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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Lage des Handwerks

Jahren unterzogen, seinem wichtigen Ergebnis jedoch sonderliche Beachtung
bei den agrarischen Agitatoren nicht zu verschaffen vermocht, und es ist zu be¬
fürchten, daß es ihm mit seinen jetzigen Untersuchungen über die Lage
des Handwerks in Deutschland bei den Innungsmeistern nicht anders
gehen wird. Für das deutsche Reich haben die Leipziger Professoren Dr. Ruch er
und Dr. v. Miaskowski und der Handelskammersekretär Dr. Gensel die
Leitung übernommen, ihnen hat sich Professor v. Philippovich angeschlossen,
der die Arbeiten für Österreich sammeln und Herausgeber wird. Vorläufig
sind drei starke Bande erschienen (Leipzig, Duncker und Humblot, 1895), die
Berichte über Preußen, das Königreich Sachsen und Süddeutschland enthalten,
die Hälfte der eingegangnen Arbeiten harrt noch der Herausgabe. Damit hält
jedoch Professor Bücher, der Vorsitzende der Kommission, die übernommne
Aufgabe noch nicht für erledigt, da eine Menge Handwerke noch gar keine,
andre nur eine dürftige Bearbeitung gefunden haben, und da außerdem bis
jetzt vorzugsweise Mittel- und Großstädte berücksichtigt worden, die Kleinstädte
und Landgemeinden aber sehr spärlich vertreten sind. Die ebenso wertvollen
als interessanten Monographien der einnndsiebzig Mitarbeiter (es sind meistens
Professoren und Schüler von solchen; Männer, die im praktischen Leben stehen,
für die Mitarbeit zu gewinnen, ist trotz aller aufgewandten Mühe uur in we¬
nigen Fällen gelungen), beziehen sich teils auf ein einzelnes Gewerbe in einem
kleinen oder großem Bezirk, teils auf das gesamte Gewerbe einer Stadt. So
hat Siegfried Heckscher, <zg.riä. M-, aus Hamburg, das Schuhmachergewerbe
in Altena, Elmshorn, Heide, Preetz und Barmstedt, or. Eugen Nübling
das Schustergewerbe in Württemberg, Dr. Andreas Voigt das Kleingewerbe
in Karlsruhe, Dr. Th. Sorget zwei Nürnberger Metallgewerbe beschrieben.
Am reichlichsten ist Leipzig bedacht worden, das nebst seiner Umgegend den
ganzen zweiten Band allein füllt.

Hat man die drei Bände durchgelesen, so sieht man die Auffassung be¬
stätigt, deren Grundzüge Röscher schon vor vierunddreißig Jahren (in seinen
"Ansichten der Volkswirtschaft") gezeichnet hat, und die auch die Grenzboten
schon öfter entwickelt haben; wir wollen sie mit Benutzung dieser neuen Unter¬
suchungen hier noch einmal kurz wiedergebe".

Die Handwerke zerfallen in eine Anzahl von Gruppen, deren Lebens¬
bedingungen sehr verschieden sind, die daher von deu technischen und sozialen
Umwälzungen unsrer Zeit sehr verschieden, zum Teil auch gar nicht betroffen
werden. Das letztere ist der Fall bei den Gewerben der persönlichen Dienst¬
leistungen. Das Rasiren, Massiren, Hühneraugenschneiden, Zahnansreißen,
Kaminkehren, die Bedienung im Bade, den Husbeschlag, die Verrichtungen des
scheint- und Gastwirts kann keine Maschine übernehmen. Auch hindert der
Kapitalismus nicht, daß die meisten dieser Gewerbe mit einem sehr geringen
Kapital und teilweise sogar ohne alles Kapital betrieben werden können; in


Die Lage des Handwerks

Jahren unterzogen, seinem wichtigen Ergebnis jedoch sonderliche Beachtung
bei den agrarischen Agitatoren nicht zu verschaffen vermocht, und es ist zu be¬
fürchten, daß es ihm mit seinen jetzigen Untersuchungen über die Lage
des Handwerks in Deutschland bei den Innungsmeistern nicht anders
gehen wird. Für das deutsche Reich haben die Leipziger Professoren Dr. Ruch er
und Dr. v. Miaskowski und der Handelskammersekretär Dr. Gensel die
Leitung übernommen, ihnen hat sich Professor v. Philippovich angeschlossen,
der die Arbeiten für Österreich sammeln und Herausgeber wird. Vorläufig
sind drei starke Bande erschienen (Leipzig, Duncker und Humblot, 1895), die
Berichte über Preußen, das Königreich Sachsen und Süddeutschland enthalten,
die Hälfte der eingegangnen Arbeiten harrt noch der Herausgabe. Damit hält
jedoch Professor Bücher, der Vorsitzende der Kommission, die übernommne
Aufgabe noch nicht für erledigt, da eine Menge Handwerke noch gar keine,
andre nur eine dürftige Bearbeitung gefunden haben, und da außerdem bis
jetzt vorzugsweise Mittel- und Großstädte berücksichtigt worden, die Kleinstädte
und Landgemeinden aber sehr spärlich vertreten sind. Die ebenso wertvollen
als interessanten Monographien der einnndsiebzig Mitarbeiter (es sind meistens
Professoren und Schüler von solchen; Männer, die im praktischen Leben stehen,
für die Mitarbeit zu gewinnen, ist trotz aller aufgewandten Mühe uur in we¬
nigen Fällen gelungen), beziehen sich teils auf ein einzelnes Gewerbe in einem
kleinen oder großem Bezirk, teils auf das gesamte Gewerbe einer Stadt. So
hat Siegfried Heckscher, <zg.riä. M-, aus Hamburg, das Schuhmachergewerbe
in Altena, Elmshorn, Heide, Preetz und Barmstedt, or. Eugen Nübling
das Schustergewerbe in Württemberg, Dr. Andreas Voigt das Kleingewerbe
in Karlsruhe, Dr. Th. Sorget zwei Nürnberger Metallgewerbe beschrieben.
Am reichlichsten ist Leipzig bedacht worden, das nebst seiner Umgegend den
ganzen zweiten Band allein füllt.

