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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die kunsthistorische Gesellschaft

Besorgnis. Es ist noch so unendlich viel zu thun, um die Werke berühmter
Meister vollständig zu veröffentlichen, daß an die Sterne dritter oder vierter
Größe noch lange nicht gedacht werden kann. Aber auch die Scheidung
der Publikationen in ordentliche und außerordentliche schließt schon das
Überwiegen der nur historisch merkwürdigen Blätter in den Jahrespubli¬
kationen aus. Endlich hat jedes Mitglied das Recht, seine Wünsche geltend
zu machen.

Wenn so die Gesellschaft schon nach ihren Absichten unser reges Interesse
fordert, so wird die erste Jahrespublikation, die in diesen Tagen ausgegeben
wird, auch den Bedenklichsten von der Bedeutung des Unternehmens über¬
zeugen. Da finden wir Meister wie Dürer (mit vier Bildern!) und Holbein,
v. Eyck, Bouts, Scvrel, Masaccio und Giorgione vertreten. Auch die erste
außerordentliche Publikation dürfte zahlreiche Freunde finden: sie bringt eine
stattliche Reihe von Aufnahmen nordischer Backsteinbauten. Wir glauben, diese
Bilder werden besser als viele Worte geeignet sein, für die Gesellschaft zu
werben.

Die Zahl der Mitglieder der Gesellschaft ist zwar schon recht stattlich.
Aber es drängt sich doch der Wunsch ans, daß es ihr gelingen möchte, alle
zu sammeln, die der Kunst ein mehr als flüchtiges Interesse entgegenbringen.
Nicht nur Anregung und Genuß überallhin zu verbreiten, ist das Unternehmen
begonnen worden, es soll auch ein Band abgeben, die Lehrer der Kunst¬
geschichte an wissenschaftlichen Anstalten wie die Leiter und Beamten der Kunst-
sammlungen, ja schließlich alle zusammenzuhalten, die den Wert einer Vertiefung
in die Werke der bildenden Kunst für unsre gesamte geistige Kultur zu würdigen
wissen. Bis jetzt ist kaum unter den erster" eine Verständigung über Ziele
und Wege der Arbeit erreicht, geschweige daß weitere Kreise an dieser Arbeit
verständnisvollen Anteil nähmen. Und doch wäre ein Zusammengehen aller
recht notwendig. Denn es liegt noch ein langer Weg vor uns, bis der neuern
Kunst die Stelle im geistigen Leben unsers Volkes erobert sein wird, die ihr
gebührt. Noch immer steht die Kunstgeschichte hinter ihren ältern Schwestern
Archäologie und Geschichte weit zurück. Lange haben diese ausschließlich den
Staat und die öffentliche Meinung für sich gehabt, sodaß Sammlungen und
Institute, wissenschaftliche Arbeit und große Veröffentlichungen nur für sie ins
Leben gerufen und gefördert wurden. Heute wissen wir, daß die neuere Kunst
nicht länger mehr aus dem Kreise der erziehenden und bildenden Mächte aus¬
geschlossen werden darf. Wenn nun anch in den letzten Jahrzehnten allerlei
geschehen ist, das Stiefkind unsrer Bildung zur Geltung zu bringen, viel,
sehr viel bleibt noch zu thun übrig. Darum wäre es mit der größten Freude
zu begrüßen, wenn die "Kunsthistorische Gesellschaft für photographische Publi¬
kationen" allmählich ein Vereinigungspunkt würde für alle Freunde und Er¬
forscher des Kunstgebieth, ihnen selbst Mut und Selbstvertrauen zu stärken,


Die kunsthistorische Gesellschaft

Besorgnis. Es ist noch so unendlich viel zu thun, um die Werke berühmter
Meister vollständig zu veröffentlichen, daß an die Sterne dritter oder vierter
Größe noch lange nicht gedacht werden kann. Aber auch die Scheidung
der Publikationen in ordentliche und außerordentliche schließt schon das
Überwiegen der nur historisch merkwürdigen Blätter in den Jahrespubli¬
kationen aus. Endlich hat jedes Mitglied das Recht, seine Wünsche geltend
zu machen.

Wenn so die Gesellschaft schon nach ihren Absichten unser reges Interesse
fordert, so wird die erste Jahrespublikation, die in diesen Tagen ausgegeben
wird, auch den Bedenklichsten von der Bedeutung des Unternehmens über¬
zeugen. Da finden wir Meister wie Dürer (mit vier Bildern!) und Holbein,
v. Eyck, Bouts, Scvrel, Masaccio und Giorgione vertreten. Auch die erste
außerordentliche Publikation dürfte zahlreiche Freunde finden: sie bringt eine
stattliche Reihe von Aufnahmen nordischer Backsteinbauten. Wir glauben, diese
Bilder werden besser als viele Worte geeignet sein, für die Gesellschaft zu
werben.

Die Zahl der Mitglieder der Gesellschaft ist zwar schon recht stattlich.
Aber es drängt sich doch der Wunsch ans, daß es ihr gelingen möchte, alle
zu sammeln, die der Kunst ein mehr als flüchtiges Interesse entgegenbringen.
Nicht nur Anregung und Genuß überallhin zu verbreiten, ist das Unternehmen
begonnen worden, es soll auch ein Band abgeben, die Lehrer der Kunst¬
geschichte an wissenschaftlichen Anstalten wie die Leiter und Beamten der Kunst-
sammlungen, ja schließlich alle zusammenzuhalten, die den Wert einer Vertiefung
in die Werke der bildenden Kunst für unsre gesamte geistige Kultur zu würdigen
wissen. Bis jetzt ist kaum unter den erster» eine Verständigung über Ziele
und Wege der Arbeit erreicht, geschweige daß weitere Kreise an dieser Arbeit
verständnisvollen Anteil nähmen. Und doch wäre ein Zusammengehen aller
recht notwendig. Denn es liegt noch ein langer Weg vor uns, bis der neuern
Kunst die Stelle im geistigen Leben unsers Volkes erobert sein wird, die ihr
gebührt. Noch immer steht die Kunstgeschichte hinter ihren ältern Schwestern
Archäologie und Geschichte weit zurück. Lange haben diese ausschließlich den
Staat und die öffentliche Meinung für sich gehabt, sodaß Sammlungen und
Institute, wissenschaftliche Arbeit und große Veröffentlichungen nur für sie ins
Leben gerufen und gefördert wurden. Heute wissen wir, daß die neuere Kunst
nicht länger mehr aus dem Kreise der erziehenden und bildenden Mächte aus¬
geschlossen werden darf. Wenn nun anch in den letzten Jahrzehnten allerlei
geschehen ist, das Stiefkind unsrer Bildung zur Geltung zu bringen, viel,
sehr viel bleibt noch zu thun übrig. Darum wäre es mit der größten Freude
zu begrüßen, wenn die „Kunsthistorische Gesellschaft für photographische Publi¬
kationen" allmählich ein Vereinigungspunkt würde für alle Freunde und Er¬
forscher des Kunstgebieth, ihnen selbst Mut und Selbstvertrauen zu stärken,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/95>, abgerufen am 26.06.2024.