Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Vie reine Interessenvertretung böses Wort --: auf dem Wege der reinen Interessenvertretung. Das Wort . Wem aber dieser Trost nicht gegeben ist, der darf sich ja auch weiter die Grenzboten IV 1895 40
Vie reine Interessenvertretung böses Wort —: auf dem Wege der reinen Interessenvertretung. Das Wort . Wem aber dieser Trost nicht gegeben ist, der darf sich ja auch weiter die Grenzboten IV 1895 40
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221289"/> <fw type="header" place="top"> Vie reine Interessenvertretung</fw><lb/> <p xml:id="ID_989" prev="#ID_988"> böses Wort —: auf dem Wege der reinen Interessenvertretung. Das Wort<lb/> hat einen ungemütlichen Klang, besonders für Leute, die aus gesichertem Besitz<lb/> ansehnliche Prozente ziehen; denn es eröffnet einen trüben Ausblick auf schwere<lb/> Kämpfe. Aber eine Krisis überwindet man eben nicht ohne Kämpfe, und das<lb/> ist auch weiter gar uicht ungesund, man muß nur nicht darin stecken bleiben.<lb/> Was ist auch schließlich eine Partei anders, als eine Gemeinschaft von Staats¬<lb/> bürgern, die in den und den politischen Fragen annähernd dieselben Interessen<lb/> verfolgen? Nur haben sich die Verhältnisse mit der Zeit so verschoben, daß<lb/> sich die Interessen der parlamentarischen Parteien nicht mehr decken mit den<lb/> Interessen der Teile unsrer Bevölkerung, die sie angeblich vertreten. Wie<lb/> anders nun will man die selbstsüchtige Jnteresfenwirtschaft der parlamentarischen<lb/> Parteien überwinden, als indem man ihnen die wahren Interessen entgegensetzt,<lb/> die ganze Volkskreise mit einander gemeinsam haben? In der That, dies<lb/> dürfte der einzige Weg sein, um die Parteien von dem Abhängigkeitsverhältnis<lb/> zur Negierung zu lösen. Denn gesetzt, der deutsche Reichstag stellte die rein<lb/> Wirtschaftliche Interessenvertretung unsers Volkes dar, und die Regierung be¬<lb/> günstigte eine ganze Weile lang einseitig die Interessenten des Großgrund¬<lb/> besitzes, so käme doch einmal eine Gelegenheit, wo die Negierung die Hilfe<lb/> der Industrie nicht entbehren könnte. Natürlich würde sich ihre Jnteressenten-<lb/> gruppe Gegenleistungen ausbitten und sich an den Agrariern schadlos halten.<lb/> Das Spiel der wechselnden Begünstigung könnte sich nicht allzuoft wieder¬<lb/> holen, bis die verschiednen Interessengruppen zu der Einsicht kämen, daß es<lb/> eine Lebensfrage für unser Volk sei, sich mit vereinten Kräften diese charakter¬<lb/> lose Regierung vom Halse zu schaffen. Mit der reinen Interessenvertretung<lb/> könnte also auf die Dauer uur eine solche Regierung auskommen, die thatsächlich<lb/> über den Parteien stünde, und so würde die harte Schule eines Jnteressenkampfes<lb/> der Regierung wie den Parteien den Blick wieder schärfen für das Gemein¬<lb/> wohl des gesamten deutschen Volkes. Wohl dem, der diese segensreiche Wirkung<lb/> noch von etwas anderen erwarten kann, als vom Realismus der Thatsachen.</p><lb/> <p xml:id="ID_990" next="#ID_991"> . Wem aber dieser Trost nicht gegeben ist, der darf sich ja auch weiter die<lb/> Frage vorlegen, wie die reine Interessenvertretung unsers Volkes wohl aus¬<lb/> sehen möchte. Jedenfalls würden sich, nach den vorliegenden Erfahrungen zu<lb/> urteilen, Industrie und Landwirtschaft darin gegenüberstehen. Die Industrie<lb/> würde sich aber zweifellos in Grvßkciufleute und Fabrikarbeiter spalten, die<lb/> Landwirtschaft wohl in ähnlicher Weise in Großgrundbesitzer und Tagelöhner.<lb/> Zwischen den beiden industriellen Gruppen bildete sich vielleicht als Zwischen¬<lb/> glied eine Vertretung des Handwerkerstandes, während zwischen den beiden<lb/> landwirtschaftlichen eine Gruppe der Kleinbauern Platz hätte. Und zwischen Ka¬<lb/> pitalisten undBesitzlosen, zwischen Industrie und Landwirtschaft könnte sich<lb/> alles das zusammenfinden, was weder vom Ertrage fremder Arbeit lebt, noch<lb/> wie eigner Hand Werte schafft, was nicht heimatlos ist wie die Industrie und</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1895 40</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0315]
Vie reine Interessenvertretung
böses Wort —: auf dem Wege der reinen Interessenvertretung. Das Wort
hat einen ungemütlichen Klang, besonders für Leute, die aus gesichertem Besitz
ansehnliche Prozente ziehen; denn es eröffnet einen trüben Ausblick auf schwere
Kämpfe. Aber eine Krisis überwindet man eben nicht ohne Kämpfe, und das
ist auch weiter gar uicht ungesund, man muß nur nicht darin stecken bleiben.
