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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Dienstmädchen, und ihr Vormund schlug Lärm. Der ErzPriester behauptete,
der Kaplan wäre es gewesen. Dieser aber, ein resoluter Manu, fuhr sofort uach
Vreslau und erzählte in derbster Weise, wie es der ErzPriester treibe. Die
Aufregung über diesen Fall warf den schon sehr wackligen alten Herrn aufs
Krankenlager, und nach ein paar Wochen verschied er. Beim Begräbnis wurden
seine Verdienste und seine persönliche Heiligkeit in mehreren Leichenreden nach
Gebühr gerühmt, dann setzte man sich zu einem fröhlichen Mahle, bei dem die
liederlichen Neffen des Verstorbnen die Lustigsten waren.

Wenn Angehörige einer Partei, die in ihr Programm weder die Christ¬
lichkeit noch die Sittlichkeit aufgenommen hat, uneheliche Kinder haben, so be¬
gründet das keinen Vorwurf gegen die Partei. Denn zur Anständigkeit einer
Partei wird nicht mehr gefordert, als daß ihre Mitglieder die Gesetze der natür¬
lichen Moral beobachten, und diese verbietet es nicht, uneheliche Kinder zu
haben, vorausgesetzt, daß man sie und ihre Mütter versorgt, und daß man
um solcher Verhältnisse willen keine anderweiten Pflichten verletzt. Schlimmer
ist es schon, wenn es Angehörigen oder Beamten einer kirchlichen Partei oder
einer Partei, die sich zu christlichen Grundsätzen bekennt, begegnet. Wenigstens
für die Partei; für den Sünder nur insofern, als es ein Unglück für ihn ist,
sich auf eine Moral verpflichtet zu haben, die über seine Kräfte geht. Noch
schlimmer steht die Sache, wenn es sich nicht bloß um Schwachheiten handelt,
sondern um Dinge, die auch vom Standpunkte der natürlichen Moral Schlechtig¬
keit, wie im vorliegenden Falle, genannt werden müssen. Am allerschlimmsten
aber ist es, wenn Vorkämpfer der "heiligen Kirche" als schlechte Charaktere
entlarvt werden, am schlimmsten nicht bloß für ihre Partei, fondern auch für
sie selbst, da sie ohne Zweifel Heuchler sind; denn ein Mensch, der heidnisch
lebt, kann unmöglich an die heiligende Kraft der Religion glauben, die er
Predigt, und für die er angeblich zu sterben bereit ist, und an ihre Notwendig¬
keit zur Erlösung des Menschengeschlechts. Was solche also verteidigen, wenn
sie sür "die Kirche" oder für "die Religion" kämpfen, das sind die materiellen
Besitztümer ihrer Kaste oder ihres Standes, ihre gesellschaftliche Stellung, ihr
Einkommen, ihre Macht. Und es bezeugt den gesunden Instinkt der Hierarchen,
daß sie, nachdem sie aus Furcht vor etwaigen Gegenmaßregeln des Staates
im geheimen dem Papste opponire hatten, sich dann mit der vollendeten That¬
sache sehr rasch aussöhnten und sie ganz vorteilhaft fanden; waren einmal
Kämpfe um die Macht mit dem Staate nicht zu vermeiden, so befestigte es
die Stellung unsrer inländischen Hierarchen nicht wenig, wenn sie sich allen
""bequemen und gefährlichen Forderungen des Staates gegenüber auf das
ion xossumus eines angeblich nach göttlichem Recht absoluten Papstes berufe"
konnten. Und wenn wir nun sehen, daß es nicht eben die lautersten Charaktere
sind, die in solchen Kämpfen die Führung übernehmen, wie es much unmöglich
die lauterste" gewesen sein können, die die Kirche reich gemacht und die psendo-


Grenzboten IV 1895 49

Dienstmädchen, und ihr Vormund schlug Lärm. Der ErzPriester behauptete,
der Kaplan wäre es gewesen. Dieser aber, ein resoluter Manu, fuhr sofort uach
Vreslau und erzählte in derbster Weise, wie es der ErzPriester treibe. Die
Aufregung über diesen Fall warf den schon sehr wackligen alten Herrn aufs
Krankenlager, und nach ein paar Wochen verschied er. Beim Begräbnis wurden
seine Verdienste und seine persönliche Heiligkeit in mehreren Leichenreden nach
Gebühr gerühmt, dann setzte man sich zu einem fröhlichen Mahle, bei dem die
liederlichen Neffen des Verstorbnen die Lustigsten waren.

