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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zum 20. September

seine Selbständigkeit nur behaupten konnte, wenn es über eine weltliche Macht
verfitzte, so gut wie die deutschen Bistümer, das daher die städtischen Be¬
strebungen in Italien ebenso gegen das Kaisertum benutzte, wie die fürstlichen
Sonderintcressen in Deutschland. Das Ergebnis war diesseits wie jenseits
der Alpen dasselbe: die Auflösung der Neichseinheit. Für Italien war das
Kaisertum seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ein bloßer Schatten,
die größere Hälfte des Landes bestand aus anfangs republikanischen, später
monarchischen Stadtstaaten; die kleinere südliche blieb ein absolut monarchischer
Einheitsstaat. Die rein auf die thatsächliche Macht gerichtete Politik dieser
Staaten verhinderte jeden Zusammenschluß und warf endlich im Anfange des
sechzehnten Jahrhunderts das Land den Fremden, den Spaniern, unter die
Füße.

Und wie internationale Mächte die mittelalterliche Einheit Deutschlands
und Italiens zerstört haben, so ist sie hier wie dort in der Neuzeit wieder
hergestellt worden durch eine junge Militärmvnarchie in Verbindung mit einer
mächtigen geistigen Bewegung und im Kampfe mit den Erben jener inter¬
nationalen Gewalten. Dabei hatten Deutsche und Italiener mit ihren be¬
sondern Schwierigkeiten zu kämpfen. Den Druck, den die Stellung der Habs¬
burger auf Deutschland ausübte, zu erkennen, war schwierig, wegen alter, ehr¬
würdiger Erinnerungen und des halbdentschen Charakters ihres Staats, dafür
erstand aber in Preußen eine selbständige wafsenstarke Großmacht. Den Ita¬
lienern wurde die Einsicht, wo die Gegner ihrer nationalen Einheit zu suchen
seien, sehr viel leichter gemacht, denn die Fremdherrschaft in Lombardo-Venezien und
der fremde Ursprung aller ihrer Herrschergeschlechter, mit Ausnahme des längst
italienisirten Hauses Savoyen, lag offen vor aller Augen, dafür aber war der
Kampf weit schwerer, denn Piemont war ein Mittelstaat, keine Großmacht,
und die Abwerfung der Fremdherrschaft ohne fremde Hilfe unmöglich. Damit
verband sich ein andrer Unterschied. Da ein dynastisches Gefühl nur in Pie¬
mont bestehen konnte, so wurde die Einheitsbewegnng notwendig radikaler, sie
richtete sich auf den Einheitsstaat, und da die ruhmvollste Vergangenheit des
Landes mit republikanischen Erinnerungen verbunden war, so war sie eine Zeit
lang republikanisch. Nur mit großer Mühe gelang es der piemontesischen
Monarchie, dem republikanischen Radikalismus das Heft aus der Hand zu
winden, aber sie vermochte nicht zu verhindern, daß der italienische National¬
staat dnrch eine Reihe von Volksabstimmungen, also auf die Volkssouverünitüt
begründet, demnach parlamentarisch wurde. In Deutschland war die unmittel¬
bare Mitarbeit des Volks an der nationalen Einheit unzweifelhaft viel ge¬
ringer als in Italien und die Lösung weniger radikal, weil unsre Herrscher-
hänser einheimischen, nicht fremden Ursprungs sind; dafür behaupteten wir
eine starke Monarchie. Aber wir mußten die Vorbedingungen unsrer Neichs¬
einheit erkaufen mit dem Verzicht auf Deutsch-Österreich, das mit dem alten


Zum 20. September

seine Selbständigkeit nur behaupten konnte, wenn es über eine weltliche Macht
verfitzte, so gut wie die deutschen Bistümer, das daher die städtischen Be¬
strebungen in Italien ebenso gegen das Kaisertum benutzte, wie die fürstlichen
Sonderintcressen in Deutschland. Das Ergebnis war diesseits wie jenseits
der Alpen dasselbe: die Auflösung der Neichseinheit. Für Italien war das
Kaisertum seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ein bloßer Schatten,
die größere Hälfte des Landes bestand aus anfangs republikanischen, später
monarchischen Stadtstaaten; die kleinere südliche blieb ein absolut monarchischer
Einheitsstaat. Die rein auf die thatsächliche Macht gerichtete Politik dieser
Staaten verhinderte jeden Zusammenschluß und warf endlich im Anfange des
sechzehnten Jahrhunderts das Land den Fremden, den Spaniern, unter die
Füße.