Hat man die drei Bände durchgelesen, so sieht man die Auffassung be¬
stätigt, deren Grundzüge Röscher schon vor vierunddreißig Jahren (in seinen
„Ansichten der Volkswirtschaft") gezeichnet hat, und die auch die Grenzboten
schon öfter entwickelt haben; wir wollen sie mit Benutzung dieser neuen Unter¬
suchungen hier noch einmal kurz wiedergebe».

Die Handwerke zerfallen in eine Anzahl von Gruppen, deren Lebens¬
bedingungen sehr verschieden sind, die daher von deu technischen und sozialen
Umwälzungen unsrer Zeit sehr verschieden, zum Teil auch gar nicht betroffen
werden. Das letztere ist der Fall bei den Gewerben der persönlichen Dienst¬
leistungen. Das Rasiren, Massiren, Hühneraugenschneiden, Zahnansreißen,
Kaminkehren, die Bedienung im Bade, den Husbeschlag, die Verrichtungen des
scheint- und Gastwirts kann keine Maschine übernehmen. Auch hindert der
Kapitalismus nicht, daß die meisten dieser Gewerbe mit einem sehr geringen
Kapital und teilweise sogar ohne alles Kapital betrieben werden können; in


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[0126] Die Lage des Handwerks Jahren unterzogen, seinem wichtigen Ergebnis jedoch sonderliche Beachtung bei den agrarischen Agitatoren nicht zu verschaffen vermocht, und es ist zu be¬ fürchten, daß es ihm mit seinen jetzigen Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland bei den Innungsmeistern nicht anders gehen wird. Für das deutsche Reich haben die Leipziger Professoren Dr. Ruch er und Dr. v. Miaskowski und der Handelskammersekretär Dr. Gensel die Leitung übernommen, ihnen hat sich Professor v. Philippovich angeschlossen, der die Arbeiten für Österreich sammeln und Herausgeber wird. Vorläufig sind drei starke Bande erschienen (Leipzig, Duncker und Humblot, 1895), die Berichte über Preußen, das Königreich Sachsen und Süddeutschland enthalten, die Hälfte der eingegangnen Arbeiten harrt noch der Herausgabe. Damit hält jedoch Professor Bücher, der Vorsitzende der Kommission, die übernommne Aufgabe noch nicht für erledigt, da eine Menge Handwerke noch gar keine, andre nur eine dürftige Bearbeitung gefunden haben, und da außerdem bis jetzt vorzugsweise Mittel- und Großstädte berücksichtigt worden, die Kleinstädte und Landgemeinden aber sehr spärlich vertreten sind. Die ebenso wertvollen als interessanten Monographien der einnndsiebzig Mitarbeiter (es sind meistens Professoren und Schüler von solchen; Männer, die im praktischen Leben stehen, für die Mitarbeit zu gewinnen, ist trotz aller aufgewandten Mühe uur in we¬ nigen Fällen gelungen), beziehen sich teils auf ein einzelnes Gewerbe in einem kleinen oder großem Bezirk, teils auf das gesamte Gewerbe einer Stadt. So hat Siegfried Heckscher, <zg.riä. M-, aus Hamburg, das Schuhmachergewerbe in Altena, Elmshorn, Heide, Preetz und Barmstedt, or. Eugen Nübling das Schustergewerbe in Württemberg, Dr. Andreas Voigt das Kleingewerbe in Karlsruhe, Dr. Th. Sorget zwei Nürnberger Metallgewerbe beschrieben. Am reichlichsten ist Leipzig bedacht worden, das nebst seiner Umgegend den ganzen zweiten Band allein füllt. Hat man die drei Bände durchgelesen, so sieht man die Auffassung be¬ stätigt, deren Grundzüge Röscher schon vor vierunddreißig Jahren (in seinen „Ansichten der Volkswirtschaft") gezeichnet hat, und die auch die Grenzboten schon öfter entwickelt haben; wir wollen sie mit Benutzung dieser neuen Unter¬ suchungen hier noch einmal kurz wiedergebe». Die Handwerke zerfallen in eine Anzahl von Gruppen, deren Lebens¬ bedingungen sehr verschieden sind, die daher von deu technischen und sozialen Umwälzungen unsrer Zeit sehr verschieden, zum Teil auch gar nicht betroffen werden. Das letztere ist der Fall bei den Gewerben der persönlichen Dienst¬ leistungen. Das Rasiren, Massiren, Hühneraugenschneiden, Zahnansreißen, Kaminkehren, die Bedienung im Bade, den Husbeschlag, die Verrichtungen des scheint- und Gastwirts kann keine Maschine übernehmen. Auch hindert der Kapitalismus nicht, daß die meisten dieser Gewerbe mit einem sehr geringen Kapital und teilweise sogar ohne alles Kapital betrieben werden können; in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/126>, abgerufen am 24.07.2024.