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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Beiträge zu einer künftigen Anthologie

Eine größere Anzahl guter, frischer Gedichte, namentlich frischer Lieder,
in denen studentische Lust und männlicher Lebensernst zum lebendigen Aus¬
druck kommen, bietet August Sturms Deutsches Liederbuch (Leipzig,
C. Jacobsen, 1894). Studentenliederbücher und Sammlungen patriotischer
Gedichte können hier aus der Fülle schöpfen, aber wenn sichs um Gedichte
handelt, die das tiefste Innere des Dichters spiegeln und zugleich Bedeutung
für andre haben sollen, ist die Wahl nicht leicht. .Wir würden, wenn wir zu
sammeln hätten, "An die Eine," das prächtig frische Gedicht "Treu mit Vater
Arndt!" das Sonett "Vor dem Goethestandbild zu Berlin" und die ergreifende
"Mahnung in trüber Zeit" auswählen. Von den Gedichten Fritz Nohrers
Aus Hadlaubs Heim (Dresden und Leipzig, Ed. Pierson, 1895) sind
einige von schweizerischen Musikern (Attenhoser, Fr. Hegar u. a.) komponirt
worden und dadurch in weitere Kreise gedrungen. Für die Anthologie möchten
wir nur "Mondliesel" hervorheben. Der siebenbürger M. Albert, dessen
Gedichte (Hermannstadt, W. Krafft) mancherlei aus dem Leben der sieben-
bürger Sachsen spiegeln, verwahrt sich zwar in seinem Gedichte "Der Kunst¬
lichter" gegen alle Kritik, wird aber am Ende nichts dagegen einzuwenden
haben, wenn wir eins seiner Gedichte wie "Die Söhne des Jahres" und ein
paar der schlichtesten aber duftigsten Blumen aus seinem "Totenkranz" (nament¬
lich 5, 10 und 11) für unsre Blütenlese auswählen. Die Stufen von
Emanuel von Vodman (Zürich, Sterns litterarisches Bulletin der Schweiz,
1894) stehen bis auf die Märchen am Schluß durchaus im Banne Heinrich
Heines, das selbständigste in Bild und Ausdruck, "Amselschlag," ist zugleich
das beste. Die Gedichte Vom stillen Ozean von Richard Jordan (Halle,
Otto Hendel) scheinen Erinnerungs- und Sehnsuchtslaute eines ausgewanderten
Deutschen, selbst in den Gedichten, die wie "Der alte Tom" Bilder aus der
überseeischen Heimat geben, regt sich wehmütiges Verlangen nach der alten.
Zwei Gedichte wie "Ich hab aus meinen Armen dich gelassen" und "Tritt
in dem Zauber einer Mondesnacht" würden hinreichen, um zu erweisen, daß
in dem Verfasser eine poetische Seele lebt. Dürfte unsre Auswahl auch auf
epische Stücke erstreckt werden, so würde auch das Gedenkbuch eines
Schleswig-Holsteiners, Gedichte von Karl Heinrich Keck (Kiel,
H. Eckardt, 1894) aus den "Heldenliedern von den Schauenburgern" und aus
den "Idyllen vom Wattenmeer" einige Ausbeute gewähren. Die lyrischen
Teile des Bandes sind Gelegenheitsgedichte im engsten Sinne des Worts, an
denen nur die, denen sie gelten, oder die, die eine der festlichen Gelegenheiten
geteilt haben, sich wieder erfreuen werden.

Den Dichtern reihen wir noch ein paar Dichterinnen an; der Ertrag
aus ihren zierlich ausgestatteten Bändchen für unsre Anthologie ist aber gering.
Den meisten geben noch die Gedichte von Anna Klie (Leipzig, Georg
Wigand), durch die ein echt lyrischer Hauch zieht, und in denen sich Lieder in


Beiträge zu einer künftigen Anthologie

Eine größere Anzahl guter, frischer Gedichte, namentlich frischer Lieder,
in denen studentische Lust und männlicher Lebensernst zum lebendigen Aus¬
druck kommen, bietet August Sturms Deutsches Liederbuch (Leipzig,
C. Jacobsen, 1894). Studentenliederbücher und Sammlungen patriotischer
Gedichte können hier aus der Fülle schöpfen, aber wenn sichs um Gedichte
handelt, die das tiefste Innere des Dichters spiegeln und zugleich Bedeutung
für andre haben sollen, ist die Wahl nicht leicht. .Wir würden, wenn wir zu
sammeln hätten, „An die Eine," das prächtig frische Gedicht „Treu mit Vater
Arndt!" das Sonett „Vor dem Goethestandbild zu Berlin" und die ergreifende
„Mahnung in trüber Zeit" auswählen. Von den Gedichten Fritz Nohrers
Aus Hadlaubs Heim (Dresden und Leipzig, Ed. Pierson, 1895) sind
einige von schweizerischen Musikern (Attenhoser, Fr. Hegar u. a.) komponirt
worden und dadurch in weitere Kreise gedrungen. Für die Anthologie möchten
wir nur „Mondliesel" hervorheben. Der siebenbürger M. Albert, dessen
Gedichte (Hermannstadt, W. Krafft) mancherlei aus dem Leben der sieben-
bürger Sachsen spiegeln, verwahrt sich zwar in seinem Gedichte „Der Kunst¬
lichter" gegen alle Kritik, wird aber am Ende nichts dagegen einzuwenden
haben, wenn wir eins seiner Gedichte wie „Die Söhne des Jahres" und ein
paar der schlichtesten aber duftigsten Blumen aus seinem „Totenkranz" (nament¬
lich 5, 10 und 11) für unsre Blütenlese auswählen. Die Stufen von
Emanuel von Vodman (Zürich, Sterns litterarisches Bulletin der Schweiz,
1894) stehen bis auf die Märchen am Schluß durchaus im Banne Heinrich
Heines, das selbständigste in Bild und Ausdruck, „Amselschlag," ist zugleich
das beste. Die Gedichte Vom stillen Ozean von Richard Jordan (Halle,
Otto Hendel) scheinen Erinnerungs- und Sehnsuchtslaute eines ausgewanderten
Deutschen, selbst in den Gedichten, die wie „Der alte Tom" Bilder aus der
überseeischen Heimat geben, regt sich wehmütiges Verlangen nach der alten.
Zwei Gedichte wie „Ich hab aus meinen Armen dich gelassen" und „Tritt
in dem Zauber einer Mondesnacht" würden hinreichen, um zu erweisen, daß
in dem Verfasser eine poetische Seele lebt. Dürfte unsre Auswahl auch auf
epische Stücke erstreckt werden, so würde auch das Gedenkbuch eines
Schleswig-Holsteiners, Gedichte von Karl Heinrich Keck (Kiel,
H. Eckardt, 1894) aus den „Heldenliedern von den Schauenburgern" und aus
den „Idyllen vom Wattenmeer" einige Ausbeute gewähren. Die lyrischen
Teile des Bandes sind Gelegenheitsgedichte im engsten Sinne des Worts, an
denen nur die, denen sie gelten, oder die, die eine der festlichen Gelegenheiten
geteilt haben, sich wieder erfreuen werden.

