechtsprechung geraten ist, ohne
daß das Reichsgericht dagegen einschreiten zu können geglaubt hat, erklärt sich
dadurch, daß man mit der Beamteneigcnschaft ohne weiteres auch die Vor¬
stellung gewisser Geistes- und Charaktervorzüge verbunden hat, die mit der
Ehre als dem Werte der sittlichen Persönlichkeit nichts gemein haben, wie
etwa Weisheit, Würde, Mut, ja sogar Takt und gute gesellschaftliche Manieren.
So ist es möglich geworden, schon aus dem Absprechen des einen oder des
andern dieser Vorzüge das Vergehen der Beamtenbeleidigung zu bilden.
Vermutlich wird das Reichsgericht demnächst Gelegenheit haben, auch diesen
Auswüchsen in einem klassischen Falle entgegenzutreten. Professor Delbrück, den
wir als wackern Mitstreiter im Kampfe für eine vernünftige Sozialpolitik
willkommen heißen, ist wegen eines im Oktoberheft der Preußischen Jahrbücher
veröffentlichten Aufsatzes der Beleidigung der preußischen Polizei angeklagt
worden, weil er die Unklugheit ihres neuesten Vorgehens gegen die Sozial¬
demokratie ganz im Sinne auch unsrer Ausführungen hierüber getadelt hat. Die
Times teilt die unter Anklage gestellten Äußerungen ihren Lesern mit, und ihr
Berichterstatter knüpft daran die Bemerkung: "Wenn diese Verfolgung aufrecht
erhalten werden und ein Richterspruch gegen Professor Delbrück ergehen sollte,
so ist die Rede- und Diskussionsfreiheit in Deutschland zu Ende. Wenn etwas
strafbares an dem Aufsatz ist, so wage ich zu behaupten, daß kaum ein einziger
Leitartikel über streitige Fragen der innern Politik in der Times gestanden
hat, der nicht auch für strafbar erklärt werden könnte, wenn in England dieselben
Gesetze bestünden und in demselben Geiste angewendet würden wie in Deutsch¬
land." Der Berichterstatter befindet sich dabei nur in einem doppelte" Irrtum.
Die Redefreiheit ist, wie er sie versteht, für die sozialdemokratische Presse schon
längst zu Ende, da sie wegen ähnlicher "Beamtenbeleidigungen" schon eine


Beleidigungsprozesse

genannte Beamtenbeleidigung geäußert hätten. Das mochte im absolutistischen
Staate eine gewisse Berechtigung haben, dessen Beamte lediglich die blinden
Vollstrecker des königlichen Willens waren. Aber nach dem konstitutionellen
Staatsrecht kaun ihnen der Monarch, außer mit Gegenzeichnung des Ministers,
überhaupt keine Weisungen erteilen; die Richter sind sogar vom Monarchen
völlig unabhängig. Die Beamten sind Gesetzen unterworfen, die nicht bloß
vom Monarchen, sondern zugleich von der Volksvertretung erlassen sind, ja
sie sind durch den obersten Vorgesetzte«, den verantwortlichen Minister hin¬
durch mittelbar auch dieser Volksvertretung verantwortlich. Das Reichs¬
strafgesetzbuch hat deshalb die Bcamtenbeleidiguug als besondres Vergehen
mit gutem Grunde beseitigt, und es ist bedauerlich, daß sie der neuere Sprach¬
gebrauch wieder eingebürgert hat. Die Beamtenehre hat vor der allgemeinen
bürgerlichen Ehre nur das eine voraus, daß dem Beamten durch sein Amt
gewisse Pflichten auferlegt sind, deren Vernachlässigung, wie sie ihm disziplinare
oder strafrechtliche Ahndung einbringen würde, auch einen sittlichen Makel auf
ihn werfen kann. Der Abweg, auf den die Rechtsprechung geraten ist, ohne
daß das Reichsgericht dagegen einschreiten zu können geglaubt hat, erklärt sich
dadurch, daß man mit der Beamteneigcnschaft ohne weiteres auch die Vor¬
stellung gewisser Geistes- und Charaktervorzüge verbunden hat, die mit der
Ehre als dem Werte der sittlichen Persönlichkeit nichts gemein haben, wie
etwa Weisheit, Würde, Mut, ja sogar Takt und gute gesellschaftliche Manieren.
So ist es möglich geworden, schon aus dem Absprechen des einen oder des
andern dieser Vorzüge das Vergehen der Beamtenbeleidigung zu bilden.
Vermutlich wird das Reichsgericht demnächst Gelegenheit haben, auch diesen
Auswüchsen in einem klassischen Falle entgegenzutreten. Professor Delbrück, den
wir als wackern Mitstreiter im Kampfe für eine vernünftige Sozialpolitik
willkommen heißen, ist wegen eines im Oktoberheft der Preußischen Jahrbücher
veröffentlichten Aufsatzes der Beleidigung der preußischen Polizei angeklagt
worden, weil er die Unklugheit ihres neuesten Vorgehens gegen die Sozial¬
demokratie ganz im Sinne auch unsrer Ausführungen hierüber getadelt hat. Die
Times teilt die unter Anklage gestellten Äußerungen ihren Lesern mit, und ihr
Berichterstatter knüpft daran die Bemerkung: „Wenn diese Verfolgung aufrecht
erhalten werden und ein Richterspruch gegen Professor Delbrück ergehen sollte,
so ist die Rede- und Diskussionsfreiheit in Deutschland zu Ende. Wenn etwas
strafbares an dem Aufsatz ist, so wage ich zu behaupten, daß kaum ein einziger
Leitartikel über streitige Fragen der innern Politik in der Times gestanden
hat, der nicht auch für strafbar erklärt werden könnte, wenn in England dieselben
Gesetze bestünden und in demselben Geiste angewendet würden wie in Deutsch¬
land." Der Berichterstatter befindet sich dabei nur in einem doppelte» Irrtum.
Die Redefreiheit ist, wie er sie versteht, für die sozialdemokratische Presse schon
längst zu Ende, da sie wegen ähnlicher „Beamtenbeleidigungen" schon eine


