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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Heimat und Volkstum
(Schluß)

le bildende Kunst und das Volk haben noch immer kein rechtes
Verhältnis in Deutschland, soviel Mühe man sich auch gegeben
hat, es herzustellen. Es war ja einmal so etwas da, bis zum
dreißigjährigen Kriege, aber dann ist es abgebrochen, und die
bildende Kunst ist im ganzen viel weniger glücklich gewesen, es
neu zu schaffen, als die Dichtung, der es doch auch nur zum Teil gelungen ist.
Kein Kunstzweig, der so recht aus den, Volk erwüchse, keiner, der unmittelbar
zum Herzen des Volkes spräche. Mau giebt sich da manchmal allerlei Selbst¬
täuschungen hin, aber wenn man recht zusieht, wird man unzweifelhaft finden,
daß alle Kunst, selbst die "öffentlichste," die Baukunst, bis zum heutige" Tage
im Grunde doch nur für die Gebildeten da ist, und auch noch lange nicht für
alle Gebildeten. Man betrachte sich nur recht fleißig den Zimmerschmuck in
Deutschland, bei arm und reich, hoch und niedrig, und man wird sehr bald
wissen, wie es mit dem Kunstverstäuduis und dem Geschmack bei uns steht,
trotz aller angewandten Mühe. Aber bei der bildenden Kunst wie bei der
Dichtung sind für die breitern Kreise wohl allerzeit und allerorten die be¬
handelten Stoffe das Anziehende gewesen, und so gilt es auch bei uns, wieder
an die stofflichen Interessen des Volkes anzuknüpfen, an die heimatlichen in
erster Reihe. Noch sind die Historienbilder ans der Stammes- und Lokal¬
geschichte verhältnismäßig selten und vielfach nicht volkstümlich empfunden,
die Landschaften zu sehr von subjektiver Empfindung getragen, die Genrebilder
zwar häufig, aber zu oft gemacht und geziert -- dafür hat man im Volke
sehr wohl Empfindung -- und zu engen Gebieten deutschen Volkstums ent¬
nommen. Eine große Schwierigkeit liegt auch in der Art der Vervielfältigung.
Gute Stahlstiche und Photographien nach Gemälden wird man kaum unter
dem Volke verbreiten; denn abgesehen davon, daß sie zu teuer sind: das Volk
will bunte Bilder. Hoffentlich gelingt es einmal, das eine oder das andre
neue Verfahren künstlerischer farbiger Reproduktion so zu verbilligen, daß auch
das Volk an gute bunte Bilder gelangen kann. Wenn dann noch die öffent¬
liche Kunst in die zahlreichen Gegenden unsers Vaterlandes einzöge, wo man
noch nichts von ihr weiß, wenn man z. B. öfter den Gedanken hätte, statt




Heimat und Volkstum
(Schluß)

