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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

Wechsel- und Seerecht von der Einfügung in das allgemeine bürgerliche Gesetz¬
buch ausgenommen und besondrer Regelung unterworfen worden. Die be¬
sondern Verhältnisse des Handelsverkehrs rechtfertigen es sicherlich, daß hierfür
besondre Normen aufgestellt werden, und dies macht dann auch besondre Gesetze
wünschenswert. Andernfalls ist die Gefahr vorhanden, daß die besondern Ver¬
hältnisse des einen Verkehrs die des andern ungehörig beeinflussen. Aber man
soll vorsichtig sein in der Erlassung von Sondergesetzen. Sehr ant sagt schon
Gönner in seinen "Beiträgen zur neuen Gesetzgebung in den deutschen Staaten"
(1815): "Gesetze über einzelne Gegenstände sind eine bedenkliche Sache, weil
dei ihrer Abfassung gewöhnlich der Überblick über das Ganze mangelt, die
Aufmerksamkeit zu sehr auf den einzelnen Gegenstand geleitet und dieser mit
einer ungebührlichen Weitläufigkeit oder Vorliebe auf Kosten der andern In¬
stitute behandelt wird. In einem Gesetzbuch aber wird das Ganze von einem
Geist beherrscht, kein Gegenstand vor dem andern begünstigt, jede Bestimmung
uach dem Einfluß auf das Ganze geprüft, jedes Rechtsinstitut nach seinem
Verhältnis zu andern abgewogen."

Es wird deshalb noch ernstlicher Erwägung bedürfen, ob der Negieruugs-
entwnrf die notwendige und wünschenswerte Vollständigkeit in der Regelung
der verschiednen Stoffe besitzt und nicht etwa allzuviel den Sondergesetzen
überweist. Eine Aufzählung von Stoffen, die im Entwurf nicht behandelt
worden sind, findet sich in den Artikeln 33 bis 91 des Entwurfs eines Ein-
führnngsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuch.

Zu besondrer Vorsicht in der Ausscheidung einzelner Stoffe ist der Gesetz¬
geber jedenfalls dann veranlaßt, wenn diese nicht durch Svndergesetze des Reichs
geregelt, sondern der Landesgesetzgebung überlassen bleiben sollen. Denn hier
ist zu erwägen, ob der Berücksichtigung der partikularen Eigentümlichkeiten,
die gewiß unter Umständen berechtigt ist und die der landesgesetzlichen Regelung
vor der reichsgesetzlichen den Vorzug giebt, nicht etwa zu viel Spielraum ge¬
lassen werde, sodaß dadurch die erstrebte Einheitlichkeit des Rechts erschüttert
werden kann. Daß aber dann, wenn die ausgeschiednen Stoffe nicht einmal
von ein und demselben Gesetzgeber, sondern von verschiednen Gesetzgebern ge¬
regelt werden, die auch bei Sondergesetzen unter allen Umständen notwendige
Berücksichtigung der übrigen Reichsgesetzgebung, die Prüfung nach dem Einfluß
auf das Ganze, die Abwägung des einen Rechtsinstituts nach dem Verhältnis
zum andern nicht in dem wünschenswerten Maße gesichert ist, leuchtet ohne
weiteres ein. Die bisherige Gesetzgebung bietet dazu Beispiele genng. Es sei
nur auf die verschiednen Regelungen der Zwangsvollstreckung in das un¬
bewegliche Vermögen, auf die Bevormundung Geistesschwacher u. s. w. ver¬
wiesen. Fast sämtliche in den oben bezeichneten Artikeln aufgeführten Stoffe
sind der Sonderregeluug durch Landesgesetze vorbehalten.

Endlich bedarf auch das "och einer genauer" Prüfung, ob die Stoffe,


Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

Wechsel- und Seerecht von der Einfügung in das allgemeine bürgerliche Gesetz¬
buch ausgenommen und besondrer Regelung unterworfen worden. Die be¬
sondern Verhältnisse des Handelsverkehrs rechtfertigen es sicherlich, daß hierfür
besondre Normen aufgestellt werden, und dies macht dann auch besondre Gesetze
wünschenswert. Andernfalls ist die Gefahr vorhanden, daß die besondern Ver¬
hältnisse des einen Verkehrs die des andern ungehörig beeinflussen. Aber man
soll vorsichtig sein in der Erlassung von Sondergesetzen. Sehr ant sagt schon
Gönner in seinen „Beiträgen zur neuen Gesetzgebung in den deutschen Staaten"
(1815): „Gesetze über einzelne Gegenstände sind eine bedenkliche Sache, weil
dei ihrer Abfassung gewöhnlich der Überblick über das Ganze mangelt, die
Aufmerksamkeit zu sehr auf den einzelnen Gegenstand geleitet und dieser mit
einer ungebührlichen Weitläufigkeit oder Vorliebe auf Kosten der andern In¬
stitute behandelt wird. In einem Gesetzbuch aber wird das Ganze von einem
Geist beherrscht, kein Gegenstand vor dem andern begünstigt, jede Bestimmung
uach dem Einfluß auf das Ganze geprüft, jedes Rechtsinstitut nach seinem
Verhältnis zu andern abgewogen."

Es wird deshalb noch ernstlicher Erwägung bedürfen, ob der Negieruugs-
entwnrf die notwendige und wünschenswerte Vollständigkeit in der Regelung
der verschiednen Stoffe besitzt und nicht etwa allzuviel den Sondergesetzen
überweist. Eine Aufzählung von Stoffen, die im Entwurf nicht behandelt
worden sind, findet sich in den Artikeln 33 bis 91 des Entwurfs eines Ein-
führnngsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuch.