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[0462] Beleidigungsprozesse genannte Beamtenbeleidigung geäußert hätten. Das mochte im absolutistischen Staate eine gewisse Berechtigung haben, dessen Beamte lediglich die blinden Vollstrecker des königlichen Willens waren. Aber nach dem konstitutionellen Staatsrecht kaun ihnen der Monarch, außer mit Gegenzeichnung des Ministers, überhaupt keine Weisungen erteilen; die Richter sind sogar vom Monarchen völlig unabhängig. Die Beamten sind Gesetzen unterworfen, die nicht bloß vom Monarchen, sondern zugleich von der Volksvertretung erlassen sind, ja sie sind durch den obersten Vorgesetzte«, den verantwortlichen Minister hin¬ durch mittelbar auch dieser Volksvertretung verantwortlich. Das Reichs¬ strafgesetzbuch hat deshalb die Bcamtenbeleidiguug als besondres Vergehen mit gutem Grunde beseitigt, und es ist bedauerlich, daß sie der neuere Sprach¬ gebrauch wieder eingebürgert hat. Die Beamtenehre hat vor der allgemeinen bürgerlichen Ehre nur das eine voraus, daß dem Beamten durch sein Amt gewisse Pflichten auferlegt sind, deren Vernachlässigung, wie sie ihm disziplinare oder strafrechtliche Ahndung einbringen würde, auch einen sittlichen Makel auf ihn werfen kann. Der Abweg, auf den die Rechtsprechung geraten ist, ohne daß das Reichsgericht dagegen einschreiten zu können geglaubt hat, erklärt sich dadurch, daß man mit der Beamteneigcnschaft ohne weiteres auch die Vor¬ stellung gewisser Geistes- und Charaktervorzüge verbunden hat, die mit der Ehre als dem Werte der sittlichen Persönlichkeit nichts gemein haben, wie etwa Weisheit, Würde, Mut, ja sogar Takt und gute gesellschaftliche Manieren. So ist es möglich geworden, schon aus dem Absprechen des einen oder des andern dieser Vorzüge das Vergehen der Beamtenbeleidigung zu bilden. Vermutlich wird das Reichsgericht demnächst Gelegenheit haben, auch diesen Auswüchsen in einem klassischen Falle entgegenzutreten. Professor Delbrück, den wir als wackern Mitstreiter im Kampfe für eine vernünftige Sozialpolitik willkommen heißen, ist wegen eines im Oktoberheft der Preußischen Jahrbücher veröffentlichten Aufsatzes der Beleidigung der preußischen Polizei angeklagt worden, weil er die Unklugheit ihres neuesten Vorgehens gegen die Sozial¬ demokratie ganz im Sinne auch unsrer Ausführungen hierüber getadelt hat. Die Times teilt die unter Anklage gestellten Äußerungen ihren Lesern mit, und ihr Berichterstatter knüpft daran die Bemerkung: „Wenn diese Verfolgung aufrecht erhalten werden und ein Richterspruch gegen Professor Delbrück ergehen sollte, so ist die Rede- und Diskussionsfreiheit in Deutschland zu Ende. Wenn etwas strafbares an dem Aufsatz ist, so wage ich zu behaupten, daß kaum ein einziger Leitartikel über streitige Fragen der innern Politik in der Times gestanden hat, der nicht auch für strafbar erklärt werden könnte, wenn in England dieselben Gesetze bestünden und in demselben Geiste angewendet würden wie in Deutsch¬ land." Der Berichterstatter befindet sich dabei nur in einem doppelte» Irrtum. Die Redefreiheit ist, wie er sie versteht, für die sozialdemokratische Presse schon längst zu Ende, da sie wegen ähnlicher „Beamtenbeleidigungen" schon eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/462>, abgerufen am 04.07.2024.