Und wie internationale Mächte die mittelalterliche Einheit Deutschlands
und Italiens zerstört haben, so ist sie hier wie dort in der Neuzeit wieder
hergestellt worden durch eine junge Militärmvnarchie in Verbindung mit einer
mächtigen geistigen Bewegung und im Kampfe mit den Erben jener inter¬
nationalen Gewalten. Dabei hatten Deutsche und Italiener mit ihren be¬
sondern Schwierigkeiten zu kämpfen. Den Druck, den die Stellung der Habs¬
burger auf Deutschland ausübte, zu erkennen, war schwierig, wegen alter, ehr¬
würdiger Erinnerungen und des halbdentschen Charakters ihres Staats, dafür
erstand aber in Preußen eine selbständige wafsenstarke Großmacht. Den Ita¬
lienern wurde die Einsicht, wo die Gegner ihrer nationalen Einheit zu suchen
seien, sehr viel leichter gemacht, denn die Fremdherrschaft in Lombardo-Venezien und
der fremde Ursprung aller ihrer Herrschergeschlechter, mit Ausnahme des längst
italienisirten Hauses Savoyen, lag offen vor aller Augen, dafür aber war der
Kampf weit schwerer, denn Piemont war ein Mittelstaat, keine Großmacht,
und die Abwerfung der Fremdherrschaft ohne fremde Hilfe unmöglich. Damit
verband sich ein andrer Unterschied. Da ein dynastisches Gefühl nur in Pie¬
mont bestehen konnte, so wurde die Einheitsbewegnng notwendig radikaler, sie
richtete sich auf den Einheitsstaat, und da die ruhmvollste Vergangenheit des
Landes mit republikanischen Erinnerungen verbunden war, so war sie eine Zeit
lang republikanisch. Nur mit großer Mühe gelang es der piemontesischen
Monarchie, dem republikanischen Radikalismus das Heft aus der Hand zu
winden, aber sie vermochte nicht zu verhindern, daß der italienische National¬
staat dnrch eine Reihe von Volksabstimmungen, also auf die Volkssouverünitüt
begründet, demnach parlamentarisch wurde. In Deutschland war die unmittel¬
bare Mitarbeit des Volks an der nationalen Einheit unzweifelhaft viel ge¬
ringer als in Italien und die Lösung weniger radikal, weil unsre Herrscher-
hänser einheimischen, nicht fremden Ursprungs sind; dafür behaupteten wir
eine starke Monarchie. Aber wir mußten die Vorbedingungen unsrer Neichs¬
einheit erkaufen mit dem Verzicht auf Deutsch-Österreich, das mit dem alten


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[0547] Zum 20. September seine Selbständigkeit nur behaupten konnte, wenn es über eine weltliche Macht verfitzte, so gut wie die deutschen Bistümer, das daher die städtischen Be¬ strebungen in Italien ebenso gegen das Kaisertum benutzte, wie die fürstlichen Sonderintcressen in Deutschland. Das Ergebnis war diesseits wie jenseits der Alpen dasselbe: die Auflösung der Neichseinheit. Für Italien war das Kaisertum seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ein bloßer Schatten, die größere Hälfte des Landes bestand aus anfangs republikanischen, später monarchischen Stadtstaaten; die kleinere südliche blieb ein absolut monarchischer Einheitsstaat. Die rein auf die thatsächliche Macht gerichtete Politik dieser Staaten verhinderte jeden Zusammenschluß und warf endlich im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts das Land den Fremden, den Spaniern, unter die Füße. Und wie internationale Mächte die mittelalterliche Einheit Deutschlands und Italiens zerstört haben, so ist sie hier wie dort in der Neuzeit wieder hergestellt worden durch eine junge Militärmvnarchie in Verbindung mit einer mächtigen geistigen Bewegung und im Kampfe mit den Erben jener inter¬ nationalen Gewalten. Dabei hatten Deutsche und Italiener mit ihren be¬ sondern Schwierigkeiten zu kämpfen. Den Druck, den die Stellung der Habs¬ burger auf Deutschland ausübte, zu erkennen, war schwierig, wegen alter, ehr¬ würdiger Erinnerungen und des halbdentschen Charakters ihres Staats, dafür erstand aber in Preußen eine selbständige wafsenstarke Großmacht. Den Ita¬ lienern wurde die Einsicht, wo die Gegner ihrer nationalen Einheit zu suchen seien, sehr viel leichter gemacht, denn die Fremdherrschaft in Lombardo-Venezien und der fremde Ursprung aller ihrer Herrschergeschlechter, mit Ausnahme des längst italienisirten Hauses Savoyen, lag offen vor aller Augen, dafür aber war der Kampf weit schwerer, denn Piemont war ein Mittelstaat, keine Großmacht, und die Abwerfung der Fremdherrschaft ohne fremde Hilfe unmöglich. Damit verband sich ein andrer Unterschied. Da ein dynastisches Gefühl nur in Pie¬ mont bestehen konnte, so wurde die Einheitsbewegnng notwendig radikaler, sie richtete sich auf den Einheitsstaat, und da die ruhmvollste Vergangenheit des Landes mit republikanischen Erinnerungen verbunden war, so war sie eine Zeit lang republikanisch. Nur mit großer Mühe gelang es der piemontesischen Monarchie, dem republikanischen Radikalismus das Heft aus der Hand zu winden, aber sie vermochte nicht zu verhindern, daß der italienische National¬ staat dnrch eine Reihe von Volksabstimmungen, also auf die Volkssouverünitüt begründet, demnach parlamentarisch wurde. In Deutschland war die unmittel¬ bare Mitarbeit des Volks an der nationalen Einheit unzweifelhaft viel ge¬ ringer als in Italien und die Lösung weniger radikal, weil unsre Herrscher- hänser einheimischen, nicht fremden Ursprungs sind; dafür behaupteten wir eine starke Monarchie. Aber wir mußten die Vorbedingungen unsrer Neichs¬ einheit erkaufen mit dem Verzicht auf Deutsch-Österreich, das mit dem alten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/547>, abgerufen am 23.06.2024.