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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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pädagogische Umversitätsseminare

eigentümlichen Wissens begrifflich durchbildet und das Ganze ihrer Begriffe
systematisch ordnet. Auch muß sie ohne Voreingenommenheit vorgehen: sowie
eine sorgfältige Prüfung die UnHaltbarkeit irgend einer Lehre ergeben hat, muß
sie sie fallen lassen und unerschrocken der Wahrheit die Ehre geben. Man
darf ja in der Wissenschaft nie glauben, etwas fest zu besitzen, nie "zum Augen¬
blicke sagen: verweile doch, du bist so schon!", an nichts bedingungslos sein
Herz hingeben; das höchste Streben muß die Erkenntnis der Wahrheit sein.
Aber auch wenn man diese höchsten Anforderungen an die Pädagogik stellt,
wird man doch nicht anders sagen können, als daß es unter ihren Vertretern
wenigstens einzelne gegeben hat und noch giebt, auch einzelne Erscheinungen
ihrer Litteratur, die selbst diesen höchsten Anforderungen entsprechen: die heutige
Pädagogik mag noch so unvollkommen sein, sicherlich ist sie auf dem Wege,
eine Wissenschaft zu werden, und die neuern Anschauungen auf dem Gebiete
der Ethik und der Psychologie sind ihr am allerwenigsten im Wege, wenn sie
einen sichern Grund legen will. Man sieht also wirklich nicht ein, warum
ihr von den übrigen aus der Universität vertretnen Wissenschaften die Auf¬
nahme in deren Kreis geweigert werden sollte. Im Gegenteil: gerade wenn
man meint, daß die Grundlegung zu einer Theorie der Erziehung ihre be¬
sondern Schwierigkeiten habe, müßte das Anlaß geben, dafür Sorge zu
tragen, daß dieses Gebiet an eben der Stelle eine sorgfältige Pflege finde, wo
alles von den höchsten Gesichtspunkten aus und aufs gründlichste überlegt
werden soll, was das geistige und leibliche Wohl der Menschheit betrifft.

Es genügt aber nicht, daß der zukünftige Erzieher auf der Universität in
die Theorie der Erziehung eingeführt werde; viel wichtiger ist, daß er sich
hier auch in den ersten Anfängen der Erziehungspraxis üben lerne. Bei der
Wichtigkeit aber, die für die Erziehung der Unterricht hat, wird sich diese erste
Übung vor allem zu einer Einführung in die Kunst des Unterrichtens ge¬
stalten. Daß etwas derartiges notwendig sei, hat man denn auch überall
erkannt, wo mau auf der Universität den Versuch gemacht hat, die Anfänge
erzieherischer Bildung zu bieten. Um zu diesem Ziele zu gelangen, sind ver-
schiedne Wege eingeschlagen worden. Nur kurz erwühut sei der Versuch -- den
man auch gemacht hat --, die Kunst des Uuterrichtens dadurch zu üben, daß
man diese Übungen an Erwachsenen anstellte; natürlich mußte er fehlschlagen.
Dann hat man geglaubt, es genüge, wenn man wöchentlich einmal auf eine
Stunde eine Anzahl Kinder zusammenriefe und sie nun als Objekte für die
Uuterrichtsversnche benutzte. Da diese Versuche als akademische Übungen
natürlich so eingerichtet werden mußten, daß die an ihnen beteiligten Studenten
der Reihe nach mit den Lehrübungen wechselten, so konnte es wohl vorkommen,
daß ein Student nur einmal im Semester an die Reihe kam. Es ist aber
doch der reine Hohn, wenn man das als Übungen im Unterrichten bezeichnet,
und noch schärfer muß es verurteilt werden, wenn man bedenkt, daß gerade


pädagogische Umversitätsseminare

eigentümlichen Wissens begrifflich durchbildet und das Ganze ihrer Begriffe
systematisch ordnet. Auch muß sie ohne Voreingenommenheit vorgehen: sowie
eine sorgfältige Prüfung die UnHaltbarkeit irgend einer Lehre ergeben hat, muß
sie sie fallen lassen und unerschrocken der Wahrheit die Ehre geben. Man
darf ja in der Wissenschaft nie glauben, etwas fest zu besitzen, nie „zum Augen¬
blicke sagen: verweile doch, du bist so schon!", an nichts bedingungslos sein
Herz hingeben; das höchste Streben muß die Erkenntnis der Wahrheit sein.
Aber auch wenn man diese höchsten Anforderungen an die Pädagogik stellt,
wird man doch nicht anders sagen können, als daß es unter ihren Vertretern
wenigstens einzelne gegeben hat und noch giebt, auch einzelne Erscheinungen
ihrer Litteratur, die selbst diesen höchsten Anforderungen entsprechen: die heutige
Pädagogik mag noch so unvollkommen sein, sicherlich ist sie auf dem Wege,
eine Wissenschaft zu werden, und die neuern Anschauungen auf dem Gebiete
der Ethik und der Psychologie sind ihr am allerwenigsten im Wege, wenn sie
einen sichern Grund legen will. Man sieht also wirklich nicht ein, warum
ihr von den übrigen aus der Universität vertretnen Wissenschaften die Auf¬
nahme in deren Kreis geweigert werden sollte. Im Gegenteil: gerade wenn
man meint, daß die Grundlegung zu einer Theorie der Erziehung ihre be¬
sondern Schwierigkeiten habe, müßte das Anlaß geben, dafür Sorge zu
tragen, daß dieses Gebiet an eben der Stelle eine sorgfältige Pflege finde, wo
alles von den höchsten Gesichtspunkten aus und aufs gründlichste überlegt
werden soll, was das geistige und leibliche Wohl der Menschheit betrifft.

Es genügt aber nicht, daß der zukünftige Erzieher auf der Universität in
die Theorie der Erziehung eingeführt werde; viel wichtiger ist, daß er sich
hier auch in den ersten Anfängen der Erziehungspraxis üben lerne. Bei der
Wichtigkeit aber, die für die Erziehung der Unterricht hat, wird sich diese erste
Übung vor allem zu einer Einführung in die Kunst des Unterrichtens ge¬
stalten. Daß etwas derartiges notwendig sei, hat man denn auch überall
erkannt, wo mau auf der Universität den Versuch gemacht hat, die Anfänge
erzieherischer Bildung zu bieten. Um zu diesem Ziele zu gelangen, sind ver-
schiedne Wege eingeschlagen worden. Nur kurz erwühut sei der Versuch — den
man auch gemacht hat —, die Kunst des Uuterrichtens dadurch zu üben, daß
man diese Übungen an Erwachsenen anstellte; natürlich mußte er fehlschlagen.
Dann hat man geglaubt, es genüge, wenn man wöchentlich einmal auf eine
Stunde eine Anzahl Kinder zusammenriefe und sie nun als Objekte für die
Uuterrichtsversnche benutzte. Da diese Versuche als akademische Übungen
natürlich so eingerichtet werden mußten, daß die an ihnen beteiligten Studenten
der Reihe nach mit den Lehrübungen wechselten, so konnte es wohl vorkommen,
daß ein Student nur einmal im Semester an die Reihe kam. Es ist aber
doch der reine Hohn, wenn man das als Übungen im Unterrichten bezeichnet,
und noch schärfer muß es verurteilt werden, wenn man bedenkt, daß gerade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/607>, abgerufen am 28.07.2024.