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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

langen zu verwechseln, es solle ein Gesetzbuch so abgefaßt werden, daß nun
auch jeder darnach stets selber seine Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden vermöge.
Das wäre freilich eine unmögliche Forderung. Mancher "Unbegrifflichkeit"
einzelner Laien in Rechtssachen kann natürlich auch nicht das einfachste, klarste
Gesetzbuch beikommen. Daraus folgt aber noch nicht, daß nun schlechthin auf
jede Gemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit verzichtet werden müsse. Daß
es eine ungeheuer große Anzahl wichtiger Rechtsvorschriften giebt, die recht
wohl so klar und einfach ausgedrückt werden können, daß sie auch den meisten
Laien verständlich sind, und daß es für die Laien vielfach außerordentlich
wertvoll ist, sich unmittelbar aus dem Gesetze Rats erholen zu können, das
sollte doch nicht in Abrede gestellt werden.

Erkennt man dies aber als richtig an, so wird man auch die Sprache
des Gesetzes diesem Bedürfnis der Gemeinverständlichkeit anzupassen haben.
Und diese wird man am besten treffen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß
das Gesetzbuch befehlen, nicht gelehrte Darlegungen geben will. Die Befehls¬
form führt ganz von selbst zur angemessenen Kürze des Ausdrucks und läßt
lauge Sätze, Künstlichkeit der Perioden und Schachteluugen nicht aufkommen.
Wir haben aber überdies uoch herrliche Vorbilder für eine gute deutsche Ge¬
setzessprache. Das sind unsre Nechtssprüchwörter. Selbstverständlich kann ein
modernes Gesetzbuch, das die verwickeltsten Lebensverhültnisse zu regeln be¬
stimmt ist, nicht lediglich mit diesen knappen Rechtssätzen auskommen. Aber
vorbildlich für die Kürze, Lebendigkeit, Anschaulichkeit des Ausdrucks können
sie immerhin sein, und namentlich zur Ausprägung leitender Grundsätze eigne"
sie sich vorzüglich. Wird z. B. der Wille des Gesetzgebers nicht klarer, wenn
er an die Spitze seiner Vorschriften den Satz stellt: "Kauf bricht Miete" oder
"Kein Kauf bricht Miete" -- als wenn er etwa sagt: "Wird das vermietete
Grundstück nach Überlassung an den Mieter von dem Vermieter an einen
Dritten veräußert, so tritt der ErWerber an Stelle des Vermieters in die
während der Dauer seines Eigentums sich aus dem Mietverhültuis ergebenden
Rechte und Verpflichtungen ein"? Will der Gesetzgeber zum Volke sprechen,
so muß er auch dafür sorgen, daß seine Rechtsregeln möglichst leicht faßbar
und merkbar sind. Der (üoäs civil zeigt, daß auch das bei einem modernen
Gesetzbuche recht wohl bis zu einem gewissen Grade zu erreichen ist. So
mangelhaft der pot" oft nach seinem Inhalte ist, so hervorragend ist er durch
seiue klare, einfache Sprache, durch seine kurzen, sprichwvrtartigen Rechtsregeln.
Man erinnere sich nur des bekannten: I^g. rsonsrollö as ig. Mernitö ost intoräitk.
Warum soll sich nicht die gleiche knappe Ausdrucksweise auch bei einem
deutschen bürgerlichen Gesetzbuche erreichen lassen? Der Wert aber, den für
das Rechtsleben des Volkes solche kurze, leicht merkbare Rechtsregeln haben,
darf gewiß nicht unterschätzt werden. Sie vermögen den gemeinen Mann vor
manchem Schaden zu bewahren, den ihm in Nechtsunkenntnis begangne Hand-


Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

langen zu verwechseln, es solle ein Gesetzbuch so abgefaßt werden, daß nun
auch jeder darnach stets selber seine Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden vermöge.
Das wäre freilich eine unmögliche Forderung. Mancher „Unbegrifflichkeit"
einzelner Laien in Rechtssachen kann natürlich auch nicht das einfachste, klarste
Gesetzbuch beikommen. Daraus folgt aber noch nicht, daß nun schlechthin auf
jede Gemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit verzichtet werden müsse. Daß
es eine ungeheuer große Anzahl wichtiger Rechtsvorschriften giebt, die recht
wohl so klar und einfach ausgedrückt werden können, daß sie auch den meisten
Laien verständlich sind, und daß es für die Laien vielfach außerordentlich
wertvoll ist, sich unmittelbar aus dem Gesetze Rats erholen zu können, das
sollte doch nicht in Abrede gestellt werden.

Erkennt man dies aber als richtig an, so wird man auch die Sprache
des Gesetzes diesem Bedürfnis der Gemeinverständlichkeit anzupassen haben.
Und diese wird man am besten treffen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß
das Gesetzbuch befehlen, nicht gelehrte Darlegungen geben will. Die Befehls¬
form führt ganz von selbst zur angemessenen Kürze des Ausdrucks und läßt
lauge Sätze, Künstlichkeit der Perioden und Schachteluugen nicht aufkommen.
Wir haben aber überdies uoch herrliche Vorbilder für eine gute deutsche Ge¬
setzessprache. Das sind unsre Nechtssprüchwörter. Selbstverständlich kann ein
modernes Gesetzbuch, das die verwickeltsten Lebensverhültnisse zu regeln be¬
stimmt ist, nicht lediglich mit diesen knappen Rechtssätzen auskommen. Aber
vorbildlich für die Kürze, Lebendigkeit, Anschaulichkeit des Ausdrucks können
sie immerhin sein, und namentlich zur Ausprägung leitender Grundsätze eigne»
sie sich vorzüglich. Wird z. B. der Wille des Gesetzgebers nicht klarer, wenn
er an die Spitze seiner Vorschriften den Satz stellt: „Kauf bricht Miete" oder
„Kein Kauf bricht Miete" — als wenn er etwa sagt: „Wird das vermietete
Grundstück nach Überlassung an den Mieter von dem Vermieter an einen
Dritten veräußert, so tritt der ErWerber an Stelle des Vermieters in die
während der Dauer seines Eigentums sich aus dem Mietverhültuis ergebenden
Rechte und Verpflichtungen ein"? Will der Gesetzgeber zum Volke sprechen,
so muß er auch dafür sorgen, daß seine Rechtsregeln möglichst leicht faßbar
und merkbar sind. Der (üoäs civil zeigt, daß auch das bei einem modernen
Gesetzbuche recht wohl bis zu einem gewissen Grade zu erreichen ist. So
mangelhaft der pot« oft nach seinem Inhalte ist, so hervorragend ist er durch
seiue klare, einfache Sprache, durch seine kurzen, sprichwvrtartigen Rechtsregeln.
Man erinnere sich nur des bekannten: I^g. rsonsrollö as ig. Mernitö ost intoräitk.
Warum soll sich nicht die gleiche knappe Ausdrucksweise auch bei einem
deutschen bürgerlichen Gesetzbuche erreichen lassen? Der Wert aber, den für
das Rechtsleben des Volkes solche kurze, leicht merkbare Rechtsregeln haben,
darf gewiß nicht unterschätzt werden. Sie vermögen den gemeinen Mann vor
manchem Schaden zu bewahren, den ihm in Nechtsunkenntnis begangne Hand-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/280>, abgerufen am 23.06.2024.