Wenn Angehörige einer Partei, die in ihr Programm weder die Christ¬
lichkeit noch die Sittlichkeit aufgenommen hat, uneheliche Kinder haben, so be¬
gründet das keinen Vorwurf gegen die Partei. Denn zur Anständigkeit einer
Partei wird nicht mehr gefordert, als daß ihre Mitglieder die Gesetze der natür¬
lichen Moral beobachten, und diese verbietet es nicht, uneheliche Kinder zu
haben, vorausgesetzt, daß man sie und ihre Mütter versorgt, und daß man
um solcher Verhältnisse willen keine anderweiten Pflichten verletzt. Schlimmer
ist es schon, wenn es Angehörigen oder Beamten einer kirchlichen Partei oder
einer Partei, die sich zu christlichen Grundsätzen bekennt, begegnet. Wenigstens
für die Partei; für den Sünder nur insofern, als es ein Unglück für ihn ist,
sich auf eine Moral verpflichtet zu haben, die über seine Kräfte geht. Noch
schlimmer steht die Sache, wenn es sich nicht bloß um Schwachheiten handelt,
sondern um Dinge, die auch vom Standpunkte der natürlichen Moral Schlechtig¬
keit, wie im vorliegenden Falle, genannt werden müssen. Am allerschlimmsten
aber ist es, wenn Vorkämpfer der „heiligen Kirche" als schlechte Charaktere
entlarvt werden, am schlimmsten nicht bloß für ihre Partei, fondern auch für
sie selbst, da sie ohne Zweifel Heuchler sind; denn ein Mensch, der heidnisch
lebt, kann unmöglich an die heiligende Kraft der Religion glauben, die er
Predigt, und für die er angeblich zu sterben bereit ist, und an ihre Notwendig¬
keit zur Erlösung des Menschengeschlechts. Was solche also verteidigen, wenn
sie sür „die Kirche" oder für „die Religion" kämpfen, das sind die materiellen
Besitztümer ihrer Kaste oder ihres Standes, ihre gesellschaftliche Stellung, ihr
Einkommen, ihre Macht. Und es bezeugt den gesunden Instinkt der Hierarchen,
daß sie, nachdem sie aus Furcht vor etwaigen Gegenmaßregeln des Staates
im geheimen dem Papste opponire hatten, sich dann mit der vollendeten That¬
sache sehr rasch aussöhnten und sie ganz vorteilhaft fanden; waren einmal
Kämpfe um die Macht mit dem Staate nicht zu vermeiden, so befestigte es
die Stellung unsrer inländischen Hierarchen nicht wenig, wenn sie sich allen
»»bequemen und gefährlichen Forderungen des Staates gegenüber auf das
ion xossumus eines angeblich nach göttlichem Recht absoluten Papstes berufe»
konnten. Und wenn wir nun sehen, daß es nicht eben die lautersten Charaktere
sind, die in solchen Kämpfen die Führung übernehmen, wie es much unmöglich
die lauterste» gewesen sein können, die die Kirche reich gemacht und die psendo-


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[0387] Dienstmädchen, und ihr Vormund schlug Lärm. Der ErzPriester behauptete, der Kaplan wäre es gewesen. Dieser aber, ein resoluter Manu, fuhr sofort uach Vreslau und erzählte in derbster Weise, wie es der ErzPriester treibe. Die Aufregung über diesen Fall warf den schon sehr wackligen alten Herrn aufs Krankenlager, und nach ein paar Wochen verschied er. Beim Begräbnis wurden seine Verdienste und seine persönliche Heiligkeit in mehreren Leichenreden nach Gebühr gerühmt, dann setzte man sich zu einem fröhlichen Mahle, bei dem die liederlichen Neffen des Verstorbnen die Lustigsten waren. Wenn Angehörige einer Partei, die in ihr Programm weder die Christ¬ lichkeit noch die Sittlichkeit aufgenommen hat, uneheliche Kinder haben, so be¬ gründet das keinen Vorwurf gegen die Partei. Denn zur Anständigkeit einer Partei wird nicht mehr gefordert, als daß ihre Mitglieder die Gesetze der natür¬ lichen Moral beobachten, und diese verbietet es nicht, uneheliche Kinder zu haben, vorausgesetzt, daß man sie und ihre Mütter versorgt, und daß man um solcher Verhältnisse willen keine anderweiten Pflichten verletzt. Schlimmer ist es schon, wenn es Angehörigen oder Beamten einer kirchlichen Partei oder einer Partei, die sich zu christlichen Grundsätzen bekennt, begegnet. Wenigstens für die Partei; für den Sünder nur insofern, als es ein Unglück für ihn ist, sich auf eine Moral verpflichtet zu haben, die über seine Kräfte geht. Noch schlimmer steht die Sache, wenn es sich nicht bloß um Schwachheiten handelt, sondern um Dinge, die auch vom Standpunkte der natürlichen Moral Schlechtig¬ keit, wie im vorliegenden Falle, genannt werden müssen. Am allerschlimmsten aber ist es, wenn Vorkämpfer der „heiligen Kirche" als schlechte Charaktere entlarvt werden, am schlimmsten nicht bloß für ihre Partei, fondern auch für sie selbst, da sie ohne Zweifel Heuchler sind; denn ein Mensch, der heidnisch lebt, kann unmöglich an die heiligende Kraft der Religion glauben, die er Predigt, und für die er angeblich zu sterben bereit ist, und an ihre Notwendig¬ keit zur Erlösung des Menschengeschlechts. Was solche also verteidigen, wenn sie sür „die Kirche" oder für „die Religion" kämpfen, das sind die materiellen Besitztümer ihrer Kaste oder ihres Standes, ihre gesellschaftliche Stellung, ihr Einkommen, ihre Macht. Und es bezeugt den gesunden Instinkt der Hierarchen, daß sie, nachdem sie aus Furcht vor etwaigen Gegenmaßregeln des Staates im geheimen dem Papste opponire hatten, sich dann mit der vollendeten That¬ sache sehr rasch aussöhnten und sie ganz vorteilhaft fanden; waren einmal Kämpfe um die Macht mit dem Staate nicht zu vermeiden, so befestigte es die Stellung unsrer inländischen Hierarchen nicht wenig, wenn sie sich allen »»bequemen und gefährlichen Forderungen des Staates gegenüber auf das ion xossumus eines angeblich nach göttlichem Recht absoluten Papstes berufe» konnten. Und wenn wir nun sehen, daß es nicht eben die lautersten Charaktere sind, die in solchen Kämpfen die Führung übernehmen, wie es much unmöglich die lauterste» gewesen sein können, die die Kirche reich gemacht und die psendo- Grenzboten IV 1895 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/387>, abgerufen am 04.07.2024.