le bildende Kunst und das Volk haben noch immer kein rechtes
Verhältnis in Deutschland, soviel Mühe man sich auch gegeben
hat, es herzustellen. Es war ja einmal so etwas da, bis zum
dreißigjährigen Kriege, aber dann ist es abgebrochen, und die
bildende Kunst ist im ganzen viel weniger glücklich gewesen, es
neu zu schaffen, als die Dichtung, der es doch auch nur zum Teil gelungen ist.
Kein Kunstzweig, der so recht aus den, Volk erwüchse, keiner, der unmittelbar
zum Herzen des Volkes spräche. Mau giebt sich da manchmal allerlei Selbst¬
täuschungen hin, aber wenn man recht zusieht, wird man unzweifelhaft finden,
daß alle Kunst, selbst die „öffentlichste," die Baukunst, bis zum heutige» Tage
im Grunde doch nur für die Gebildeten da ist, und auch noch lange nicht für
alle Gebildeten. Man betrachte sich nur recht fleißig den Zimmerschmuck in
Deutschland, bei arm und reich, hoch und niedrig, und man wird sehr bald
wissen, wie es mit dem Kunstverstäuduis und dem Geschmack bei uns steht,
trotz aller angewandten Mühe. Aber bei der bildenden Kunst wie bei der
Dichtung sind für die breitern Kreise wohl allerzeit und allerorten die be¬
handelten Stoffe das Anziehende gewesen, und so gilt es auch bei uns, wieder
an die stofflichen Interessen des Volkes anzuknüpfen, an die heimatlichen in
erster Reihe. Noch sind die Historienbilder ans der Stammes- und Lokal¬
geschichte verhältnismäßig selten und vielfach nicht volkstümlich empfunden,
die Landschaften zu sehr von subjektiver Empfindung getragen, die Genrebilder
zwar häufig, aber zu oft gemacht und geziert — dafür hat man im Volke
sehr wohl Empfindung — und zu engen Gebieten deutschen Volkstums ent¬
nommen. Eine große Schwierigkeit liegt auch in der Art der Vervielfältigung.
Gute Stahlstiche und Photographien nach Gemälden wird man kaum unter
dem Volke verbreiten; denn abgesehen davon, daß sie zu teuer sind: das Volk
will bunte Bilder. Hoffentlich gelingt es einmal, das eine oder das andre
neue Verfahren künstlerischer farbiger Reproduktion so zu verbilligen, daß auch
das Volk an gute bunte Bilder gelangen kann. Wenn dann noch die öffent¬
liche Kunst in die zahlreichen Gegenden unsers Vaterlandes einzöge, wo man
noch nichts von ihr weiß, wenn man z. B. öfter den Gedanken hätte, statt


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[0282] [Abbildung] Heimat und Volkstum (Schluß) le bildende Kunst und das Volk haben noch immer kein rechtes Verhältnis in Deutschland, soviel Mühe man sich auch gegeben hat, es herzustellen. Es war ja einmal so etwas da, bis zum dreißigjährigen Kriege, aber dann ist es abgebrochen, und die bildende Kunst ist im ganzen viel weniger glücklich gewesen, es neu zu schaffen, als die Dichtung, der es doch auch nur zum Teil gelungen ist. Kein Kunstzweig, der so recht aus den, Volk erwüchse, keiner, der unmittelbar zum Herzen des Volkes spräche. Mau giebt sich da manchmal allerlei Selbst¬ täuschungen hin, aber wenn man recht zusieht, wird man unzweifelhaft finden, daß alle Kunst, selbst die „öffentlichste," die Baukunst, bis zum heutige» Tage im Grunde doch nur für die Gebildeten da ist, und auch noch lange nicht für alle Gebildeten. Man betrachte sich nur recht fleißig den Zimmerschmuck in Deutschland, bei arm und reich, hoch und niedrig, und man wird sehr bald wissen, wie es mit dem Kunstverstäuduis und dem Geschmack bei uns steht, trotz aller angewandten Mühe. Aber bei der bildenden Kunst wie bei der Dichtung sind für die breitern Kreise wohl allerzeit und allerorten die be¬ handelten Stoffe das Anziehende gewesen, und so gilt es auch bei uns, wieder an die stofflichen Interessen des Volkes anzuknüpfen, an die heimatlichen in erster Reihe. Noch sind die Historienbilder ans der Stammes- und Lokal¬ geschichte verhältnismäßig selten und vielfach nicht volkstümlich empfunden, die Landschaften zu sehr von subjektiver Empfindung getragen, die Genrebilder zwar häufig, aber zu oft gemacht und geziert — dafür hat man im Volke sehr wohl Empfindung — und zu engen Gebieten deutschen Volkstums ent¬ nommen. Eine große Schwierigkeit liegt auch in der Art der Vervielfältigung. Gute Stahlstiche und Photographien nach Gemälden wird man kaum unter dem Volke verbreiten; denn abgesehen davon, daß sie zu teuer sind: das Volk will bunte Bilder. Hoffentlich gelingt es einmal, das eine oder das andre neue Verfahren künstlerischer farbiger Reproduktion so zu verbilligen, daß auch das Volk an gute bunte Bilder gelangen kann. Wenn dann noch die öffent¬ liche Kunst in die zahlreichen Gegenden unsers Vaterlandes einzöge, wo man noch nichts von ihr weiß, wenn man z. B. öfter den Gedanken hätte, statt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/282>, abgerufen am 04.07.2024.