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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

schon dafür, daß es keine Sklavennatur wurde. Wer in Athen einen freien
Knaben schlug, konnte auf Todesstrafe angeklagt werden, ein Beweis, wie eifer¬
süchtig man schon im Kinde die künftige Mannesehre wahrte. Ja etwas hei¬
liges sah man im Kinde: der Schwur beim Haupt eines Jünglings galt als
hoher, heiliger Schwur, und der Erzieher mußte dem Genius der zu erziehenden
Jugend vor dem Altar der vaterländischen Götter opfern als ^o^o"/^/"?
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Juno gram ig.s8<zrit, UÄdst ^filium irawni Mneris uunuM se nurninÄ äivona.
Das Juvenalische: Ehrfurcht dem Knaben!, das so schön an das biblische:
"Gebt acht, daß ihr nicht eins dieser Kleinen, die an mich glauben, ärgert."
erinnert, ist bei den Alten stets beachtet worden. Wie Hütten anch sonst die
eisernen Naturen des freien Griechen- und Römertums entstehen können! Ganz
ebenso im Mittelalter. Daß der edle Nitterstolz, der freie Bürgersinn das
Ziel der Knabenerziehung war, beweist die große Anzahl charaktervoller Männer
in dieser Zeit, wie der bedenkliche Mangel an solchen heutzutage zeigt,
daß wir diese Bahn und dieses Ziel verlassen haben. Kein Zweifel, daß das
Übermaß von Drill und Dressur bei dem Mangel höherer, namentlich reli¬
giöser Ideale das feige Streber- und Despotentum (beides ist stets vereinigt)
gezüchtet hat, das sich jetzt überall breit macht. Und der moderne Schul¬
meister hat sein redliches Teil daran. Nicht umsonst bestand bei den alten
Deutschen stets eine Scheu, ein tiefes Mißtrauen gegen die Masscndressur in
öffentlichen Schulen. Als nach des Ostgotenfürsten Theodorichs Tod die
Witwe Amalasuntha den jungen Athanarich den Grammatikern übergeben
wollte, rieten die Großen des Reichs davon ab: Theodorich sei ein großer
Held gewesen ohne den gelehrten Trüb, "wer erst unter der Rute des Schul¬
meisters gezittert habe, werde nie Schwert und Feinde ohne Schrecken ansehen."
Mit Hohn und Verachtung blicken natürlich unsre Schulmeister auf diese "Bar¬
baren," die so verächtlich von der Bildung reden konnten, aber wenn man
auf Helden wie Theodorich, Totilas, Karl Martell zurücksieht, und daneben
unser heutiges Geschlecht betrachtet, wird man gestehen müssen, daß die alte
rohe Zeit doch etwas hatte, was unsrer bei all ihrer Bildung fehlt, und es
wird fraglich erscheinen, ob die Einbuße an Charaktereigenschaften mit der
Scheingelehrsamkeit, die man jetzt "allgemeine Bildung" nennt, nicht zu teuer
erkauft sei. Man könnte sogar ernstlich erwägen, ob nicht für die großen
Massen eine Entlastung der Jugend von der Schule ein Segen wäre, nament¬
lich für die Weckung des Freiheits- und Ehrgefühls, überhaupt für die Bil¬
dung des Charakters.

Zu einem Charakter gehört vor allen Dingen Stärke. Plato traut dem
schwachen Chrcckter nicht einmal eine große Ungerechtigkeit zu, weil diese doch
ein kühnes Wagen erfordre, und wie tief die Achtung vor der Kraft in dem
Menschen sitzt, beweist die Sympathie, die wir selbst großen Bösewichter, wie


Grenzboten IV 1895 3
Die Prügelstrafe in der Volksschule

schon dafür, daß es keine Sklavennatur wurde. Wer in Athen einen freien
Knaben schlug, konnte auf Todesstrafe angeklagt werden, ein Beweis, wie eifer¬
süchtig man schon im Kinde die künftige Mannesehre wahrte. Ja etwas hei¬
liges sah man im Kinde: der Schwur beim Haupt eines Jünglings galt als
hoher, heiliger Schwur, und der Erzieher mußte dem Genius der zu erziehenden
Jugend vor dem Altar der vaterländischen Götter opfern als ^o^o«/^/«?
ro5 /Seps als asÄänns odsörvator, praestss se wtelatoi. Huisams
Juno gram ig.s8<zrit, UÄdst ^filium irawni Mneris uunuM se nurninÄ äivona.
Das Juvenalische: Ehrfurcht dem Knaben!, das so schön an das biblische:
„Gebt acht, daß ihr nicht eins dieser Kleinen, die an mich glauben, ärgert."
erinnert, ist bei den Alten stets beachtet worden. Wie Hütten anch sonst die
eisernen Naturen des freien Griechen- und Römertums entstehen können! Ganz
ebenso im Mittelalter. Daß der edle Nitterstolz, der freie Bürgersinn das
Ziel der Knabenerziehung war, beweist die große Anzahl charaktervoller Männer
in dieser Zeit, wie der bedenkliche Mangel an solchen heutzutage zeigt,
daß wir diese Bahn und dieses Ziel verlassen haben. Kein Zweifel, daß das
Übermaß von Drill und Dressur bei dem Mangel höherer, namentlich reli¬
giöser Ideale das feige Streber- und Despotentum (beides ist stets vereinigt)
gezüchtet hat, das sich jetzt überall breit macht. Und der moderne Schul¬
meister hat sein redliches Teil daran. Nicht umsonst bestand bei den alten
Deutschen stets eine Scheu, ein tiefes Mißtrauen gegen die Masscndressur in
öffentlichen Schulen. Als nach des Ostgotenfürsten Theodorichs Tod die
Witwe Amalasuntha den jungen Athanarich den Grammatikern übergeben
wollte, rieten die Großen des Reichs davon ab: Theodorich sei ein großer
Held gewesen ohne den gelehrten Trüb, „wer erst unter der Rute des Schul¬
meisters gezittert habe, werde nie Schwert und Feinde ohne Schrecken ansehen."
Mit Hohn und Verachtung blicken natürlich unsre Schulmeister auf diese „Bar¬
baren," die so verächtlich von der Bildung reden konnten, aber wenn man
auf Helden wie Theodorich, Totilas, Karl Martell zurücksieht, und daneben
unser heutiges Geschlecht betrachtet, wird man gestehen müssen, daß die alte
rohe Zeit doch etwas hatte, was unsrer bei all ihrer Bildung fehlt, und es
wird fraglich erscheinen, ob die Einbuße an Charaktereigenschaften mit der
Scheingelehrsamkeit, die man jetzt „allgemeine Bildung" nennt, nicht zu teuer
erkauft sei. Man könnte sogar ernstlich erwägen, ob nicht für die großen
Massen eine Entlastung der Jugend von der Schule ein Segen wäre, nament¬
lich für die Weckung des Freiheits- und Ehrgefühls, überhaupt für die Bil¬
dung des Charakters.

Zu einem Charakter gehört vor allen Dingen Stärke. Plato traut dem
schwachen Chrcckter nicht einmal eine große Ungerechtigkeit zu, weil diese doch
ein kühnes Wagen erfordre, und wie tief die Achtung vor der Kraft in dem
Menschen sitzt, beweist die Sympathie, die wir selbst großen Bösewichter, wie


Grenzboten IV 1895 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/25>, abgerufen am 21.06.2024.