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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

gemacht werden müssen, und deren allmähliche Weiterbildung nicht nur mög¬
lich, sondern sogar erwünscht sein kann; oder: bei einem Werke, wie es die Kodi¬
fikation des gesamten bürgerlichen Rechts ist, sind sie gänzlich verfehlt. Hier
findet ein allmähliches Weiterbilden höchstens durch die Rechtswissenschaft und
Rechtsprechung statt, soweit nicht das Gesetz unmittelbar entgegensteht; aber
ein allmähliches Ausbessern mangelhafter Bestimmungen durch die Gesetzgebung
im einzelnen ist völlig ausgeschlossen, das könnte nur jedesmal durch eine Re¬
vision des ganzen Gesetzes geschehen. Damit verbietet sich aber bei der un¬
geheuern Arbeit, die dies verursacht, deren häufige Anwendung von selbst. Ein
bürgerliches Gesetzbuch wird daher, sobald es verbindliche Kraft erlangt hat,
auf Jahrzehnte, Jahrhunderte hinaus in Kraft bleiben, so wie es ist, mit allen
seinen Mängeln und allen seinen Vorzügen. Das lehrt ein Blick auf die
gleiche Gesetzgebung andrer Länder. Das preußische Landrecht ist seit 1794,
der Locls "zivil der Franzosen seit 1804, das österreichische bürgerliche Gesetz¬
buch seit 1811 in Geltung. Will man also ein Noirunröntuin g,<zr"z xorermiriL
errichten, so soll man doppelt sorgfältig zu Werke gehen. Wie könnte man
die Verantwortlichkeit spätern Geschlechtern gegenüber, deren Rechtsleben jetzt
beeinflußt werden soll, ertragen, wenn man seinerzeit unterlassen Hütte, das
beste zu schaffen, was möglich war?

Nun könnte sich freilich der Reichstag darauf berufen, daß der vorgelegte
Gesetzentwurf das Werk einer langen, emsigen und gewissenhaften Arbeit hervor¬
ragender Rechtsgelehrten des deutschen Volks sei, daß es ihm also gar nicht
möglich sei, etwas besseres zu schaffen, als jene Männer hervorgebracht haben.
Eine nochmalige eingehende Prüfung sei daher überflüssig und wohl gar schäd¬
lich; der Entwurf müsse a priori das beste enthalten, das unsre Zeit zu
schaffen vermöge.

Gebilligt könnte diese Auffassung nur unter einer Voraussetzung werden:
daß nämlich der Entwurf, der ja längst der Öffentlichkeit und der Kritik in
dankbarster Weise zugänglich gemacht worden ist, in allen berufnen Kreisen
bereits ungelenke Anerkennung gefunden hätte. Das ist aber keineswegs der
Fall. Neben der Anerkennung steht vielmehr ebenso uuumwnndne Ablehnung
oder doch sehr lebhafte Bekämpfung in mannichfacher Hinsicht. Und die Kritik
hat sich nicht etwa bloß verneinend verhalten, sondern sie hat auch positive Ver¬
besserungsvorschläge gemacht; ja es sind sogar vollständige Gegeuentwürfe er¬
schienen, die sich teils nur mit der Form befassen, teils sich auch ans den In¬
halt der Gesetzesvorschläge beziehen. Die Mitarbeiterschaft an dem geplanten
nationalen Werke erstreckt sich also weit über die Kvmmissivnsmitglieder und
Regierungsvertreter hinaus, ihr haben sich Männer unterzogen, von denen
man sicher uicht von vornherein sagen kann, daß sie weniger hierzu befähigt
wären und gehört zu werden verdienten als jene. Der Reichstag wird daher
selbst zu prüfen und zu entscheiden haben, inwieweit etwa Ausstellungen der


was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

gemacht werden müssen, und deren allmähliche Weiterbildung nicht nur mög¬
lich, sondern sogar erwünscht sein kann; oder: bei einem Werke, wie es die Kodi¬
fikation des gesamten bürgerlichen Rechts ist, sind sie gänzlich verfehlt. Hier
findet ein allmähliches Weiterbilden höchstens durch die Rechtswissenschaft und
Rechtsprechung statt, soweit nicht das Gesetz unmittelbar entgegensteht; aber
ein allmähliches Ausbessern mangelhafter Bestimmungen durch die Gesetzgebung
im einzelnen ist völlig ausgeschlossen, das könnte nur jedesmal durch eine Re¬
vision des ganzen Gesetzes geschehen. Damit verbietet sich aber bei der un¬
geheuern Arbeit, die dies verursacht, deren häufige Anwendung von selbst. Ein
bürgerliches Gesetzbuch wird daher, sobald es verbindliche Kraft erlangt hat,
auf Jahrzehnte, Jahrhunderte hinaus in Kraft bleiben, so wie es ist, mit allen
seinen Mängeln und allen seinen Vorzügen. Das lehrt ein Blick auf die
gleiche Gesetzgebung andrer Länder. Das preußische Landrecht ist seit 1794,
der Locls «zivil der Franzosen seit 1804, das österreichische bürgerliche Gesetz¬
buch seit 1811 in Geltung. Will man also ein Noirunröntuin g,<zr«z xorermiriL
errichten, so soll man doppelt sorgfältig zu Werke gehen. Wie könnte man
die Verantwortlichkeit spätern Geschlechtern gegenüber, deren Rechtsleben jetzt
beeinflußt werden soll, ertragen, wenn man seinerzeit unterlassen Hütte, das
beste zu schaffen, was möglich war?