Zu besondrer Vorsicht in der Ausscheidung einzelner Stoffe ist der Gesetz¬
geber jedenfalls dann veranlaßt, wenn diese nicht durch Svndergesetze des Reichs
geregelt, sondern der Landesgesetzgebung überlassen bleiben sollen. Denn hier
ist zu erwägen, ob der Berücksichtigung der partikularen Eigentümlichkeiten,
die gewiß unter Umständen berechtigt ist und die der landesgesetzlichen Regelung
vor der reichsgesetzlichen den Vorzug giebt, nicht etwa zu viel Spielraum ge¬
lassen werde, sodaß dadurch die erstrebte Einheitlichkeit des Rechts erschüttert
werden kann. Daß aber dann, wenn die ausgeschiednen Stoffe nicht einmal
von ein und demselben Gesetzgeber, sondern von verschiednen Gesetzgebern ge¬
regelt werden, die auch bei Sondergesetzen unter allen Umständen notwendige
Berücksichtigung der übrigen Reichsgesetzgebung, die Prüfung nach dem Einfluß
auf das Ganze, die Abwägung des einen Rechtsinstituts nach dem Verhältnis
zum andern nicht in dem wünschenswerten Maße gesichert ist, leuchtet ohne
weiteres ein. Die bisherige Gesetzgebung bietet dazu Beispiele genng. Es sei
nur auf die verschiednen Regelungen der Zwangsvollstreckung in das un¬
bewegliche Vermögen, auf die Bevormundung Geistesschwacher u. s. w. ver¬
wiesen. Fast sämtliche in den oben bezeichneten Artikeln aufgeführten Stoffe
sind der Sonderregeluug durch Landesgesetze vorbehalten.

Endlich bedarf auch das »och einer genauer» Prüfung, ob die Stoffe,


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[0215] Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? Wechsel- und Seerecht von der Einfügung in das allgemeine bürgerliche Gesetz¬ buch ausgenommen und besondrer Regelung unterworfen worden. Die be¬ sondern Verhältnisse des Handelsverkehrs rechtfertigen es sicherlich, daß hierfür besondre Normen aufgestellt werden, und dies macht dann auch besondre Gesetze wünschenswert. Andernfalls ist die Gefahr vorhanden, daß die besondern Ver¬ hältnisse des einen Verkehrs die des andern ungehörig beeinflussen. Aber man soll vorsichtig sein in der Erlassung von Sondergesetzen. Sehr ant sagt schon Gönner in seinen „Beiträgen zur neuen Gesetzgebung in den deutschen Staaten" (1815): „Gesetze über einzelne Gegenstände sind eine bedenkliche Sache, weil dei ihrer Abfassung gewöhnlich der Überblick über das Ganze mangelt, die Aufmerksamkeit zu sehr auf den einzelnen Gegenstand geleitet und dieser mit einer ungebührlichen Weitläufigkeit oder Vorliebe auf Kosten der andern In¬ stitute behandelt wird. In einem Gesetzbuch aber wird das Ganze von einem Geist beherrscht, kein Gegenstand vor dem andern begünstigt, jede Bestimmung uach dem Einfluß auf das Ganze geprüft, jedes Rechtsinstitut nach seinem Verhältnis zu andern abgewogen." Es wird deshalb noch ernstlicher Erwägung bedürfen, ob der Negieruugs- entwnrf die notwendige und wünschenswerte Vollständigkeit in der Regelung der verschiednen Stoffe besitzt und nicht etwa allzuviel den Sondergesetzen überweist. Eine Aufzählung von Stoffen, die im Entwurf nicht behandelt worden sind, findet sich in den Artikeln 33 bis 91 des Entwurfs eines Ein- führnngsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuch. Zu besondrer Vorsicht in der Ausscheidung einzelner Stoffe ist der Gesetz¬ geber jedenfalls dann veranlaßt, wenn diese nicht durch Svndergesetze des Reichs geregelt, sondern der Landesgesetzgebung überlassen bleiben sollen. Denn hier ist zu erwägen, ob der Berücksichtigung der partikularen Eigentümlichkeiten, die gewiß unter Umständen berechtigt ist und die der landesgesetzlichen Regelung vor der reichsgesetzlichen den Vorzug giebt, nicht etwa zu viel Spielraum ge¬ lassen werde, sodaß dadurch die erstrebte Einheitlichkeit des Rechts erschüttert werden kann. Daß aber dann, wenn die ausgeschiednen Stoffe nicht einmal von ein und demselben Gesetzgeber, sondern von verschiednen Gesetzgebern ge¬ regelt werden, die auch bei Sondergesetzen unter allen Umständen notwendige Berücksichtigung der übrigen Reichsgesetzgebung, die Prüfung nach dem Einfluß auf das Ganze, die Abwägung des einen Rechtsinstituts nach dem Verhältnis zum andern nicht in dem wünschenswerten Maße gesichert ist, leuchtet ohne weiteres ein. Die bisherige Gesetzgebung bietet dazu Beispiele genng. Es sei nur auf die verschiednen Regelungen der Zwangsvollstreckung in das un¬ bewegliche Vermögen, auf die Bevormundung Geistesschwacher u. s. w. ver¬ wiesen. Fast sämtliche in den oben bezeichneten Artikeln aufgeführten Stoffe sind der Sonderregeluug durch Landesgesetze vorbehalten. Endlich bedarf auch das »och einer genauer» Prüfung, ob die Stoffe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/215>, abgerufen am 29.06.2024.