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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wie man sich verspricht

gespielt zu haben. Neulich erklärte mir ein Freund ein neues Spiel und sagte
dabei zweimal das Gegenteil von dem, was er meinte, indem er unbewußt
die Wörter gewinnen und verlieren vertauschte. Wer hat nicht schon einmal
Fischer statt Schiffer gesagt? Welchem Lehrer wäre es noch uicht begegnet,
daß er einen seiner Jungen etwa gefragt hätte: Du weißt nicht, in welches
Meer die schwarze -- ach! die Donau fließt? Das sind Beispiele, bei denen
die Erklärung ziemlich nahe liegt, aber nicht alle sind so durchsichtig.

Eine klare Ordnung der verschiednen Arten des Versprechens und Er¬
klärungen für sie haben vor kurzem zwei Wiener Gelehrte, ein Sprachforscher
und ein Arzt, in ihrem Buche Versprechen und Verlesen*) gegeben. Nach
mehrjährigen Beobachtungen hat sich denn da zunächst herausgestellt, daß eine
große Menge Versprechen auf bloßen Vertauschungen von Satzteilen beruhen.
Wörter, Silben, Laute werden vertauscht; etwas, was erst später kommen
sollte, kommt zu früh, und dafür das an die erste Stelle gehörige erst an
zweiter. Meist werden diese vertauschten Bestandteile wenigstens nahezu gleiches
Gewicht im Satze haben. Daß jemand von der Milo von Venus redet oder
von dem Pulverfunkcn, der in das Fcnerfaß fiel, oder von dem armen Kerl,
der mit auf den Händen gebundnem Rücken dagestanden habe, derartiges kann
man alle Tage hören. Es ist auch längst beobachtet und verwertet worden;
man denke nur an die Späße Kasperls in der Puppenkomödie, z. B. an eine
Meldung wie: die Roß sind gschmiert, der Wagen is angschirrt. Schon
Shakespeare hat solche Hanswurstwitze bei den englischen Schauspielern seiner
Zeit vorgefunden und benutzt; im Kaufmann von Venedig läßt er Lanzelot
einen Auftrag Lvreuzos mit den Worten ausrichten: Der Tisch, Herr, soll auf¬
getragen werden, das Essen soll gedeckt werden. Auch bloße Silben werden
vertauscht, sodaß etwas derart zu stände kommt wie Gebrecherverhirn. Endlich
gar bloße Laute: es kommt wohl vor, daß jemand preblo-- anfängt, wenn
er problematisch sagen will, oder daß ein Schauspieler leidenschaftlich ausruft:
über Wand und Lasser! Auch hiervon machen die berufsmäßigen Witzbolde,
auf der Bühne wie im Witzblatt, längst Gebrauch, ebensogut wie der Volkswitz.
Wer es noch nicht weiß, was ein Sperrfektiv und was eine Summcrhosc ist,
der errät es doch sofort, und die seltsame Geschichte, die sich im Grinterhuude
einer Grappelpuppe zugetragen haben soll, kennt jeder. Entfernt verwandt
damit, aber freilich ein weit edleres Gewächs, sind die hübschen Schüttel¬
reime wie



*) Versprechen und Verlesen. Eine psychologisch-linguistische Studie von Professor
Dr. Rudolf Meringer und Professor Dr. Karl Mäher. Stuttgart, G. I. Göschensche
Verlcigshandlung, 1895. -- Meringer ist der eigentliche Verfasser, Mayer hat eine Menge
Beispiele beigesteuert und das Ganze durchgesehen-
Wie man sich verspricht

gespielt zu haben. Neulich erklärte mir ein Freund ein neues Spiel und sagte
dabei zweimal das Gegenteil von dem, was er meinte, indem er unbewußt
die Wörter gewinnen und verlieren vertauschte. Wer hat nicht schon einmal
Fischer statt Schiffer gesagt? Welchem Lehrer wäre es noch uicht begegnet,
daß er einen seiner Jungen etwa gefragt hätte: Du weißt nicht, in welches
Meer die schwarze — ach! die Donau fließt? Das sind Beispiele, bei denen
die Erklärung ziemlich nahe liegt, aber nicht alle sind so durchsichtig.

Eine klare Ordnung der verschiednen Arten des Versprechens und Er¬
klärungen für sie haben vor kurzem zwei Wiener Gelehrte, ein Sprachforscher
und ein Arzt, in ihrem Buche Versprechen und Verlesen*) gegeben. Nach
mehrjährigen Beobachtungen hat sich denn da zunächst herausgestellt, daß eine
große Menge Versprechen auf bloßen Vertauschungen von Satzteilen beruhen.
Wörter, Silben, Laute werden vertauscht; etwas, was erst später kommen
sollte, kommt zu früh, und dafür das an die erste Stelle gehörige erst an
zweiter. Meist werden diese vertauschten Bestandteile wenigstens nahezu gleiches
Gewicht im Satze haben. Daß jemand von der Milo von Venus redet oder
von dem Pulverfunkcn, der in das Fcnerfaß fiel, oder von dem armen Kerl,
der mit auf den Händen gebundnem Rücken dagestanden habe, derartiges kann
man alle Tage hören. Es ist auch längst beobachtet und verwertet worden;
man denke nur an die Späße Kasperls in der Puppenkomödie, z. B. an eine
Meldung wie: die Roß sind gschmiert, der Wagen is angschirrt. Schon
Shakespeare hat solche Hanswurstwitze bei den englischen Schauspielern seiner
Zeit vorgefunden und benutzt; im Kaufmann von Venedig läßt er Lanzelot
einen Auftrag Lvreuzos mit den Worten ausrichten: Der Tisch, Herr, soll auf¬
getragen werden, das Essen soll gedeckt werden. Auch bloße Silben werden
vertauscht, sodaß etwas derart zu stände kommt wie Gebrecherverhirn. Endlich
gar bloße Laute: es kommt wohl vor, daß jemand preblo— anfängt, wenn
er problematisch sagen will, oder daß ein Schauspieler leidenschaftlich ausruft:
über Wand und Lasser! Auch hiervon machen die berufsmäßigen Witzbolde,
auf der Bühne wie im Witzblatt, längst Gebrauch, ebensogut wie der Volkswitz.
Wer es noch nicht weiß, was ein Sperrfektiv und was eine Summcrhosc ist,
der errät es doch sofort, und die seltsame Geschichte, die sich im Grinterhuude
einer Grappelpuppe zugetragen haben soll, kennt jeder. Entfernt verwandt
damit, aber freilich ein weit edleres Gewächs, sind die hübschen Schüttel¬
reime wie



*) Versprechen und Verlesen. Eine psychologisch-linguistische Studie von Professor
Dr. Rudolf Meringer und Professor Dr. Karl Mäher. Stuttgart, G. I. Göschensche
Verlcigshandlung, 1895. — Meringer ist der eigentliche Verfasser, Mayer hat eine Menge
Beispiele beigesteuert und das Ganze durchgesehen-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/482>, abgerufen am 01.09.2024.