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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der ewige Jude und der Teufel

Ephoren, des sozialdemokratischen Pöbels Frendenkolvssenm geworden ist, wird
wie Sodom und Gomorrha in einer Nacht vom Feuer des Himmels gefressen;
der ganze Apparat der Offenbarung Johannis, die Reiter und die tubablasen¬
den Engel des Weltgerichts werden aufgeboten. Aber das Weltgericht, das
uun ergeht, ist nicht das, das die Lebendigen und Toten nach ihres Herzens
innerster Gesinnung richtet und den Bettler über den Purpurträger erhöht.
Hier wird allein die Kraft und der Stolz, die Größe und die Offenheit im
Bösen nach der Ubermenschcnphilosophie gemessen. Hier "gelten Werte, wie
sie kein blöder Alltagssinn begreift," hier wird nur das gewogen, was "den
Menschen zum Herrn adelt," Paulus wird zum Nichts verdammt, Judas
Ischarioth begnadigt, Friedrich II., der Staufer, und Napoleon I., der "mit
Recht" nichts nach dem "Weh der Kleinen" gefragt hat, dessen Streben über
Leichen emporgestiegen ist ("die andern müssen leiden, müssen sterben"), tauchen
in den engen Frendenbronnen unter, die verbündeten Herrscher von 1813, die
an der Spitze ihrer Völker den Kursen gestürzt haben, empfangen den Spruch
der Verdammung. Don Juan Tenorio wird willkommen geheißen, es fehlt
wenig, daß ihn Christus ans Herz drückt, Casanova dagegen in den Abgrund
geschleudert, Lord Byron und Heinrich Heine werden begnadigt, selbst Richard
Wagner kommt mit einem blauen Auge davon, nur die ihm folgende Schar:

stürzt ins Nichts, was den Wagnerianern, die ja jetzt meist auch Nietzschianer
sind, gewiß sehr gefallen wird. Nachdem alles gerichtet, zum Flug in höhere
Welten erhoben oder im Nichts der "viel zu vielen" vergangen ist, begegnen
sich noch Lilith und Satanas auf der entvölkerten Erde, der alte Feind lockt
Lilith zu sich:

Vor der Hand aber stürzt die Erde ins Feuer der Sonne, und Lilith und
Satanas, die Geister der Lust und der Verneinung, mit ihr.

Gegenüber dieser wilden und doch dürftigen Phantasie, die den Erlöser
in den Verkünder einer bittern, dunkeln und weltfeindlichen Philosophie ver¬
wandelt, müssen zwei andre Gedichte, obwohl sie symbolisch sein wollen und
sollen, als realistisch gelten. Der letzte Prophet, Dichtung von Eduard


Der ewige Jude und der Teufel

Ephoren, des sozialdemokratischen Pöbels Frendenkolvssenm geworden ist, wird
wie Sodom und Gomorrha in einer Nacht vom Feuer des Himmels gefressen;
der ganze Apparat der Offenbarung Johannis, die Reiter und die tubablasen¬
den Engel des Weltgerichts werden aufgeboten. Aber das Weltgericht, das
uun ergeht, ist nicht das, das die Lebendigen und Toten nach ihres Herzens
innerster Gesinnung richtet und den Bettler über den Purpurträger erhöht.
Hier wird allein die Kraft und der Stolz, die Größe und die Offenheit im
Bösen nach der Ubermenschcnphilosophie gemessen. Hier „gelten Werte, wie
sie kein blöder Alltagssinn begreift," hier wird nur das gewogen, was „den
Menschen zum Herrn adelt," Paulus wird zum Nichts verdammt, Judas
Ischarioth begnadigt, Friedrich II., der Staufer, und Napoleon I., der „mit
Recht" nichts nach dem „Weh der Kleinen" gefragt hat, dessen Streben über
Leichen emporgestiegen ist („die andern müssen leiden, müssen sterben"), tauchen
in den engen Frendenbronnen unter, die verbündeten Herrscher von 1813, die
an der Spitze ihrer Völker den Kursen gestürzt haben, empfangen den Spruch
der Verdammung. Don Juan Tenorio wird willkommen geheißen, es fehlt
wenig, daß ihn Christus ans Herz drückt, Casanova dagegen in den Abgrund
geschleudert, Lord Byron und Heinrich Heine werden begnadigt, selbst Richard
Wagner kommt mit einem blauen Auge davon, nur die ihm folgende Schar:

stürzt ins Nichts, was den Wagnerianern, die ja jetzt meist auch Nietzschianer
sind, gewiß sehr gefallen wird. Nachdem alles gerichtet, zum Flug in höhere
Welten erhoben oder im Nichts der „viel zu vielen" vergangen ist, begegnen
sich noch Lilith und Satanas auf der entvölkerten Erde, der alte Feind lockt
Lilith zu sich:

Vor der Hand aber stürzt die Erde ins Feuer der Sonne, und Lilith und
Satanas, die Geister der Lust und der Verneinung, mit ihr.

Gegenüber dieser wilden und doch dürftigen Phantasie, die den Erlöser
in den Verkünder einer bittern, dunkeln und weltfeindlichen Philosophie ver¬
wandelt, müssen zwei andre Gedichte, obwohl sie symbolisch sein wollen und
sollen, als realistisch gelten. Der letzte Prophet, Dichtung von Eduard


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/90>, abgerufen am 28.07.2024.