Nun könnte sich freilich der Reichstag darauf berufen, daß der vorgelegte
Gesetzentwurf das Werk einer langen, emsigen und gewissenhaften Arbeit hervor¬
ragender Rechtsgelehrten des deutschen Volks sei, daß es ihm also gar nicht
möglich sei, etwas besseres zu schaffen, als jene Männer hervorgebracht haben.
Eine nochmalige eingehende Prüfung sei daher überflüssig und wohl gar schäd¬
lich; der Entwurf müsse a priori das beste enthalten, das unsre Zeit zu
schaffen vermöge.

Gebilligt könnte diese Auffassung nur unter einer Voraussetzung werden:
daß nämlich der Entwurf, der ja längst der Öffentlichkeit und der Kritik in
dankbarster Weise zugänglich gemacht worden ist, in allen berufnen Kreisen
bereits ungelenke Anerkennung gefunden hätte. Das ist aber keineswegs der
Fall. Neben der Anerkennung steht vielmehr ebenso uuumwnndne Ablehnung
oder doch sehr lebhafte Bekämpfung in mannichfacher Hinsicht. Und die Kritik
hat sich nicht etwa bloß verneinend verhalten, sondern sie hat auch positive Ver¬
besserungsvorschläge gemacht; ja es sind sogar vollständige Gegeuentwürfe er¬
schienen, die sich teils nur mit der Form befassen, teils sich auch ans den In¬
halt der Gesetzesvorschläge beziehen. Die Mitarbeiterschaft an dem geplanten
nationalen Werke erstreckt sich also weit über die Kvmmissivnsmitglieder und
Regierungsvertreter hinaus, ihr haben sich Männer unterzogen, von denen
man sicher uicht von vornherein sagen kann, daß sie weniger hierzu befähigt
wären und gehört zu werden verdienten als jene. Der Reichstag wird daher
selbst zu prüfen und zu entscheiden haben, inwieweit etwa Ausstellungen der


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[0212] was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? gemacht werden müssen, und deren allmähliche Weiterbildung nicht nur mög¬ lich, sondern sogar erwünscht sein kann; oder: bei einem Werke, wie es die Kodi¬ fikation des gesamten bürgerlichen Rechts ist, sind sie gänzlich verfehlt. Hier findet ein allmähliches Weiterbilden höchstens durch die Rechtswissenschaft und Rechtsprechung statt, soweit nicht das Gesetz unmittelbar entgegensteht; aber ein allmähliches Ausbessern mangelhafter Bestimmungen durch die Gesetzgebung im einzelnen ist völlig ausgeschlossen, das könnte nur jedesmal durch eine Re¬ vision des ganzen Gesetzes geschehen. Damit verbietet sich aber bei der un¬ geheuern Arbeit, die dies verursacht, deren häufige Anwendung von selbst. Ein bürgerliches Gesetzbuch wird daher, sobald es verbindliche Kraft erlangt hat, auf Jahrzehnte, Jahrhunderte hinaus in Kraft bleiben, so wie es ist, mit allen seinen Mängeln und allen seinen Vorzügen. Das lehrt ein Blick auf die gleiche Gesetzgebung andrer Länder. Das preußische Landrecht ist seit 1794, der Locls «zivil der Franzosen seit 1804, das österreichische bürgerliche Gesetz¬ buch seit 1811 in Geltung. Will man also ein Noirunröntuin g,<zr«z xorermiriL errichten, so soll man doppelt sorgfältig zu Werke gehen. Wie könnte man die Verantwortlichkeit spätern Geschlechtern gegenüber, deren Rechtsleben jetzt beeinflußt werden soll, ertragen, wenn man seinerzeit unterlassen Hütte, das beste zu schaffen, was möglich war? Nun könnte sich freilich der Reichstag darauf berufen, daß der vorgelegte Gesetzentwurf das Werk einer langen, emsigen und gewissenhaften Arbeit hervor¬ ragender Rechtsgelehrten des deutschen Volks sei, daß es ihm also gar nicht möglich sei, etwas besseres zu schaffen, als jene Männer hervorgebracht haben. Eine nochmalige eingehende Prüfung sei daher überflüssig und wohl gar schäd¬ lich; der Entwurf müsse a priori das beste enthalten, das unsre Zeit zu schaffen vermöge. Gebilligt könnte diese Auffassung nur unter einer Voraussetzung werden: daß nämlich der Entwurf, der ja längst der Öffentlichkeit und der Kritik in dankbarster Weise zugänglich gemacht worden ist, in allen berufnen Kreisen bereits ungelenke Anerkennung gefunden hätte. Das ist aber keineswegs der Fall. Neben der Anerkennung steht vielmehr ebenso uuumwnndne Ablehnung oder doch sehr lebhafte Bekämpfung in mannichfacher Hinsicht. Und die Kritik hat sich nicht etwa bloß verneinend verhalten, sondern sie hat auch positive Ver¬ besserungsvorschläge gemacht; ja es sind sogar vollständige Gegeuentwürfe er¬ schienen, die sich teils nur mit der Form befassen, teils sich auch ans den In¬ halt der Gesetzesvorschläge beziehen. Die Mitarbeiterschaft an dem geplanten nationalen Werke erstreckt sich also weit über die Kvmmissivnsmitglieder und Regierungsvertreter hinaus, ihr haben sich Männer unterzogen, von denen man sicher uicht von vornherein sagen kann, daß sie weniger hierzu befähigt wären und gehört zu werden verdienten als jene. Der Reichstag wird daher selbst zu prüfen und zu entscheiden haben, inwieweit etwa Ausstellungen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/212>, abgerufen am 04.07.2024.