Den Dichtern reihen wir noch ein paar Dichterinnen an; der Ertrag
aus ihren zierlich ausgestatteten Bändchen für unsre Anthologie ist aber gering.
Den meisten geben noch die Gedichte von Anna Klie (Leipzig, Georg
Wigand), durch die ein echt lyrischer Hauch zieht, und in denen sich Lieder in


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[0042] Beiträge zu einer künftigen Anthologie Eine größere Anzahl guter, frischer Gedichte, namentlich frischer Lieder, in denen studentische Lust und männlicher Lebensernst zum lebendigen Aus¬ druck kommen, bietet August Sturms Deutsches Liederbuch (Leipzig, C. Jacobsen, 1894). Studentenliederbücher und Sammlungen patriotischer Gedichte können hier aus der Fülle schöpfen, aber wenn sichs um Gedichte handelt, die das tiefste Innere des Dichters spiegeln und zugleich Bedeutung für andre haben sollen, ist die Wahl nicht leicht. .Wir würden, wenn wir zu sammeln hätten, „An die Eine," das prächtig frische Gedicht „Treu mit Vater Arndt!" das Sonett „Vor dem Goethestandbild zu Berlin" und die ergreifende „Mahnung in trüber Zeit" auswählen. Von den Gedichten Fritz Nohrers Aus Hadlaubs Heim (Dresden und Leipzig, Ed. Pierson, 1895) sind einige von schweizerischen Musikern (Attenhoser, Fr. Hegar u. a.) komponirt worden und dadurch in weitere Kreise gedrungen. Für die Anthologie möchten wir nur „Mondliesel" hervorheben. Der siebenbürger M. Albert, dessen Gedichte (Hermannstadt, W. Krafft) mancherlei aus dem Leben der sieben- bürger Sachsen spiegeln, verwahrt sich zwar in seinem Gedichte „Der Kunst¬ lichter" gegen alle Kritik, wird aber am Ende nichts dagegen einzuwenden haben, wenn wir eins seiner Gedichte wie „Die Söhne des Jahres" und ein paar der schlichtesten aber duftigsten Blumen aus seinem „Totenkranz" (nament¬ lich 5, 10 und 11) für unsre Blütenlese auswählen. Die Stufen von Emanuel von Vodman (Zürich, Sterns litterarisches Bulletin der Schweiz, 1894) stehen bis auf die Märchen am Schluß durchaus im Banne Heinrich Heines, das selbständigste in Bild und Ausdruck, „Amselschlag," ist zugleich das beste. Die Gedichte Vom stillen Ozean von Richard Jordan (Halle, Otto Hendel) scheinen Erinnerungs- und Sehnsuchtslaute eines ausgewanderten Deutschen, selbst in den Gedichten, die wie „Der alte Tom" Bilder aus der überseeischen Heimat geben, regt sich wehmütiges Verlangen nach der alten. Zwei Gedichte wie „Ich hab aus meinen Armen dich gelassen" und „Tritt in dem Zauber einer Mondesnacht" würden hinreichen, um zu erweisen, daß in dem Verfasser eine poetische Seele lebt. Dürfte unsre Auswahl auch auf epische Stücke erstreckt werden, so würde auch das Gedenkbuch eines Schleswig-Holsteiners, Gedichte von Karl Heinrich Keck (Kiel, H. Eckardt, 1894) aus den „Heldenliedern von den Schauenburgern" und aus den „Idyllen vom Wattenmeer" einige Ausbeute gewähren. Die lyrischen Teile des Bandes sind Gelegenheitsgedichte im engsten Sinne des Worts, an denen nur die, denen sie gelten, oder die, die eine der festlichen Gelegenheiten geteilt haben, sich wieder erfreuen werden. Den Dichtern reihen wir noch ein paar Dichterinnen an; der Ertrag aus ihren zierlich ausgestatteten Bändchen für unsre Anthologie ist aber gering. Den meisten geben noch die Gedichte von Anna Klie (Leipzig, Georg Wigand), durch die ein echt lyrischer Hauch zieht, und in denen sich Lieder in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/42>, abgerufen am 25.07.2024.