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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

ich nach Empfang des Dekrets im Einvernehmen mit dem derzeitigen Kuratus
um die Anberaumung des Übergabetermins gebeten hatte, war mir persönlich
bekannt. Er war ein Mann voll Geist und Leben, sehr gescheit, sarkastisch
und spottsüchtig, tüchtig im Amt und ein Mann der Gesellschaft; der höchsten
Gesellschaft des Kreises gehörte er dnrch seine Stellung an, da ihm seine große
Widmut damals -- vor Einführung der neuen Kreisordnung -- Sitz und
Stimme auf dem Kreistage verlieh. Dieser Mann also antwortete auf mein
Gesuch, er wolle gleich bei der Übergabe die Installation vornehmen. (Diese
erfolgt manchmal erst lange Zeit nach der Übergabe; bis dahin ist der Pfarrer
nur Administrator, aber ohne die Verpflichtung, über die Einkünfte der Pfarrei
Rechnung abzulegen.) Daher, schrieb er weiter, "bitte ich umgehend um
brüderliche, aufrichtige Benachrichtigung, ob Sie die Tridentinische Konfession,
worin auch das Jnfallibilitätsdogma schon eingeschlossen ist, ablegen werden.
Lieber Herr Konfrater! Sie wissen, wie hoch ich Sie achte und verehre. Nun,
es wird mir eine wahrhaft innige Freude und ein Trost für meine alten Tage
sein, sowohl der glaubensfrommen Gemeinde als auch den Brüdern, Ihren
Hochwürdigen Konzirknlaren, Sie als einen wahrhaften Priester der Kirche
vorzustellen, der mit uns allen denselben heiligen Glauben fest und treu
bekennt." Auf meine Antwort kam folgender, von einem Sekretär geschriebn"
Bescheid: "Euer Hochwürden Antwort entspricht nicht meiner mit brüder¬
licher Aufrichtigkeit gestellten Frage. Damit alle Unklarheit, beseitigt und aus¬
geschlossen werde, frage ich nochmals: unterwerfen Sie sich aufrichtig dem
Glauben an die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes, wie selbige im letzten
Vatikanischen Konzil bestimmt und deklarirt worden ist? Indem ich bemerke,
daß eine ausweichende oder ungenügende Antwort die Einholung Hochamtlichcr
Spezialinstrnktivn notwendig macht, bitte ich usw." Ich schrieb zurück: "Die
Antwort aus Euer Hochwürden amtliches Schreiben vom 1. Juni bin ich ge¬
nötigt in Form und Ton eines Privatbriefs abzufassen. Sie gilt nicht dem
ErzPriester, sondern dem seit langem hochverehrten Manne und nunmehrigen
Konzirkularen, mit dem in ungestörter Eintracht und freundschaftlichem Verkehr
zu leben und zu wirken ich von Herzen wünsche, dem ich daher, soweit es
möglich ist, stets zu Willen sein werde. Als solchem kann ich Euer Hoch¬
würden im Vertrauen mitteilen, daß das Hondo. Geistliche Amt die Über¬
sendung meines Dekrets von der Abgabe einer Erklärung bezüglich der Vati¬
kanischen Dekrete abhängig gemacht hat, und daß ich die gestellte Bedingung
erfüllt habe. Daß meine Erklärung genügt hat, und daß meine Qualifikation
für die Kuratie Harpersdorf weder von der geistlichen noch von der weltlichen
Behörde beanstandet wird, geht aus der Übersendung des Administrations¬
dekrets an mich und aus dem Auftrage der Übergabe, der dem zuständigen
Herrn ErzPriester geworden ist, unzweifelhaft hervor. -- Die amtliche Antwort
an den ErzPriester übersende ich nicht, sondern lege sie in mein Pult und


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

ich nach Empfang des Dekrets im Einvernehmen mit dem derzeitigen Kuratus
um die Anberaumung des Übergabetermins gebeten hatte, war mir persönlich
bekannt. Er war ein Mann voll Geist und Leben, sehr gescheit, sarkastisch
und spottsüchtig, tüchtig im Amt und ein Mann der Gesellschaft; der höchsten
Gesellschaft des Kreises gehörte er dnrch seine Stellung an, da ihm seine große
Widmut damals — vor Einführung der neuen Kreisordnung — Sitz und
Stimme auf dem Kreistage verlieh. Dieser Mann also antwortete auf mein
Gesuch, er wolle gleich bei der Übergabe die Installation vornehmen. (Diese
erfolgt manchmal erst lange Zeit nach der Übergabe; bis dahin ist der Pfarrer
nur Administrator, aber ohne die Verpflichtung, über die Einkünfte der Pfarrei
Rechnung abzulegen.) Daher, schrieb er weiter, „bitte ich umgehend um
brüderliche, aufrichtige Benachrichtigung, ob Sie die Tridentinische Konfession,
worin auch das Jnfallibilitätsdogma schon eingeschlossen ist, ablegen werden.
Lieber Herr Konfrater! Sie wissen, wie hoch ich Sie achte und verehre. Nun,
es wird mir eine wahrhaft innige Freude und ein Trost für meine alten Tage
sein, sowohl der glaubensfrommen Gemeinde als auch den Brüdern, Ihren
Hochwürdigen Konzirknlaren, Sie als einen wahrhaften Priester der Kirche
vorzustellen, der mit uns allen denselben heiligen Glauben fest und treu
bekennt." Auf meine Antwort kam folgender, von einem Sekretär geschriebn«
Bescheid: „Euer Hochwürden Antwort entspricht nicht meiner mit brüder¬
licher Aufrichtigkeit gestellten Frage. Damit alle Unklarheit, beseitigt und aus¬
geschlossen werde, frage ich nochmals: unterwerfen Sie sich aufrichtig dem
Glauben an die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes, wie selbige im letzten
Vatikanischen Konzil bestimmt und deklarirt worden ist? Indem ich bemerke,
daß eine ausweichende oder ungenügende Antwort die Einholung Hochamtlichcr
Spezialinstrnktivn notwendig macht, bitte ich usw." Ich schrieb zurück: „Die
Antwort aus Euer Hochwürden amtliches Schreiben vom 1. Juni bin ich ge¬
nötigt in Form und Ton eines Privatbriefs abzufassen. Sie gilt nicht dem
ErzPriester, sondern dem seit langem hochverehrten Manne und nunmehrigen
Konzirkularen, mit dem in ungestörter Eintracht und freundschaftlichem Verkehr
zu leben und zu wirken ich von Herzen wünsche, dem ich daher, soweit es
möglich ist, stets zu Willen sein werde. Als solchem kann ich Euer Hoch¬
würden im Vertrauen mitteilen, daß das Hondo. Geistliche Amt die Über¬
sendung meines Dekrets von der Abgabe einer Erklärung bezüglich der Vati¬
kanischen Dekrete abhängig gemacht hat, und daß ich die gestellte Bedingung
erfüllt habe. Daß meine Erklärung genügt hat, und daß meine Qualifikation
für die Kuratie Harpersdorf weder von der geistlichen noch von der weltlichen
Behörde beanstandet wird, geht aus der Übersendung des Administrations¬
dekrets an mich und aus dem Auftrage der Übergabe, der dem zuständigen
Herrn ErzPriester geworden ist, unzweifelhaft hervor. — Die amtliche Antwort
an den ErzPriester übersende ich nicht, sondern lege sie in mein Pult und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/385>, abgerufen am 04.07.2024.