Was ist auch schließlich eine Partei anders, als eine Gemeinschaft von Staats¬
bürgern, die in den und den politischen Fragen annähernd dieselben Interessen
verfolgen? Nur haben sich die Verhältnisse mit der Zeit so verschoben, daß
sich die Interessen der parlamentarischen Parteien nicht mehr decken mit den
Interessen der Teile unsrer Bevölkerung, die sie angeblich vertreten. Wie
anders nun will man die selbstsüchtige Jnteresfenwirtschaft der parlamentarischen
Parteien überwinden, als indem man ihnen die wahren Interessen entgegensetzt,
die ganze Volkskreise mit einander gemeinsam haben? In der That, dies
dürfte der einzige Weg sein, um die Parteien von dem Abhängigkeitsverhältnis
zur Negierung zu lösen. Denn gesetzt, der deutsche Reichstag stellte die rein
Wirtschaftliche Interessenvertretung unsers Volkes dar, und die Regierung be¬
günstigte eine ganze Weile lang einseitig die Interessenten des Großgrund¬
besitzes, so käme doch einmal eine Gelegenheit, wo die Negierung die Hilfe
der Industrie nicht entbehren könnte. Natürlich würde sich ihre Jnteressenten-
gruppe Gegenleistungen ausbitten und sich an den Agrariern schadlos halten.
Das Spiel der wechselnden Begünstigung könnte sich nicht allzuoft wieder¬
holen, bis die verschiednen Interessengruppen zu der Einsicht kämen, daß es
eine Lebensfrage für unser Volk sei, sich mit vereinten Kräften diese charakter¬
lose Regierung vom Halse zu schaffen. Mit der reinen Interessenvertretung
könnte also auf die Dauer uur eine solche Regierung auskommen, die thatsächlich
über den Parteien stünde, und so würde die harte Schule eines Jnteressenkampfes
der Regierung wie den Parteien den Blick wieder schärfen für das Gemein¬
wohl des gesamten deutschen Volkes. Wohl dem, der diese segensreiche Wirkung
noch von etwas anderen erwarten kann, als vom Realismus der Thatsachen.
. Wem aber dieser Trost nicht gegeben ist, der darf sich ja auch weiter die
Frage vorlegen, wie die reine Interessenvertretung unsers Volkes wohl aus¬
sehen möchte. Jedenfalls würden sich, nach den vorliegenden Erfahrungen zu
urteilen, Industrie und Landwirtschaft darin gegenüberstehen. Die Industrie
würde sich aber zweifellos in Grvßkciufleute und Fabrikarbeiter spalten, die
Landwirtschaft wohl in ähnlicher Weise in Großgrundbesitzer und Tagelöhner.
Zwischen den beiden industriellen Gruppen bildete sich vielleicht als Zwischen¬
glied eine Vertretung des Handwerkerstandes, während zwischen den beiden
landwirtschaftlichen eine Gruppe der Kleinbauern Platz hätte. Und zwischen Ka¬
pitalisten undBesitzlosen, zwischen Industrie und Landwirtschaft könnte sich
alles das zusammenfinden, was weder vom Ertrage fremder Arbeit lebt, noch
wie eigner Hand Werte schafft, was nicht heimatlos ist wie die Industrie und
Grenzboten IV 1895 40
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